Hamburg. Nachdem ein Mauerstück herabgefallen war, geben Experten vorerst Entwarnung. Alle vergleichbaren Stellen werden überprüft.
Vorbeieilende Passanten bleiben stehen, Touristen zücken ihre Kameras. Hoch oben, vor den Giebelfenstern des Rathauses, schwebt die Arbeitsplattform eines Hubwagens. Manchmal bringt ein Windstoß sie zum Schwanken. An Bord: Steinmetz Ralf-Rainer Schmalstieg und sein Mitarbeiter Dragan Anic.
Mit viel Fingerspitzengefühl, einem geschulten Auge und einem kleinen Hammer überprüfen sie den Zustand des Mauerwerks an den kunstvoll verzierten Giebeln. Von irgendwo dort oben war am Wochenende ein faustgroßes Fassadenteil herabgekracht. Unmittelbar auf den Gehweg, vor den Haupteingang des Restaurants Parlament, das im früheren Ratsweinkeller residiert
Nach einer Stunde geben die Steinmetze Entwarnung – vorerst
Nachdem am Wochenende aus Furcht vor weiteren herabfallenden Mauerstücken der Bereich vor der Ostfassade des 100 Jahre alten Rathauses gesperrt worden war, wurde am Montag die Untersuchung durch einen Gutachter angeordnet. Die Firma Schmalstieg aus Burgwedel kennt sich mit der Rathausfassade aus: Sie war mit der großen Sanierung in den 90er-Jahren betraut.
Nachdem die Steinmetze nach einer guten Stunde in rund 30 Metern Höhe wieder auf dem Boden angelangt waren, gibt Ralf-Rainer Schmalstieg Entwarnung. Vorerst. „Der Verkehrssicherung ist Genüge getan“, sagt der Steinmetz, der die Stelle, von der das Mauerteil herabgefallen war, entdeckt und stabilisiert hat. Man müsse den Schaden aber im Auge behalten und irgendwann umfassend sanieren.
Ein Frostschaden war die Ursache für den Steinschlag am Rathaus
Ursache für den Vorfall, bei dem glücklicherweise niemand verletzt wurde, ist offenbar ein Frostschaden. Er entstand an einer Stelle, wo sich normalerweise eines der Zierelemente aus Kupfer befindet. Fünf davon wurden vor Kurzem abgebaut, um restauriert werden zu können. Statt ihrer ragen jetzt die leeren Ankerstangen in die Höhe.
Gehalten werden sie von Mörtelfundamenten, die etwa 30 Zentimeter tief und fünf Zentimeter breit sind. „An einer Stelle ist Wasser in den Mörtel gedrungen. Er hat sich vollgesogen wie ein Schwamm“, so Schmalstieg. Eine Frostsprengung habe dann offenbar auch den Stein drumherum auseinandergerissen. Mit einem Spanngurt und Kaninchendraht hat er die schadhafte Stelle abgesichert und damit erst einmal verhindert, dass sich weitere Fassadenstücke lösen.
Auch zwei weitere Schäden, die die Steinmetze im Verlauf der Fassadenüberprüfung entdeckt haben, müssen im Auge behalten werden. An zwei Fialen (so heißen die Türmchen zwischen den Giebeln) zeigen sich Risse an der Basis. Diese müssten ebenfalls ausgebessert werden, so Schmalstieg. Andernfalls könne Wasser eindringen und die Ankerstangen der beiden Fialen zum Rosten bringen. Auch hier hat er mit Spanngurt und Kaninchendraht vorgesorgt.
Sperrung an der Großen Johannisstraße aufgehoben
„Es liegt nahe, dass alle vergleichbaren Ziertürme auf dem Rathaus entsprechend überprüft werden“, heißt es aus der Senatskanzlei. „Wir erwarten kurzfristig den schriftlichen Bericht der Baufirma. Auf dieser Grundlage können wir entscheiden, ob weitere Untersuchungen an anderen Teilen des Gebäudes erforderlich sind.“
Ralf-Rainer Schmalstieg zufolge könnten tatsächlich mehrere Fialen betroffen sein. Sie bestehen aus Sedimentsteinen mit horizontal gewachsenen Schichten. Im Falle der Rathaustürmchen wurden sie aufgestellt, die Schichten verlaufen also vertikal. „Dadurch kann Wasser leider gut eindringen“, so Schmalstieg. Ein Problem, das er auch vom Mahnmal St. Nikolai kennt.
Am Mahnmal St. Nikolai hatte es einen ähnlichen Fall gegeben
Dort hatte es vor sechs Jahren einen ähnlichen Fall wie am Rathaus gegeben: Ein gut zehn Kilo schwerer Mauerstein war vom Turm des Mahnmals St. Nikolai auf den Fahrradweg an der Willy-Brandt-Straße gestützt. Auch dort wurde glücklicherweise niemand verletzt.
Das Mahnmal wird seitdem umfangreich saniert: unter anderem von Ralf-Rainer Schmalstieg. Er gehört zu dem etwa 15-köpfigen Team aus Steinmetzen, Maurern und Gerüstbauern, die sich Zentimeter für Zentimeter an der Fassade des 147,3 Meter hohen Turms entlangarbeiten. Bis Ende 2017 sollen die Maßnahmen, die rund 14 Millionen Euro verschlingen, abgeschlossen sein. „Das Problem momentan ist die kühle Witterung“, so Schmalstieg. Bei Temperaturen unter fünf Grad könne der Mörtel nicht abbinden.
Bis die anstehende Sanierung der Schäden am Rathaus beginnt, wird die einseitige Sperrung der Großen Johannisstraße aufgehoben. Dann ist auch das Restaurant Parlament, das sich im früheren Ratsweinkeller befindet, wieder durch den Haupteingang erreichbar.