Hamburg. Stadt plant bei Sanierung des Künstlerquartiers auch Abbruch einer historischen Gleishalle. Initiative schlägt Alternative vor.
Auch für die Kritiker von heute klang es gestern noch vielversprechend. Was sollten sie schon gegen Sanierungspläne im Oberhafenquartier haben, wenn damit dieses kleine Stück Hamburger Industriekultur dauerhaft erhalten bleibt? Als backsteinroter Kontrast zur Moderne am östlichen Rand der HafenCity. Als Refugium für einen produktiven Kreativbetrieb. Gar nichts hatten die heutigen Kritiker dagegen, sagt die Initiative Oberhafen. Rein gar nichts. Wären da nicht die nun konkreter werdenden Abrisspläne.
Denn seit bekannt ist, dass die HafenCity GmbH das 6,7 Hektar große Areal nicht nur sanieren, sondern auch Teile des ehemaligen Güterbahnhofs abreißen will, befürchtet die Initiative den Verlust des charakteristischen Gesichts. Momentan wird die gut versteckte Industriebrache von drei lang gezogenen Backsteinschuppen, Lagerhallen und ehemaligen Gleisanlagen geprägt. Freiraum, der in den vergangenen Jahren zu einem Juwel für die Künstlerszene geworden ist. Im geduckten Ensemble unweit des „Spiegel“-Gebäudes an der Ericusspitze haben Kulissenbauer, Fotostudios und Designer günstige Produktionsräume gefunden, nachdem sich die Bahn zurückgezogen hatte. Auch bei Fotografen und Filmemachern ist das glaubwürdig rustikale Industrieambiente beliebt – zuletzt drehten etwa die „Beginner“ Teile ihres neuen Musikvideos zu „Ahnma“ im Oberhafen.
Mit der Modernisierung, die im ersten Bauabschnitt 3,9 Millionen Euro kostet, sollen nun aber auch Teile dieser reizvollen Kulisse fallen. Abschnitte der alten Schuppen sind reif für den Abrissbagger, Lagertüren werden durch Fensterfronten ersetzt. Typische Ansichten müssen laut Initiative unwiederbringlich weichen. Wobei besonders der geplante Abriss der Bahnhofshalle als stimmungsvolles Herzstück des Komplexes schmerze. „Diese Perle ist dann für Hamburg für immer verloren“, sagt Gloria Bruni, von der Initiative.
Indes wollen die HafenCity Hamburg GmbH und die Kreativgesellschaft der Stadt eigenem Bekunden nach nur das Beste für den Oberhafen. Er soll künftig noch stärker ein Zentrum für die „Kreativbranche“ werden, nach Vorstellung der städtischen Gesellschaften nur etwas regulierter als derzeit. Denn, sagt HafenCity-Geschäftsführer Giselher Schultz-Berndt: „Einige Pflänzchen sind vorhanden, wir wollen, dass dort viele Keime aufgehen.“ Die Mieten sollen auch nach der Sanierung bezahlbar bleiben. Schon 2017 ist der Einzug von neun neuen Nutzern vorgesehen, darunter auch Gastronomiebetriebe.
Gegen Umbruch und neue Nutzer habe auch niemand etwas, sagt die Initiative Oberhafen. Aber mit der vorliegenden Baugenehmigung könne man sich nicht anfreunden. Konkret will die Initiative den Abriss der Gleishalle unbedingt verhindern, weil die lichtdurchlässige Stahlträgerkonstruktion den industriellen Charme biete, nach dem sich viele sehnen. „Doch dieses Dach soll als Erstes abgerissen werden“, sagt Gloria Bruni, die Komponistin und Sopranistin ist. „Das kommt einer Amputation des Ensembles gleich.“ Tatsächlich stellt sich bei den meisten Besuchern ein Überraschungseffekt ein, wenn sie durch Schuppen 3 gehen und sich der Raum zu einer Halle weitet. „Wir können uns hier einen Markt vorstellen“, sagt Bruni und zeigt auf eine selbst gestaltete Illustration. Vorbild sei der Viktualienmarkt in München – oder Städte wie Leipzig, die ihr Industrieerbe geschmackvoll in Szene zu setzen wüssten. Im Oberhafen werde nun aber mit den Teilabrissen die „Zerstörung des Quartiers“ geplant. Ihre Vermutung: Dem Oberhafen soll sein authentisches Gesicht genommen werden, um ihn später leichter dem Boden gleichzumachen. Eine kreative Nutzung ist vorerst nur für die nächsten 20 Jahre angepeilt.
Die HafenCity GmbH dementiert. Ein Erhalt des Hallendachs sei geprüft worden, aber unter Beachtung des Brandschutzes zu teuer. Es hätte Mehrkosten „im hohen sechsstelligen Bereich“ bedeutet, das Dach einzubeziehen. Erschwingliche Mieten und teure Sanierung seien in diesem Fall nicht in Einklang zu bringen.
Ein günstiger Erhalt wäre möglich
Dem widerspricht die Initiative: Ein günstiger Erhalt wäre möglich. Mit Christiane Hahn ist eine Brandschutzexpertin in ihren Reihen, die schon Konzepte für Elbphilharmonie, Kunsthalle und Schuppen 52 begleitet hat. Durchgänge in den Lagerhallen hätten das Fluchtwegproblem gelöst, sagt sie. Der geplante Einbau eines Wassertanks sei unnötig, da es Hydranten in der Straße und andere Wasserzugänge gebe. Auch für den Hochwasserfall seien Lösungen möglich. „Insgesamt hat die HafenCity GmbH nach Vorschrift geplant, aber eben nur nach Vorschrift. Mit mehr Flexibilität wäre ein Brandschutz, der dem Ensemble gerecht wird und trotzdem die Schutzziele der Bauordnung erfüllt, drin gewesen“, sagt Hahn. „Er wäre zudem wirtschaftlicher gewesen.“
Auch Denkmalpflegerin Anna Zülch spricht beim geplanten Abriss von einem „großen Verlust für das Ensemble“. Die Art des Umgangs mit Gebäude und Nutzern sei nicht zeitgemäß. Stur nach Vorschrift sei in einem Bereich, in dem künstlerischer Freiraum entstehen soll, unangebracht. „Aus Gestaltungssicht finde ich den Abriss falsch.“
Egbert Rühl, Geschäftsführer der Kreativgesellschaft, wehrt sich gegen den Vorwurf, einfallslos zu agieren. Im Gegenteil: Der Dachabriss sei „eine Befreiung“ für den Oberhafen. Mehr Licht, mehr Freiraum. Zumal man erst die neuen Nutzer gefragt habe, um dann mit ihnen die Sanierung abzustimmen. Im Übrigen sei das Interesse am Oberhafen nach wie vor groß. 47 Interessenten hätten sich im ersten Verfahren gemeldet, weitere 50 Bewerbungen aus der Kreativbranche sind danach eingegangen.
Giselher Schultz-Berndt will am Sanierungsplan festhalten. „Wenn wir nun das Dach noch einmal neu mit einbeziehen, wird es nicht nur teurer, sondern dauert auch ein bis zwei Jahre länger.“ Das sei für neue Mieter und Bewerber unzumutbar, sie würden seit drei Jahren auf den Einzug warten. Viel wichtiger sei, dass Lösungen für den Schuppen 3 gefunden würden. Die Sanierung sei noch nicht kostendeckend. „Wenn die Initiative hier ein belastbares Finanzierungskonzept für den Erhalt vorlegt – etwa durch private Mittel – wäre das sehr wünschenswert.“ Dagegen ist die Initiative von ihrem Anliegen überzeugt. Viel Potenzial sieht sie nicht nur im überdachten Gleisbereich. Der Oberhafen als Fortsetzung der Kunstmeile mit Kunsthalle und Deichtorhallen sei eine Belebung des Gebietes. „Wir sind nicht gegen eine Sanierung, im Gegenteil, wir sind dafür. Aber dann muss man dem Ort auch gerecht werden und ihn nicht verstümmeln“, sagt Gloria Bruni.
Weitere Informationen und Unterstützung der Initiative unter: info@oberhafen.org