Hamburg. Behörde verspricht, die Option zu prüfen. Ein Besuch im Veddeler Kultlokal, in dem vor der Weihnachtspause Hochbetrieb herrscht.
Seit Einführung der 2G-Regel sei es ruhig geworden, hatte Christian Butzke gesagt. Doch davon ist an diesem Dienstagmittag nichts zu merken. Vor der Veddeler Fischgaststätte stehen die Gäste Schlange und warten darauf, dass drinnen Plätze frei werden – unbeeindruckt von dem feinen Nieselregen und dem Dröhnen der vom Hafen kommenden Lastwagen, die nur ein paar Meter entfernt nach einer engen Kurve wieder Gas geben. Außerdem werden die Abgase überlagert von dem Geruch nach frisch gebackenem Fisch. Und dessentwegen sind sie schließlich hier.
Den Gastraum schirmen ein schwerer Vorhang im Eingang und leicht vergilbte Gardinen vor den Fenstern von der Tristesse draußen ab. Altmodische Lampen, ein Spielautomat, Astra-Werbung und ein Garderobenständer aus Messing versprühen der Charme der 50er-Jahre. Die halbhoch vertäfelten Wände sind mit mit Schiffsbildern, Rettungsring und Steuerrad, Knoten- und Flaggentafel behängt, in einem Fischernetz baumelt allerlei Meeresgetier und auf schmalen Simsen stehen Schiffsmodelle, Seemannsfiguren und Möwen aus Holz.
Stadtentwicklung: Muss die Veddeler Fischgaststätte umziehen?
In der Küche brutzelt der Fisch – in einem Bratofen aus den 1920er-Jahren, der bei 200 Grad dafür sorgt, dass die Panade schön knusprig wird und der Fisch schön saftig bleibt. Nicht ohne Grund wurde das Lokal vom Bund Heimat und Umwelt als „historisches Wirtshaus“ ausgezeichnet.
Doch dieser Charme würde unwiderruflich verloren gehen, wenn die Pläne der Stadt realisiert würden. Die will das Areal rund um die Fischgaststätte zum „Stadteingang Elbbrücken“ umgestalten und bebauen. Das Kultlokal soll dafür umgesiedelt werden: in eine der alten, benachbarten Zollhallen, die schon lange aufgegeben wurden und verwahrlosen, jetzt aber saniert und in die geplante Bebauung integriert werden sollen.
Schon knapp 8000 Unterschriften gesammelt
Dagegen wehrt sich Christian Butzke, der das Lokal erst im April von seiner Mutter übernommen hatte, dafür mit seiner Frau Olivia und Sohn Jonas von Berlin nach Hamburg gezogen war und es seitdem mit ihnen und vier Angestellten führt. Knapp 8000 Unterschriften haben sie bereits gesammelt – unterstützt werden sie von Politikern wie Klaus Lübke (SPD) und Burkhardt Müller-Sönksen (FDP), aber auch von Peter Kämmerer von der Interessengemeinschaft St. Pauli sowie von Christa und Eugen Block.
Knapp 40 Gäste sitzen in dem Gastraum, der mit Tannengirlanden und einem kleinen Weihnachtsbaum festlich geschmückt ist. Für die meisten ist es der letzte Besuch in diesem Jahr, denn am 17. Dezember verabschiedet sich das Team in den wohlverdienten, zweiwöchigen Urlaub. Hinter dem Tresen und in der Küche herrscht entsprechend Hochbetrieb. Wenn Christian Butzke nicht gerade mit seinem Handy den Impfstatus der Gäste einscannt, eilt er zwischen den Tischen umher.
Mal mit Tellern, auf denen sich Backfisch und Kartoffelsalat türmt, mal mit Desinfektionsmittel, um einen Tisch nach dem Abräumen für die nächsten Gäste vorzubereiten. „Sie hätten mal die Schlangen sehen sollen, die sich hier vor 2G gebildet haben: die standen die Gäste einmal um die Gaststätte herum“, sagt er, auf die vermeintliche Ruhe angesprochen, und lacht. Schon wieder auf dem Sprung, verweist er auf seinen Sohn Jonas. Der könne erstmal alle Fragen beantworten, bis er selber etwas Zeit habe.
Gegessen wird ohne Messer – seit 1932
Doch vorher muss probiert werden, was die vor fast 90 Jahren gegründete Fischgaststätte zum Kultlokal hat werden lassen: der Backfisch, serviert in verschieden großen Portionen, die „Baby“ (drei Stücke), „Kleine“ (fünf Stücke) oder „Große“ (sieben Stücke) heißen und jeweils mit Kartoffelsalat (nach Geheimrezept) serviert werden. Wer das Besteck aus der Serviette wickelt und angesichts von zwei Gabeln verdutzt nach dem Messer fragt, wird von der netten Tresendame aufgeklärt: „Bei uns wird ohne Messer gegessen. Das ist Tradition seit 1932.“
Wohl niemand aus der jetzigen Betreiberfamilie, in deren Hand das Lokal seit 16 Jahren ist, kennt die Geschichte der Veddeler Fischgaststätte besser als der 18-jährige Jonas. Er weiß, dass die Fischbratküche, die im nächsten Jahr ihren 90. Geburtstag feiert, zunächst in eine Gründerzeithaus ansässig war, durch Bomben zerstört wurde und noch im Krieg, 1943, wiederaufgebaut wurde: In genau dem Holzbau, in dem heute noch der Gastraum liegt. „Später wurde er durch einen zweistöckiger Anbau ergänzt, in dem die Küche, die Büros und die Toiletten liegen“, so der Filius, der nach seinem mittleren Schulabschluss jetzt ein Jahr im Restaurant arbeitet, dann eine Ausbildung zum technischen Zeichner machen will. Hat er keine Ambitionen, den Betrieb einmal zu übernehmen? „Doch! 100-prozentig werde ich der Nachfolger meines Vaters“, sagt er. „Aber bis dahin möchte ich etwas anderes machen.“
Behörde will Verbleib am Standort „genau prüfen“
Wie seine Eltern hofft auch Jonas, dass die Fischgaststätte am jetzigen Standort bleiben kann – und nicht, wie im Rahmenplan zum „Stadteingang Elbbrücken“ vorgesehen – in eine der benachbarten Zollhallen umziehen muss. Diese werden zwar saniert und ein zentrales Element des künftigen Veddeler Marktplatzes. „Aber unsere Fischgaststätte würde nie wieder so sein wie früher.“ Zudem wären unter den ungefähr 60 Prozent Stammgästen viele, die an genau diesem Standort hingen. „Manche kommen immer wieder, seit sie wegen der Flut 1962 weggezogen sind. Für sie ist das hier noch ein Stück alter Heimat.“
Auch die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) bescheinigt dem Lokal, „ein identitätsstiftender Ort mit Kultcharakter und Tradition“ zu sein. Ihr Weiterbetrieb im Zusammenhang mit der Entwicklung der nördlichen Veddel und einem künftig vielseitig genutzten Veddeler Marktplatz sei daher jederzeit Teil der städtischen Planungen gewesen und bleibe es auch, so Sprecherin Susanne Enz auf Nachfrage.
Wo feiert die Veddeler Fischgaststätte ihren 100. Geburtstag?
Und sie betont: „Bei den konkretisierenden Planungsschritten, die jetzt auf den Rahmenplan folgen, wird auch noch einmal genau geprüft, unter welchen Bedingungen der Erhalt im jetzigen Gebäude bei der Variante der Zeilenbebauung möglich sein kann.“ Sollte das nicht der Fall sein können, zeigten Beispiele wie die „Blaue Blume“ in der Mitte Altona, dass der Erhalt einer Traditionsgaststätte trotz eines Umzuges im Quartier möglich sei – und für die Betreiber sogar Vorteile entstehen könnten, etwa durch bessere Rahmenbedingungen für die Außengastronomie.
Die Butzkes hoffen, dass sie da bleiben können, wo sie sind. Doch um sie herum wird sich in den nächsten Jahren viel ändern. Ihren 100. Geburtstag wird die Veddeler Fischgaststätte auf jeden Fall in einer weniger unwirtlichen Nachbarschaft feiern.