Hamburg. Vielen Menschen fehlen wichtige Nährstoffe. Ernährungs-Doc Matthias Riedl weiß, wer dringend etwas dagegen unternehmen muss.

Wie kann es sein, dass in unserer westlichen Überflussgesellschaft viele Menschen mangelernährt sind? „Früher hatte man die mangelernährten Kinder in Afrika im Kopf“, sagt Dr. Matthias Riedl. Die gebe es leider noch immer, aber Mangelernährung sei auch in Deutschland ein Thema.

„Obwohl mehr als die Hälfte der Menschen übergewichtig sind, gibt es mangelernährte Menschen. Man sieht ihnen tatsächlich auch an, dass die Muskulatur schwindet“, sagt der Ernährungs-Doc in der neuen Folge des Podcasts „Dr. Matthias Riedl. So geht gesunde Ernährung“.

Die Muskulatur sei nicht nur zum Fortbewegen wichtig und für die Stabilität der Gelenke, sondern sie wirke auch mit Botenstoffen im „Konzert“ der Botenstoffe des Körpers. „Man kann sagen, dass die Muskulatur viele Substanzen produziert, die antientzündlich wirken. Muskelmangel führt sehr früh zur Sturzneigung, zu Pflegebedürftigkeit – und das will keiner.“

Ernährungs-Doc: Mangelernährung überwiegend bei Übergewichtigen

Bei Mangelernährung denken seiner Erfahrung nach die meisten Menschen an dünne Personen. Diese seien aber meistens nicht so sehr betroffen. „Wir sehen Mangelernährung überwiegend bei Übergewichtigen“, sagt der Ernährungsmediziner. Das sei etwa bei Menschen aufgefallen, die eine Magenverkleinerung bekommen haben.

„Da hat man festgestellt, dass sie schon vor der Operation einen Mangel an bestimmten Spurenelementen, an Vitaminen hatten. Und nach der Magenoperation führt die verminderte Aufnahmefläche zu einer verschlechterten Aufnahme von Nährstoffen. Solche magenverkleinerten Menschen müssen lebenslang Vitamine und Supplemente nehmen. Aber der Mangel bestand ja schon vorher.“

Was Übergewichtige häufig betrifft – mehr noch als nicht Übergewichtige – seien ein Vitamin-D-Mangel, ein Mangel an Omega-3-Fettsäuren und ein Mangel an Ballaststoffen. „Wir sehen aber auch, dass viele Mineralien und Vitamine zu gering vorkommen im Körper.“

Nährstoffmangel trifft Menschen mit Depressionen und ADHS

Gefährdet von einem Nährstoffmangel seien aber auch Menschen nach Darmoperationen, oder solche, die Medikamente gegen ADHS nehmen, weil diese zu Appetitlosigkeit führen. Das wiederum könne im Ergebnis zu einem Nährstoffmangel führen.

„Wenn wir älter werden, wird zum Teil der Nährstoffbedarf höher, aber manche Substanzen werden schlechter aufgenommen, ebenso Vitamine und Eiweiß. Dann ist der Zahnstatus vielleicht auch schlechter, es kann schlechter gekaut werden“, sagt Riedl. Auch Menschen, die depressiv sind, hätten eher die Neigung, ihre Psyche mit süßen Nahrungsmitteln aufzupeppen.

Besonders dramatisch sei die Situation bei Krebserkrankungen: „Da grassiert die Mangelernährung am allerschlimmsten. 30 Prozent der Krebserkrankten sterben nicht am Krebs, sondern sie verhungern – das ist sozusagen Mangelernährung par excellence.

Wir wissen aber auch, dass von den Patienten, die ins Krankenhaus kommen, 20 bis 30 Prozent mangelernährt sind“, so der Ernährungs-Doc. Und sehr viele nähmen während des Krankenhausaufenthaltes noch ab. Mangelernährung trifft laut Riedl aber auch sehr viele Menschen, die in Altenheimen leben.

Ernährungs-Doc: „Finden immer häufiger Vitaminmangelzustände“

Aber das Problem zieht sich seinen Angaben zufolge durch die gesamte Bevölkerung. Er berichtet von seiner Praxiserfahrung im Medicum Hamburg, dessen Ärztlicher Direktor er ist: „Wenn wir Menschen zur Ernährungstherapie in unserer Abteilung für Ernährungsmedizin haben, dann finden wir immer häufiger Vitaminmangelzustände.“

Diese äußern sich demnach zu Beginn ganz unspezifisch, machen die Betroffenen beispielsweise schlapp. Ein Mangel an B-Vitaminen könne sich aber auf die Nervengesundheit auswirken, zu Taubheitsgefühlen und Verwirrtheit führen. „Wenn das Nervensystem nicht richtig funktioniert, dann kriege ich entweder an den Nerven der Hände ein Kribbeln oder das Gehirn reagiert mit Unkonzentriertheit, Müdigkeit, Schwäche, Verwirrung.“

Ernährungs-Doc warnt: keine Eigenmedikation vornehmen

Riedl warnt aber energisch vor Eigenmedikation, also davor, ohne Rücksprache einen Vitamincocktail einzunehmen. „Es gibt dokumentierte Fälle, dass eine Überdosis mit Vitamin B6 tatsächlich sogar Nervenschäden verursachen kann.“ Verbreitet sei auch ein Vitamin-D-Mangel, den Betroffene kaum bemerkten.

Ein Grundübel sieht der Ernährungs-Doc in den vielen Fertigprodukten: „Die Ernährung der Bevölkerung in Deutschland besteht zu 50 Prozent aus hochverarbeiteten Produkten – und die sind inhaltsleer. Da haben wir nicht das, was wir brauchen.“

Problem Mangelernährung – auch Ballaststoffmangel weit verbreitet

Vitaminmangelzustände sollte man immer messen lassen, bevor man sie substituiert, sagt Riedl. „Das kann man beim Hausarzt machen oder in einer Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin.“ Ein Vitamin-D-Mangel sei wegen des Sonnenmangels bei den meisten Menschen, die nördlich von Berlin wohnen, als sehr wahrscheinlich anzunehmen. Auch einen Omega-3-Mangel habe ein großer Teil der Bevölkerung ebenso wie einen Ballaststoffmangel.

Besonders achtsam müssen Veganer oder strenge Vegetarier sein, weil sie über kurz oder lang einen Vitamin-B12-Mangel erleiden, sagt der Autor zahlreicher Bestseller zum Thema Ernährung. Der Speicher halte nur zwei, drei Jahre vor. Veganer hätten auch noch das Risiko eines Jod- und Eisgenmangels. „Wir wissen, dass nahezu alle Organe mit einem Eisenmangel schlechtere Chancen haben, gesund zu bleiben.“

Und man dürfe das nicht einfach laufen lassen, sagt Matthias Riedl: „Wir müssen uns in Deutschland über unseren Ernährungszustand Gedanken machen. Man kann natürlich mal auf die Amerikaner gucken, die sind immer noch mal ein Stück schlechter als wir. Aber es gibt eben viele Länder, die sind viel besser.“

Granola mit Joghurt und Weizenkeimen

Für 2 Personen, 10 Minuten Zubereitung, pro Portion ca. 405 KCAL | 18 G EW | 19 G F | 38 G

Zutaten: 4 EL kernige Haferflocken, 2 EL Mandelstifte, 2 EL Kürbiskerne, 1 EL Pistazienkerne, 180 g Himbeeren, 2 EL Weizenkeimlinge 300 g Joghurt (3,8 % Fett).

Granola mit Weizenkeimen: Das Rezept stammt aus Dr. Matthias Riedls Buch „Die 100 besten Rezepte“.
Granola mit Weizenkeimen: Das Rezept stammt aus Dr. Matthias Riedls Buch „Die 100 besten Rezepte“. © G | Gräfe und Unzer / Monika Schürle und Maria Grossmann

Zubereitung:

1. Wer will, kann die Keime ganz einfach selbst ziehen: Dazu 2 EL Weizenkörner in einem Sieb abbrausen, in ein Keimglas geben und in reichlich Wasser circa zwölf Stunden, am besten über Nacht, einweichen. Dann abgießen, zwei- bis dreimal täglich wässern und jeweils durch den Siebeinsatz abgießen, nach zwei Tagen sind die Sprossen bereit zum Essen.

2. Für das Granola Haferflocken, Mandeln, Kürbiskerne und Pistazien in einer beschichteten Pfanne ohne Fett hell rösten. Herausnehmen und abkühlen lassen.

3. Die Himbeeren verlesen, vorsichtig waschen und trocken tupfen. Die Weizenkeime in einem Sieb heiß abbrausen und abtropfen lassen.

4. Zum Servieren den Joghurt auf Schalen verteilen, Granola und Beeren darauf anrichten und zuletzt alles mit den Keimen garnieren.

Riedls Tipp: Der Clou an diesem Rezept sind die zarten Weizensprossen. Diese Keimlinge enthalten eine Vielzahl an wertvollen Nährstoffen wie pflanzliches Eiweiß, gesunde Fette, sekundäre Pflanzenstoffe, B-Vitamine, Magnesium, Eisen und Spermidin. Spermidin unterstützt die Zellerneuerung und Zellreinigung (die sogenannte Autophagie) und verlangsamt somit Alterungsprozesse im Organismus.

„Meine 100 besten Rezepte“ von Dr. Matthias Riedl; Graefe und Unzer Verlag, 28 Euro.
„Meine 100 besten Rezepte“ von Dr. Matthias Riedl; Graefe und Unzer Verlag, 28 Euro. © Graefe und Unzer Verlag | Graefe und Unzer Verlag