Hamburg. Bei Tesla werden Reservierungen für das Model 3 angenommen. Warum Dutzende Kunden ein Auto haben wollen, das sie nicht kennen.
Wer kauft schon ein Auto, das er noch gar nicht kennt und das er vermutlich frühestens in zweieinhalb Jahren fahren kann? Kai Fritsch zum Beispiel. Der Sport- und Mathematiklehrer aus Hannover war Donnerstagmorgen die Nummer zwei in der Schlange vor dem Geschäft des Elektroautobauers Tesla an den Großen Bleichen in der Hamburger Innenstadt. Als sich die Türen des Ladens um 10 Uhr öffneten, standen rund 50 weitere Kunden hinter ihm. Auch sie zahlten 1000 Euro an, um sich einen Platz möglichst weit vorn auf der Reservierungsliste für das Model 3 zu sichern, mit dessen Produktion der Autobauer aus Kalifornien Anfang des kommenden Jahres beginnen will. Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde der neue Tesla-Typ erst heute früh.
Die Katze im Sack kaufen? Für Kai Fritsch kein Hinderungsgrund, und der Termin war für ihn günstig. In Niedersachsen sind noch Ferien. „Ich bin überzeugt, dass das Tesla-Konzept aufgeht. Deshalb habe ich auch einige Aktien des Unternehmens“, sagte der 38-Jährige.
Um zu den Ersten mit einer Reservierung zu gehören, war er schon am Abend zuvor mit dem Wohnmobil samt Anhänger aus Hannover nach Hamburg gekommen. An den Großen Bleichen fuhr er um 8 Uhr in seinem Renault Twizy vor, einem Kleinwagen mit Elektroantrieb, aber ohne Fensterscheiben. Mehr ein Spaßauto.
Nun soll es ein Elektroauto für den täglichen Gebrauch sein, mit dem man auch in den Urlaub nach Spanien fahren kann, ohne unterwegs mit leerer Batterie liegen zu bleiben. Fritsch ist überzeugt, dass ein Tesla deshalb die richtige Wahl für ihn ist. „Bislang hat mich kein anderes Modell wirklich umgehauen. Außerdem hat das Unternehmen ein eigenes Netz von Ladestationen aufgebaut.“ Und dass ihm das wahrscheinlich knapp über 30.000 Euro teure, neue Auto absehbar erst Mitte oder Ende 2018 ausgeliefert wird, sei kein Problem.
Für den Hersteller Tesla ist die Limousine der Einstieg in den Massenmarkt. Bislang hat das im Jahr 2003 vom Paypal-Mitgründer Elon Musk ins Leben gerufene Unternehmen mit der Limousine Model S (ab 76.500 Euro) und dem Luxus-SUV Model X (ab 109.000 Euro), das in Deutschland erst in der zweiten Hälfte dieses Jahres erstmals ausgeliefert werden soll, nur zwei Hochpreismodelle im Angebot.
Die Erwartungen an das Model 3 sind bei Autoexperten und Analysten groß. Der Wagen habe „das Potenzial, den Gesamtmarkt für Elektroautos dramatisch auszuweiten“, zeigte sich die US-Investmentbank Goldman Sachs überzeugt. Die Schweizer Bank Credit Suisse kalkuliert mit 100.000 Vorbestellungen für das Model 3. Der neue Typ gilt sogar als Nagelprobe, ob Autos mit Elektroantrieb tauglich für den Massenmarkt sind. „Mit dem Tesla 3 hat das Elektroauto die Chance, in die Mittelklasse vorzudringen“, erklärte der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg Essen.
Wenig war bekannt über das neue Modell
Dabei war bis heute früh relativ wenig bekannt über den neuen Tesla. Dass es wieder eine Limousine ist, dass der Wagen wie die anderen Modelle des Herstellers und nach dessen Angaben mehr als 400 Kilometer Reichweite mit einer Batterieladung haben wird, dass Tesla mit einem Preis von 35.000 Dollar (31.000 Euro) kalkuliert – so viel war bekannt gegeben worden oder durchgesickert, in Internetforen kursierten Animationen des möglichen Erscheinungsbildes.
Doch der Vorstoß in den Massenmarkt ist für Tesla und seine Aktionäre zugleich auch ein großes Wagnis. Das Unternehmen, das seit seiner Gründung noch keinen Jahresgewinn geliefert hat, nimmt hohe Kosten in Kauf. Der riskante Plan muss aufgehen. Das Model 3 ist ein wichtiger Mosaikstein, um in Zukunft einmal richtig Geld zu verdienen.
Ein weiterer entscheidender Faktor ist der Aufbau einer riesigen Fabrik für Batterien, mit denen die Fahrzeuge eines Tages betrieben werden sollen. Diese „Gigafactory“ entsteht im US-Bundesstaat Nevada und verschlingt Milliarden Dollar. Bislang ist Tesla für Aktionäre nur ein Versprechen. „Ob sich das langfristig auszahlt, weiß heute noch niemand“, sagt Ferdinand Dudenhöffer. Doch gebe das Unternehmen dem Elektroauto eine wirkliche Bühne, so der Autoexperte. „Tesla hat gezeigt, dass man als Start-up der Branche wirklich einen innovativen Impuls geben kann.“
Im Hamburger Showroom wurde der erste künftige Model-3-Besitzer, der mit seiner Reservierung die Treppe aus dem ersten Stock wieder hinabstieg, von den Wartenden noch mit Applaus empfangen. Kai Fritsch sah sich, nachdem das Geschäftliche erledigt war, noch ein bisschen in der Filiale um – und freute sich darauf, am heutigen Freitag ganz früh aufzustehen. Denn um 5.30 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit begann im Internet die Übertragung der Model-3-Präsentation in Kalifornien. „Ein ganz wichtiger Termin.“ Fritsch konnte das Auto, für das er 1000 Euro Reservierungsgebühr bezahlt hatte, erstmals sehen. Sollte es ihm wider Erwarten nicht gefallen haben, wäre das kein großes Problem: Tesla zahlt das Geld wieder aus, wenn die Reservierung zurückgegeben wird.