Hamburg. Jeder sechste Jugendliche wurde schon zum Opfer. Schüler haben Regeln zum Umgang mit sozialen Netzwerken erarbeitet.

Verunglimpfungen im Netz (Cybermobbing) breiten sich unter Hamburgs Schülern aus, und die Verunsicherung der Eltern nimmt zu. Laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest gaben 17 Prozent (jeder Sechste) der Zwölf- bis 19-Jährigen an, dass im Internet Falsches oder Boshaftes über sie verbreitet wurde (Stand: 2014). Während Experten fordern, schon in der Grundschulen Medienkompetenzen aufzubauen, sollen die Mittel teilweise sogar gestrichen werden. Vorbildlich geht eine Grundschulklasse in Billstedt voran.

„Wer ist dafür, dass Florian (Name geändert) aus der Klasse geht?“, „Florian f*** dich“. Immer wenn das Handy von Kimberley summte, erschienen solche Nachrichten auf dem Display. In der WhatsApp-Gruppe „Wir hassen Florian“ war viel los, blinkten immer wieder Nachrichten mit Beleidigungen und Lästereien auf. Die Klasse 4e wollte den aufsässigen, lauten und anstrengenden Mitschüler, der ständig provozierte, voriges Jahr am liebsten loswerden. Einer hatte dann die Idee mit der WhatsApp-Gruppe. Kimberley (11) war eine derjenigen, die mitmachten, sie war Mitläuferin und hat nichts gegen diese Lästereien, gegen die Ausgrenzung ihres Mitschülers getan. „Ich habe nicht nachgedacht“, sagt sie heute. Und dass sie einen solchen Fehler nie wieder machen werde.

Ein Teil der Klasse 4e der Grundschule Mümmelmannsberg sitzt zusammen, um über Fehler zu sprechen, auch über ihren Medienkonsum. Yusuf hat schon sechs Handys gehabt, Melek ist bei Facebook und Instagram und lädt gern Tierfotos hoch. Sie alle sind in mehreren WhatsApp-Gruppen, die heißen „Klasse 4e“, „Mädchen-Klassen-Gruppe“, „Geheimnisgruppe“, „Die coole Gruppe“ oder die „TK-Gruppe“ für Türkengruppe. Aurelia und Jan Philip bekommen erst in der weiterführenden Schule ein Handy. Obwohl Aurelia nicht in der Hassgruppe war, fühlt auch sie sich schuldig. „Ich wusste von dieser Gruppe und habe Herrn Sannmann nichts gesagt. Ich wollte nicht petzen.“

Klassenlehrer Matthias Sannmann mit
Schülern seiner vierten Klasse
Klassenlehrer Matthias Sannmann mit Schülern seiner vierten Klasse © HA | Andreas Laible

Dass es Probleme gab, bemerkte Klassenlehrer Matthias Sannmann, weil es schon in den Pausen Streit mit Florian gab. Schließlich erzählten die Schüler ihm von der WhatsApp-Hassgruppe. „Zum Glück hatte der betroffene Schüler das nicht mitbekommen“, sagt Sannmann. Er weiß, dass Mobbing, ob im Netz oder von Angesicht zu Angesicht, zu schweren Folgen bis hin zum Suizid führen kann. „Cybermobbing kann in einer nur von Grundschülern genutzten WhatsApp-Gruppe schnell außer Kontrolle geraten, oder die Kinder begeben sich selber in Gefahr, da sie viele Sicherheitsregeln im Umgang mit dem Internet noch nicht kennen“, sagt Sannmann. Seine 4e war auf dem Weg, sich in so ein Szenario zu manövrieren. Klassenlehrer Sannmann, der am Landesinstitut für Lehrerfortbildung für dieses Thema Fortbildungen anbietet, wurde sofort tätig. Im Medienunterricht, in dem es um die Nutzung von Internet und sozialen Netzwerken geht, wurde der Fall aufgearbeitet. Anhand von Rollenspielen erlebten die Schüler, wie es ist, ein Mobbingopfer zu sein. Die Schüler haben außerdem Regeln zum Umgang mit sozialen Netzwerken erarbeitet.

„Ich bin sehr stolz, dass sie die Courage hatten, ihre Fehler zuzugeben und daraus zu lernen“, sagt Sannmann. Seine Schüler, sagt er, seien nun „in der Lage, sich oder zukünftigen Mitschülern zu helfen, wenn diese Probleme haben.“ Er fordert, dass alle Grundschulen den Schülern helfen sollten, kompetente und selbstreflektierende „digital natives“ zu werden. „Und eben keine naiven, suchtgefährdeten Konsumenten, die viel leichter zu Tätern und Opfern von Cybermobbing werden.“

Von 203 Hamburger Grundschulen können sich 30 Abc-Schulen nennen, weil Lehrer an einer Fortbildung zur Medienerziehung teilgenommen haben. „Cybermobbing ist noch gefährlicher als Mobbing von Angesicht zu Angesicht, weil es schneller ist und niedrigschwelliger“, sagt Sannmann. Das Smartphone senkt die Hemmung.

Nun soll ausgerechnet das Geld für medienpädagogische Arbeit gestrichen werden. Bisher wird das ElternMedienLotsen-Projekt von Tide aus Mitteln der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein gefördert – der Medienstaatsvertrag soll aber geändert werden und die Förderung der Medienkompetenz nicht mehr verpflichtend sein. „Das würde das Aus für die Elternmedienlotsen bedeuten“, sagt Projektleiterin Barbara Lenke. 25 Elternlotsen haben allein 2016 an 100 Elternabenden über Medienerziehung informiert. Die Mutter eines Fünftklässlers, die an so einem Elternabend teilgenommen hat, sagt: „Der Abend zu Handynutzung und Cybermobbing war hilfreich und sollte Pflichtprogramm sein.“