Hamburg. Der Stadtentwickler Dirk Meyhöfer begleitet das Hamburger Großprojekt seit mehr als zwei Jahrzehnten. Nun zieht er eine gemischte Bilanz.
Die HafenCity hat Hamburg verändert: Bislang entstanden auf den früheren Hafenflächen rund 4000 neue Wohnungen und 15.000 Arbeitsplätze, im Frühjahr 2024 wird die Stadterweiterung mit der Eröffnung des Überseequartiers einen weiteren Schritt machen.
Zugleich hat die HafenCity das Leben des Architekturjournalisten und Stadtforschers Dirk Meyhöfer verändert. Er promovierte im zarten Alter von 70 Jahren über das Großprojekt unter dem Titel: „HafenCity Hamburg – Vom Nicht-Ort zur Marke, Stadtentwicklung als Branding“. Es ist ein persönlicher wie wissenschaftlicher Blick auf Hamburgs großen Wurf.
„Ich habe mich bemüht, in meinem Arbeitsleben jedes Jahrzehnt einen anderen Schwerpunkt zu setzen“, erzählt der heute 73-Jährige im Podcast „Was wird aus Hamburg?“ „Im vergangenen Jahrzehnt lag dieser Schwerpunkt an der Hochschule, darunter an der HafenCity-Universität, wo ich einen Kreis von wunderbaren Menschen vorgefunden habe, die mich in Lehre und Forschung unterstützt haben.“ Nachdem er sich in den Nullerjahren als freier Auftragnehmer der HafenCity GmbH intensiv mit dem Stadterweiterungsprojekt auseinandergesetzt hatte, lag das Promotionsthema auf der Hand.
HafenCity Hamburg: Dirk Meyhöfer promovierte zu dem Projekt
Eines fügte sich zum anderen: „Ich habe zusammen mit dem damaligen Oberbaudirektor Jörn Walter und dem HafenCity-GmbH-Chef Jürgen Bruhns-Berentelg über ‚Das erste Jahrzehnt der HafenCity‘ geschrieben. Das Buch wollte ich weiterschreiben.“
Es ist nicht sein erstes Buch: „Als Herausgeber und Autor dürften es tatsächlich mehr als 100 sein.“ So ist Meyhöfer seit der Erstausgabe 1989 zusammen mit Ullrich Schwarz Herausgeber des renommierten Hamburger Architekturjahrbuchs. Der gebürtigen Ruhrgebietler hat zahlreiche Architekturführer, eine Biografie über den Industriedesigner Rolf Heide, den Hamburger Backstein oder die Architektur des Weines verfasst.
Was die Hamburger HafenCity mit einem Mini gemeinsam hat
Auch seine Promotion hat er für interessierte Leser aufbereitet. Im Buch „Branding HafenCity“ vergleicht er die HafenCity mit der Automarke Mini von BMW. Beide verbindet zweierlei: Einerseits sei es um eine radikale Neuentwicklung gegangen, andererseits um den Versuch, das Bild vergangener Tage aufzugreifen. Meyhöfer hat einst selbst Kommunikationsarbeit für die Bayern gemacht. „Daher weiß ich, wie man eine Marke erzeugt und wie man sie hält.“
Eine erfolgreiche Marke verlange, „ordentlich zu kommunizieren. Darin liegt eigentlich die Hauptarbeit der HafenCity GmbH.“ Der Erfolg oder Misserfolg eines so großen Projektes – immerhin geht es um 157 Hektar ehemaliges Hafen- und Industrieareal, wovon 30 Hektar Wasserflächen sind – steht und fällt mit der Wahrnehmung der Nutzer, der Bürger, der Politik, der Investoren.
Und alle bringen unterschiedliche Anforderungen mit, wie Heinz Bude einstmals so schön formulierte: Das Stadtideal sei eine Mischung aus Bullerbü (kinderfreundlich), Forellenhof (altengerecht) und Saturday Night Fever (ausgehgerecht).
Als Meyhöfer nach Hamburg kam, wirkte die Stadt wie ein Wim-Wenders-Film
„Hamburg hat sich immer verändert“, betont Meyhöfer. „Ich kam in den 1970er-Jahren nach Hamburg, in die Welt des ‚Amerikanischen Freundes‘“, des berühmten Films von Wim Wenders mit der alten Hafenkulisse. „Was wir heute so bewundern, das Weltkulturerbe, die Speicherstadt, da ging keiner hin, und der Rest war wunderbar leer. Damals steckte Hamburg mittendrin im Strukturwandel.“
Erst mit der Wende 1989 rückte Hamburg vom Zonenrand in Zentrum, der Hafen gewann sein Hinterland zurück. „Das war die Zeit des Aufbruchs. Alles war auf Wachstum gebürstet.“
Da war eine neue Nutzung des Hafens nur konsequent, der bis dahin bis an die Innenstadt grenzte, aber von ihr durch einen Zaun abgetrennt war. 1997 enthüllte der damalige Bürgermeister Henning Voscherau die spektakulären Pläne der HafenCity, der alte Industriehafen verschwand, die Stadt rückte an die Elbe zurück.
Meyhöfer bedauert, dass nichts vom Hafen in der City geblieben ist
„Der Titel meiner Dissertation lautet: ‚Vom Nichtort zur Marke‘“, sagt Meyhöfer. Den Begriff Nicht-Ort habe die HafenCity GmbH clever verbreitet, weil er den Eindruck erweckte, als ob auf dem Gelände nichts mehr war. „Das war der erste große Gedankenfehler, denn es war ja nur die Nutzung verschwunden. Das bedeutete aber nicht, dass die bestehenden Gebäude alle unbrauchbar sind oder nichts taugen. Man hätte da weiterbauen können – aber das ist in der HafenCity letztendlich nicht ausreichend passiert – im Sinne der Marke Hamburg als Hafen- und Hansestadt.“
Vielen Politikern und Investoren ging es darum, Hamburg aus dem Schatten von Berlin zu holen und auf die internationale Landkarte zu setzen. Da war das Alte eher hinderlich. „Ich erinnere mich an eine frühe Pressekonferenz mit Investoren zum Elbtower: Dabei ging es auch darum, es denen in Frankfurt, Düsseldorf und Berlin ein bisschen zu zeigen“, sagt Meyhöfer.
Hamburg profitierte beim Hafen davon, Nachzügler zu sein
Er erzählt von den frühen Jahren des Hamburger Stadtentwicklungsprojekt: „Damals wurde mit den Vorbildern gearbeitet, die es in allen westlichen Industrieländern von London bis Auckland gab, wo die Häfen abgebaut wurden.“ Die Hansestadt profitierte davon, Nachzügler zu sein – denn Hamburg musste die Fehler vieler Vorgänger eben nicht wiederholen.
„Wir hatten den Vorteil der späten Geburt und setzten eben nicht auf eine monofunktionale Entwicklung. Kopenhagen konzentrierte sich damals auf Wohnprojekte, Kapstadt auf Shoppingcenter und London in den Docklands auf Büroflächen. Hamburg hat dann einen sehr klugen Masterplan gemacht, der jetzt 25 Jahre alt wird.“
Trotzdem kritisiert Meyhöfer die Illusion, der neue Stadtteil sei eine City-Erweiterung. Schon der Name HafenCity sei irreführend, weil eine City – wie er seinen Lehrer, den Denkmalschützer und Hamburgs wichtigsten Kunsthistoriker Hermann Hipp zitiert – eben nicht am Hafen liege. „Mein Vorschlag wäre gewesen, ein gemischtes Quartier ohne City-Anspruch zu bauen. Wir erleben gerade, wie dieser klassische City Anspruch vor die Hunde geht, weil wir für diese teuren Grundstücke und Bauten kaum noch eine anständige Nutzung bekommen.“
Die Hamburger Verkehrsplanung sieht Meyhöfer kritisch
Der frühere Redakteur im Jahreszeitenverlag und spätere freie Autor sieht noch mehr verpasste Chancen: Ein Fehler sei die Verkehrsplanung gewesen. „Man hat nicht kapiert, dass große, breite Straßen dann auch benutzt werden. Wir hätten die Verkehrswende, die Fahrradstadt, als Modell schon 2002 denken können.“ Das habe keiner gewagt, weil die HafenCity eine Investorenstadt ist.
„Es ärgert mich wirklich, dass immer so getan wird, dass diese Planung erstens fehlerfrei ist und zweitens total nachhaltig und grün.“ Leider sei dem nicht so. „Die hochgelobte Zertifizierung hat sich als ein Marketing-Instrument für die Immobilienindustrie entpuppt.“ Ausdrücklich aber lobt er den Städtebau, zumindest für den ersten, westlichen Teil. „Der ist national und international anerkannt.“
Kritischer geht Meyhöfer mit dem östlichen Teil ins Gericht, der in den vergangenen Jahren entstand. „Da haben die Planer ihre selbst ernannten Vorbilder verlassen, wenn man auf Höhe, Dichte, den Nutzungsmix schaut. Dort wird die HafenCity nicht besser, sondern verfehlt ihre eigenen Ansprüche.“
Planung im Osten der HafenCity fällt hinter frühere Standards zurück
Er verweist auf Wohngebäude, die teilweise acht Geschosse und mehr haben. „Es gibt einen Standard in der Soziologie, dass ab fünf/sechs Geschossen der Bezug zum Boden verloren geht. Die Novellierung des Masterplans hat keine Verfeinerung gebracht, sondern dazu geführt, die Dinge laufen zu lassen.“
In seinem Buch kommt Meyhöfer zu der Einschätzung: „Die HafenCity ist von ihren Akteuren zu teuren Schneidern geschickt geworden. Fein, hamburgisch, chic. Immer ein bisschen vornehm, aber nie zu aufdringlich. Blauer Blazer mit Goldknöpfen, was übersetzt auf die Architektur Backstein mit Glas und Stahl heißt.“
Zuletzt sah es mehr nach Massenware von der Stange aus: „Auch im Hamburger sozialdemokratischen Städtebau der Zwischenkriegszeit haben wir Sachen von der Stange gefertigt – aber nutzergerecht, sodass sie auch heute noch passen.“ Er habe nichts gegen Wohnungsbau von der Stange. „Wir können uns im Augenblick gar nichts anderes leisten. Aber gerade deshalb muss es funktionieren.“
Inzwischen hat Hamburg von der HafenCity gelernt
Er sieht inzwischen durchaus Lerneffekte aus der HafenCity, die sich in weiteren Stadterweiterungsprojekten niederschlagen. „Oberbillwerder setzt klar auf eine andere Mischung, nimmt viel Rücksicht und widmet Wiesen und Weiden nur vorsichtig um. Das ist eine Verbesserung.“ Die Behörden steuerten heute anders, sagt er. „Da hilft uns auch, dass der Riesenentwicklungsdruck raus ist.“
Noch in einem weiteren Punkt ist die HafenCity Vorbild und Modell in einem: „Die HafenCity ist eine der stets geforderten Fünf oder Zehn-Minuten-Städte: Jeder kann alles mit einem Fahrrad oder zu Fuß erreichen: die City, die Kultur, Alster und Elbe.“ Geradezu vorbildlich seien die öffentlichen Flächen, die Spielplätze und Parks.
Geht man vom ursprünglichen Anspruch der Planer aus, hat die Stadterweiterung viele Ziele erreicht. So ging es darum, an der Elbe große Unternehmen anzusiedeln, Wohnraum, aber auch Touristenattraktionen und Einkaufsmöglichkeiten zu schaffen. Wer heute durch die HafenCity schlendert, sieht viele Menschen, spürt das Leben.
Warum Meyhöfer einen Venedig-Effekt in der HafenCity fürchtet
Meyhöfer kritisiert, dass zwei Grundgedanken nicht aufgegangen sind. „Zum einen ging es darum, die City zu entlasten und Flächen für nationale Unternehmenszentralen zu bekommen.“ Unilever habe damals die Stadt mit ihrem Wunsch, in die HafenCity zu ziehen, gegen alle Vernunft fast erpresst. Trotzdem ist der Konzern längst weitergezogen. Wichtiger aber ist: Es gibt heute kaum noch nationale Hauptquartiere.
Auch die Nutzung der Erdgeschosszonen hat nicht so funktioniert wie geplant. „Dort wurde mit hohen Räumen und Galeriegeschossen darauf geachtet, dass hier vielfältige Nutzungen möglich sind, ob als Geschäft oder als Galerie. Das hat sich leider nicht durchgesetzt.“
Eine weitere Gefahr sieht Meyhöfer in übermäßigen Touristenströmen: „Wir haben die HafenCity in Fortsetzung der Landungsbrücken zu einer Besucherterrasse gemacht – für die Bewohner und Nutzer ist den ganzen Sommer und vor allen Dingen am Wochenende zu viel los. Wir wollen aber nicht den Amsterdam- oder den Venedig-Effekt haben, wo der Tourismus längst zum Ärgernis der Anlieger geworden ist.“
Meyhöfers nächstes Buch wird ein Roman
Der Experte, der Architektur und Stadtplanung in Hannover studierte, fürchtet, dass mit der Eröffnung des XXL-Einkaufszentrums im Überseequartier sich der Venedig-Effekt noch einmal verstärken könnte. „Es wird zum Verdrängungswettbewerb mit der City führen. Da sind wir schon mittendrin.“
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„Niemand wird sagen, dass das eine schlecht gebaute Stadt ist“, sagt Meyhöfer. „Aber es kommt auf etwas anderes an. Der Soziologe Richard Sennett unterscheidet zwischen der gebauten Umwelt (Ville) und dem Erlebten (Cité). Das Gebaute kann noch so gut sein, es wird nicht reichen, wenn wir das Leben, also den Menschen, nicht mit einbeziehen.“
Sein Resümee: „Wir haben es noch nicht geschafft, aus der HafenCity eine lebenswerte Stadt zu machen.“ Was die Menschen in Hamburg und anderswo früher unter einer lebenswerten Stadt verstanden, das will Dirk Meyhöfer in seinem nächsten Buch, einem Roman, über den Hutmacher Heinrich Marmann auf St. Pauli beschreiben: vom Leben in den Städten, auf St. Pauli oder in Winterhude.