Hamburg. Zwischen Plüsch und Diskokugel: Bundesweite Aktionswoche startete auf St. Pauli in der Wunderbar. Wo in Hamburg noch geimpft wird.

So bunt und lang wie am Montagabend ist die Schlange vor der Wunderbar wohl noch nie gewesen. Alle wollen hinein in die Kiezkneipe: Jugendliche, Schwangere, Skater, Anzugträger, Nachteulen, Senioren. Sie stehen zu beiden Seiten der Bar, zeitweise sogar bis zu den Kreuzungen. „Gibt es hier etwas umsonst?“, fragt ein Passant im Vorbeigehen.

Sein Blick fällt auf ein Plakat neben der Kneipentür. Er liest, was in Großbuchstaben darauf steht: Wir impfen. In der Wunderbar gibt’s den kostenlosen Kiez-Piks gegen Corona. Ein Angebot, das nicht wenige Hamburgerinnen und Hamburger an diesem Abend wahrnehmen wollen. Die Aktion auf St. Pauli ist Auftakt der bundesweiten Impfaktionswoche #HierWirdGeimpft.

250 Menschen lassen sich in der Wunderbar impfen

Vor der Kneipe sitzt Wunderbar-Chef Axel Strehlitz. „Eine Erfolgsgeschichte“, sagt er immer wieder. Er grinst – und wird an diesem Abend auch nicht mehr damit aufhören können. So sehr begeistern ihn die Menschenmassen vor seiner Kiezkneipe. Denn dass die Impfaktion so gut ankommt, hat er nicht erwartet. Statt der geschätzten 25 Impflinge schlugen 250 Menschen vor seiner Bar auf. „Ich weiß nicht, ob das der Coolness-Faktor ist. Vielleicht hat es etwas Anrüchiges, sich in einer Bar impfen zu lassen. Was es auch ist, es klappt“, sagt er. Vielleicht sind es aber auch die Gratis-Pizzen von Pauli Pizza, die Strehlitz jedem Impfling spendiert – und dafür rund 1500 Euro springen lässt.

„Pizza? Ach, das wusste ich gar nicht“, sagt Theresa Hein. Die 18 Jahre alte Psychologie-Studentin steht ganz hinten in der Schlange. „Ich habe einfach nach Impfterminen in Hamburg gegoogelt und so die Wunderbar gefunden.“ Einmal ist Hein bereits mit dem Vakzin Biontech geimpft und braucht nun den zweiten Piks. Das ist ihr wichtig, da die Schnelltests im Oktober kostenpflichtig werden und sie fürs Fitnessstudio einen 3G-Nachweis braucht. Drei- bis viermal pro Woche macht sie dort Sport. Da die Tests ihr Budget sprengen würden und sie auch nichts gegen eine Impfung habe, ist sie froh, dass die Wunderbar den Kiez-Piks anbietet.

In der Bar wummern leise die Backstreet Boys: „Everybody“

Eine halbe Stunde später steht sie an der Spitze der Schlange, hält ein Klemmbrett in der Hand und unterschreibt die Impfvereinbarung. Dann darf sie die Wunderbar betreten. Dort wuseln die Mitarbeitenden des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) umher und, ja, manche tanzen sogar. Aus den Boxen wummert leise Musik, es sind die Backstreet Boys mit „Everybody“.

Theresa Hein wartet am Montagabend  vor der Wunderbar in Hamburg auf ihre Impfung.
Theresa Hein wartet am Montagabend vor der Wunderbar in Hamburg auf ihre Impfung. © Roland Magunia | Unbekannt

Eine Mitarbeiterin führt Hein zur Impfärztin Sanaz Bergner. Diese sitzt auf einem roten Polstersessel. Von der Decke hängen goldene Diskokugeln. Bergner bittet Hein, ihr gegenüber Platz zu nehmen und klärt sie über die Impfung auf. Dann sagt Bergner: „Sie können gerne den Arm freimachen.“ – „Moment noch: Darf ich Sport machen?“, fragt Hein. Nein, eine Woche muss sie es ruhig angehen lassen.

Pizza-Gutscheine bleiben bis Mittwoch gültig

Um 21.40 Uhr ist sie durch, doch eine Pizza bekommt sie nicht mehr. Alles aufgegessen. Das störe Hein nicht, sie sei ohnehin nicht für die Pizza gekommen und achte auch auf eine gesunde Ernährung. Und falls sie es sich doch noch anders überlegt? „Kein Problem“, sagt Wunderbar-Chef Strehlitz. Die Gutscheine seien noch bis einschließlich Mittwoch gültig.

Strehlitz freut sich über die hohe Nachfrage. Sein Fazit zur Impfaktion: „Es fühlt sich an, als wäre heute Deutschlands erster Impftag. Wir brauchen öfter solche Angebote, um die Leute auch wirklich abzuholen.“ Mehr noch: „Es wird viel gelacht, es läuft Musik. Der Abend ist überhaupt nicht spießig. Diese Leichtigkeit sollte eine Lehre für die weiteren Impfaktionen sein.“ Denn mit Sorge blickt der 54 Jahre alte Kiezwirt auf die kalte Jahreshälfte.

Die Inzidenz steigt und die Auslastung der Intensivbetten könnte geringer sein. Es graut dem Gastronomen vor härteren Corona-Einschränkungen oder sogar einem neuen Lockdown. „Wir müssen jetzt eine Riesenanstrengung unternehmen und die Leute mobilisieren, um durch den Herbst zu kommen“, sagt er.

Der Kiez-Piks immer montags in der Wunderbar

Eben deshalb machte er der Sozialbehörde eine Woche vor der Impfaktion den Vorschlag, in seiner Bar gegen das Coronavirus zu impfen. Diese nahm Strehlitz zufolge das Angebot dankend an und vereinbarte auch einen weiteren Termin für die Zweitimpfungen mit Biontech am Montag, den 4. Oktober.

Diese Corona-Impfstoffe sind in Deutschland zugelassen

  • Biontech/Pfizer: Der erste weltweit zugelassene Impfstoff gegen das Coronavirus wurde maßgeblich in Deutschland entwickelt. Der mRNA-Impfstoff, der unter dem Namen Comirnaty vertrieben wird, entwickelt den vollen Impfschutz nach zwei Dosen und ist für Menschen ab zwölf Jahren zugelassen. Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat er eine Wirksamkeit von etwa 90 Prozent – das heißt, die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, sinkt bei Geimpften um den genannten Wert. Ebenfalls von Biontech stammt der erste für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren zugelassene Impfstoff in Deutschland.
  • Astrazeneca: Der Vektorimpfstoff des britischen Pharmaunternehmens wird unter dem Namen Vaxzevria vertrieben. Aufgrund von seltenen schweren Nebenwirkungen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko), den Impfstoff nur für Patienten zu verwenden, die älter als 60 Jahre sind. Offiziell zugelassen ist der Impfstoff aber für Menschen ab 18 Jahren. Vaxzevria weist laut BMG nach zwei Impfdosen eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen auf.
  • Moderna: Der von dem US-Unternehmen entwickelte mRNA-Impfstoff mit dem Vertriebsnamen Spikevax ist für alle ab 12 Jahren zugelassen, die Stiko empfiehlt aufgrund eines erhöhten Risikos schwerer Nebenwirkungen aber, ihn auf die Altersgruppe der über 30-Jährigen zu beschränken. Der Moderna-Impfstoff hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent in Bezug auf schwere Erkrankungen, wenn der volle Impfschutz nach zwei Impfdosen erreicht worden ist.
  • Johnson&Johnson: Das US-Unternehmen hat einen Vektorimpfstoff entwickelt, der bereits nach einer Impfdosis Schutz vor dem Coronavirus entwickelt. Er wird unter dem Namen Covid-19 Vaccine Janssen vertrieben. Das Präparat hat laut BMG eine Wirksamkeit von bis zu 70 Prozent bezogen auf schwere Erkrankungen – zudem ist die Zahl der Impfdurchbrüche im Vergleich zu den anderen Impfstoffen erhöht, daher empfiehlt die Stiko für mit Johnson&Johnson Geimpfte schon nach vier Wochen eine zusätzliche Impfdosis mit Comirnaty oder Spikevax, um den vollständigen Impfschutz zu gewährleisten.
  • Novavax: Das US-Unternehmen hat den Impfstoff Nuvaxovid entwickelt. der mitunter zu den sogenannten Totimpfstoffen gezählt wird. Er enthält das Spike-Protein des Covid-19-Erregers Sars-CoV-2. Dabei handelt es sich aber genau genommen nicht um abgetötete Virusbestandteile, die direkt aus dem Coronavirus gewonnen werden. Das Protein wird stattdessen künstlich hergestellt. Das menschliche Immunsystem bildet nach der Impfung Antikörper gegen das Protein. Der Impfstoff wird vermutlich ab Ende Februar in Deutschland eingesetzt und soll laut BMG in bis zu 90 Prozent der Fälle vor Erkrankung schützen.
  • Weitere Impfstoffe sind in der Entwicklung: Weltweit befinden sich diverse Vakzine in verschiedenen Phasen der Zulassung. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit das umstrittene russische Präparat Sputnik V sowie die Impfstoffe der Hersteller Sinovac, Sanofi und Valneva. Der deutsche Hersteller CureVac hat seinen Impfstoff vorerst aus dem Zulassungsverfahren zurückgezogen.

Darüber hinaus hat der Gastronom eine weitere Idee: Er möchte den Kiez-Piks in Serie bringen: immer montags in der Wunderbar. Dann ohne Gratis-Pizza, aber mit einem Freigetränk auf Kosten des Hauses. Den Vorschlag möchte er noch mit der Sozialbehörde besprechen. Axel Strehlitz würde sich freuen, wenn sich die Sozialbehörde für weitere Impfstationen auf dem Kiez einsetzen würde, zum Beispiel auch auf dem Spielbudenplatz.

Impftermine auch im Museum und in der Elbphilharmonie

In der Zwischenzeit können sich Hamburgerinnen und Hamburger auch an anderen außergewöhnlichen Orten impfen lassen. Das mobile Team des DRK lädt etwa ins Museum Altona am 19. September, erneut ins Volksparkstadion am 1. Oktober und in die Elbphilharmonie am 2. Oktober ein. Auch Einkaufszentren, Gemeindehäuser und Vereine machen mit. Eine Übersicht veröffentlicht die Stadt auf der Internetseite hamburg.de/corona-impfstationen.

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