Hammerbrook. Das KoZe zieht zunehmend linke Gruppen an. Der Verfassungsschutz warnt. Das Abendblatt sah sich in der teilweise besetzten Kita um.
Die Autonomen der Roten Flora schalten sich in den Konflikt um das „Kollektive Zentrum“ (KoZe) ein. „Wir und viele andere werden bei Angriffen auf das KoZe nicht tatenlos zuschauen!“, heißt es in einer Mitteilung des Flora-Plenums. Es solle dafür gekämpft werden, dass die besetzte Kita im Münzviertel erhalten bleibe. Vertreter des KoZe sagten dem Abendblatt, die Zahl der Besetzer sei auf mehr als 300 Menschen gestiegen. Die Finanzbehörde hatte am Montag vor dem Nachbargebäude einen Bauzaun errichten lassen. Dort stehen sich jetzt Polizei und Besetzer gegenüber.
Vier Tage vor der Eskalation sitzt Stefan* im Innenhof und baut an einer Drehzigarette. Aus Kiesbeeten ragen wild besprühte Schilder und Schaufensterpuppen, alle vier Minuten rollt hinter dem Zaun ein Polizeiwagen entlang. „Wir sind jetzt die große Bedrohung der Gesellschaft“, sagt Stefan, etwa 30 Jahre alt, schmale Schultern, Nickelbrille. „Das zeigt, dass einige Menschen immer noch sehr wenig verstanden haben – und dass wir weit gekommen sind“.
Eine Woche später herrscht der Ausnahmezustand am „Kollektiven Zentrum“ (KoZe). Am Montag kamen Arbeiter und zwei Hundertschaften der Polizei, brachen das Tor auf und errichten einen Bauzaun für die Asbestsanierung der angrenzenden Schwerhörigenschule. Seit Dienstag stehen sich Besetzer und Beamte im Innenhof der besetzten Kita gegenüber, Tag und Nacht, ohne dass eine Lösung in Sicht ist. Der Konflikt um das KoZe „ist ein Pulverfass mit bereits glimmender Lunte“, heißt es in Polizeikreisen.
Die Finanzbehörde will auf dem Areal nahe dem Hauptbahnhof rund 400 Wohnungen bauen lassen, „auch gegen Widerstand einzelner Gruppen“. Die linke Szene – vom gemäßigten Gängeviertel bis zur Roten Flora – solidarisiert sich mit den KoZe-Besetzern. „Wir spüren, dass die unterschiedlichsten Hoffnungen in uns gesetzt werden“, sagt Stefan, dabei wolle das KoZe nur ein selbstbestimmter, freier Raum sein. Mehr als 300 Besetzer sind sie nun. Ein bunter Haufen von harten Autonomen und Gelegenheitsdemonstranten, die gemeinsam die Frage beantworten sollen, ob sich linke Autonomie mitten in der Stadt durchsetzen lässt.
Der Besetzer Charlie* steht im Erdgeschoss des KoZe und gibt Wegbeschreibungen. Die Flure sind mit Fahnen und Plastikfischen an Schnüren geschmückt, an den Wänden hängen feingerahmte Zeitungsartikel, in denen das KoZe von Ermittlern des Landeskriminalamtes als „zweite Rote Flora“ betitelt wird. Zwei junge Männer sind zum ersten Mal im KoZe, eine gepierctes Mädchen federt im Faltenrock vorbei und singt lauthals, „Grün, Grün, Grün, sind alle meine Kleider“, immer wieder.
„Das Geniale ist, dass hier einfach jeder er selbst sein kann“, sagt Charlie, ein Endzwanziger mit Kinnbart. Fast jeden Tag kämen Neulinge aus allen Ecken der Stadt, Schüler und Sozialpädagogen, Studenten und einige Handwerker. Manche von ihnen müssen aber zunächst bei Routendiensten im Internet suchen, wo dieses Münzviertel eigentlich liegt. Die Alteingesessenen nehmen sie im Empfang und knüpfen erste Kontakte. „Irgendwer kocht immer, es gibt die T-Shirt-Druckerei und die Fahrradwerkstatt“, sagt Charlie. Eine Gruppe will einen Wikipedia-Eintrag zum KoZe erarbeiten.
Polizeieinsatz im „KoZe“ - vier Festnahmen
Wer den gemeinsamen Grundsätzen zustimme, dürfe gern jeden Tag ins KoZe, sagt Stefan. „Das heißt in erster Linie, jegliche Kommerzialisierung abzulehnen und keinerlei rassistischen, antisemitischen oder sonstigen hirnrissigen Positionen zu vertreten.“ Alle anderen dürfen sich austoben, Kunst aufbauen, am Gebäude herumspielen.
Draußen im Hof hat einer „Fuck the System“ an die Wand gekritzelt, ein anderer strich es durch. Im Eingangsbereich sind Plakate in den Boden gerammt, darauf wird die „städtische Immobiliengesellschaft mit „Lügen, Intrigen, Gelaber“ abgekürzt. Stefan sagt, man wolle niemandem etwas verbieten. „Als wir hier mit dem KoZe angefangen haben, war das Münzviertel ein toter Fleck, den alle ein bisschen vergessen hatten. Ich bin über jede Aktivität froh, auch wenn es nicht den Erwartungen entspricht“.
Vor ein paar Monaten noch sagte Stefan, dass es im KoZe um eine Belebung des Viertels, aber „auch um Politik“ gehe. Nun sagt er: „Natürlich haben wir einen politischen Anspruch für gerechte Stadtentwicklung, über dieses Gebäude und dieses Viertel hinaus.“
Im KoZe tummeln sich demokratische Gruppen und gewaltbereite Extremisten
Die Politik im KoZe wird in kleinen Räumen im Obergeschoss organisiert. Dort stehen Sofas, Computersessel und Essstühle in schiefen Kreisen. Einmal in der Woche trifft sich das 20-köpfige Plenum, dort gilt Redezeitbegrenzung, man will „zielführend“ bleiben. Auch gestandene Linksaktivisten aus anderen Zentren stehen plötzlich vor der Tür und wollen im Münzviertel tagen. „Wir verlangen kein Geld, nicht mal einen Soli-Beitrag“, sagt Stefan, deshalb kommen die Gruppen in Scharen.
Worüber die Aktivisten in den Räumen sprechen, sei ihre Sache, heißt es von den Besetzern. Der Verfassungsschutz teilt auf Abendblatt-Anfrage mit, dass sich im Umfeld des Zentrums im Münzviertel „die vielfältigsten Gruppierungen, darunter viele aus dem demokratischen Spektrum“ tummelten.
Unter den offiziellen Unterstützern des KoZe sind jedoch auch Gruppen wie die gewaltbereite „Interventionistische Linke" und der „Rote Aufbau“, eine Splittergruppe des berüchtigten Zentrums „B5“ an der Brigittenstraße. Es sei eine bekannte Strategie dieser Gruppen, sagt Marco Haase vom Verfassungsschutz, „auch das Thema KoZe für ihre Zwecke zu missbrauchen.“ Entsprechend müssten die Besetzer aufpassen, „mit wem sie sich ins Bett legen“. Dass sich auch die Rote Flora mit KoZe solidarisiere, argwöhnen auch einige Besetzer, könnte nur ein Trick zur Eigenwerbung sein.
Abends treffen im KoZe alle Strömungen zusammen, auf alten Cocktailsesseln in der Hauskneipe. Stefan steht am Donnerstag hinter dem Tresen, aus Boxen scheppert Deutschrock von Madsen, wenn der Laden voll ist, weicht der stets besorgte Blick in Stefans Miene auf. Einen anderen Job als Besetzer hat Stefan nicht, mit seinen Kollegen aus dem Plenum pflegt er das Schriftwerk, auch das „Bullen- und Offiziellen“-Protokoll, auf der jeder Kontakt mit dem Staat vermerkt wird.
Er könne das Gerede von der Gewaltbereitschaft nicht mehr hören, sagt Stefan zu fortgeschrittener Stunde, als die Autonomen „Elbpaul“-Bier trinken und die Stapel der Flyer auf dem Tresen kleiner werden – auch die von Antifa und „Roter Aufbau Hamburg“. “Aus dem KoZe heraus wurde noch nie Krawall gemacht, deshalb stellt sich das Problem nicht“, sagt Stefan. Wer ihn fragt, was eigentlich der nächste Schritt, der Plan für das KoZe sei, dem antwortet er: „Wir versuchen erst einmal, stehen zu bleiben“.
Einige Tage später wird der Staatsapparat kommen und nicht mehr gehen. Als vier Besetzer von der Polizei in Gewahrsam genommen werden, steht Stefan hektisch telefonierend an der Norderstraße und sagt: „Es ist nun eine Spirale im Gang, die kein Einzelner mehr leicht aufhalten kann.“
* Name geändert