Eppendorf. Die Abendblatt-Serie Rechtsmedizin Teil 2: Die spannendsten Kriminalfälle des Hamburger Professors Klaus Püschel.
Er war keiner von der leisen Sorte. Keiner, der das Verborgene schätzte und die Bescheidenheit. Er wollte, dass es sich in einschlägigen Kreisen rumsprach, wie er seine Jobs erledigte, hart, solide und zuverlässig. Ein Mann, der ohne zu zögern tötet, sachlich, schnell, vorzugsweise mit einem Schuss in den Kopf, am besten von hinten. „Ich bin der Eliminator. Alle haben Angst vor mir“, sagte der als „St.-Pauli-Killer“ bekannt gewordene Werner „Mucki“ Pinzner über sich selber. Acht Auftragsmorde habe er ausgeführt, erzählte der 39-Jährige, und er schien stolz darauf zu sein. Seine letzten Verbrechen jedoch waren Bluttaten in eigener Sache: sein „Abgang“, sorgsam geplant und gewollt spektakulär, bei dem er zwei Menschen mit in den Tod nahm. Er ermordete mit der ihm eigenen Kaltblütigkeit den Staatsanwalt Wolfgang Bistry, tötete dann seine Frau Jutta und unmittelbar danach sich selber.
Es war eine Tat, die Hamburg erschütterte, eine Stadt, die ohnehin schon aufgewühlt und beunruhigt war durch etliche Morde im Milieu, als rivalisierende Banden auf dem Kiez Stärke und Macht demonstrieren wollten. Und mittendrin der St. Pauli-Killer, der in Vernehmungen gestanden hatte, für mehrere dieser Verbrechen verantwortlich zu sein. Der angeblich noch einmal richtig auspacken wollte bei einer weiteren Befragung im Polizeipräsidium. Doch dieser 29. Juli 1986 wurde nicht der Höhepunkt einer Serie von aufgeklärten Morden, sondern ein blutiges Desaster – ausgerechnet im Hochsicherheitstrakt. Damit wurde die Polizei ins Mark getroffen.
„Die Gerichtsmedizin kann nicht die Gedanken und die Phantasie im Gehirn des Mörders analysieren. Wir dokumentieren seine konkreten Taten, in diesem Fall das ungewöhnliche Selbstmordgeschehen“, sagt Prof. Dr. Klaus Püschel über diese spektakuläre Konstellation. „Die Fälle aus dem St.-Pauli-Milieu haben auch für mich wegen ihres speziellen Lokalkolorits etwas Besonderes.“ Mit einem Revolver, den seine Frau Jutta mit Hilfe einer Verteidigerin ins Präsidium geschmuggelt hatte, erledigte Pinzner sein letztes, lang geplantes Verbrechen. „Das ist eine Geiselnahme“, schrie er plötzlich, wenig später fielen Schüsse. Augenblicke danach fanden Polizeikräfte in Zimmer 418 des Polizeipräsidiums den durch einen Kopfschuss schwer verletzten Staatsanwalt. Werner Pinzner und seine Frau Jutta lagen sterbend da, dicht nebeneinander. Der 39-Jährige hatte die Waffe noch in der rechten Hand, die auf seinem Brustkorb ruhte.
Pinzner schoss seiner Frau und dann sich selbst in den Mund
„Pinzner hat seine Frau durch einen Schuss in den Mund getötet. Auch den anschließenden Suizid beging der Mann auf dieselbe Weise“, erklärt Püschel, der seinerzeit an den Obduktionen des Profikillers und dessen Frau beteiligt war. „Suizide durch Schüsse in den Mund sehen wir öfters.“ Aber Tötungsdelikte mit dieser Methode seien „sehr ungewöhnlich. Es gab bislang nur zwei dieser Art in Hamburg“. Außer Jutta Pinzner traf es einen Mann in einem Abbruchhaus auf St. Pauli, der durch einen Fernschuss in den weit geöffneten Mund gestorben war. Dieser Fall wurde nie sicher aufgeklärt.
Bei Jutta Pinzner war die Sachlage eindeutig. „Wenn es die Möglichkeit gibt, bitte nimm mich mit oder wenigstens sorg dafür, dass ich tot bin“, schrieb die 39-Jährige ihrem am 15. April 1986 festgenommen Mann über Kassiber in den Knast. „Mein letzter Wunsch wäre, dass wir zusammen gehen.“ Und: „Du bist mein Gott.“ Diese offensichtliche psychische Abhängigkeit der in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsenen und unbescholtenen Frau von ihrem hochkriminellen Mann sei aufsehenerregend, ebenso die Art, wie sie sich von ihm töten ließ, so Püschel. „Ich habe es sonst noch nie erlebt, dass ein Partner sich hinhockt und in den Mund schießen lässt, so wie Jutta Pinzner es getan hat“, sagt der Rechtsmediziner. Dies sei eine sichere Tötungsmethode. Anschließend hatte sich Pinzner neben die Leiche seiner Frau gekniet, den Lauf der Waffe in seinen Mund geschoben und abgedrückt.
Bei der Obduktion beider Eheleute wurde jeweils ein Kopfdurchschuss von unten nach schräg oben festgestellt, unter anderem mit schwersten Hirnverletzungen und Knochenzertrümmerung des Schädels. Auch Staatsanwalt Bistry, schwer getroffen und mit dem Notarztwagen ins UKE verbracht, erlag einen Tag später seinen Verletzungen. Eine Kugel aus Pinzners Revolver, einem 38er Smith & Wesson, war in seine Stirn eingedrungen und hatte die nicht zu überlebenden Hirnverletzungen verursacht. Eine Notoperation hatte den 40-jährigen Juristen nicht retten können. Zudem hatte ein Projektil den Ringfinger seiner linken Hand zertrümmert.
„Ob es eine oder zwei Kugeln waren, die den Staatsanwalt verletzten, konnte nie abschließend festgestellt werden“, erläutert Püschel. „Ein Gutachten kam später zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich nur ein Projektil war.“ Offenbar hatte Bistry reflexartig zum Schutz des Kopfes die Hand vors Gesicht gehalten, die zunächst von der Kugel durchschossen wurde, ehe das Projektil dann in den Kopf des Mannes eindrang. „Soweit meine Erinnerung reicht, war dies das einzige Mal, dass in Hamburg ein Staatsanwalt im Dienst getötet wurde“, erklärt Püschel. „Wir alle in der Rechtsmedizin waren schwer betroffen, da wir mit der Staatsanwaltschaft intensiv zusammenarbeiten.“
Nur wenige Wochen zuvor hatten Bistry und mehrere Kripobeamte von Pinzner Geständnisse gehört, auf die sie lange gewartet hatten. „Ich habe acht Menschen umgebracht und werde Ihnen alles erzählen“, hatte der gebürtige Bramfelder, Sohn eines Rundfunkmechanikers, gelockt. Sein erster Auftrag lautete, dass Pinzner einem Mann eine „beipulen“ solle. Er soll ihn auf den Kopf hauen oder den Finger abhacken. Aber der 39-Jährige sagte, er wolle es auf seine Art machen, er quäle keine Leute. „Ich sag, ich geh hoch und knall ihn weg.“ Er habe seine Aufträge, schrieb er an seine Schwester, „so gut ich konnte, erledigt. Du, das ist ein Job wie jeder andere. Das Arbeitsamt hatte ja doch nichts für mich.“
Pinzner prahlte gern und behauptete, er sei der „Killer der Nation“
Und tatsächlich liefert er seinen Auftraggebern das, was sie gesucht hatten: zuverlässige Tötungen, prompt erledigt. Er sei der „Killer der Nation“, prahlte Pinzner. Es lief wie am Schnürchen. Zum Beispiel am 7. Juli 1984, als Pinzner in Kiel einen ehemaligen Bordellbesitzer mit einem Kopfschuss ermordete. Gut zwei Monate später tötete er einen Zuhälter von hinten mit einer Kugel in den Kopf, wiederum Wochen später erledigte er einen weiteren Mann aus dem Milieu auf dieselbe Art. Und ein halbes Jahr darauf brachte er zwei Männer mit Schüssen um.
Es sei nichts Persönliches gewesen, erklärte der St.-Pauli-Killer später. „Es war mein Geld, was mich da motiviert hat. Einzig und allein mein Geld.“ Zwischen 20.000 und 40.000 Mark bekam er für eine Hinrichtung. Es reichte nicht für einen der vorderen Plätze in der Hierarchie auf dem Kiez, nicht für den besonderen Luxus. Und so stellte Pinzner sich vor, nach seiner Festnahme endlich den erhofften Respekt des Milieus zu bekommen, weil die anderen vor ihm zittern sollten, vor ihm, der so richtig in Vernehmungen auspacken könnte.
„Nun schießen Sie mal los“, hatte Staatsanwalt Bistry den mehrfachen Mörder zuletzt zum Erzählen aufgefordert. Pinzner hätte noch viel ausplaudern können, von etwaigen weiteren Taten, von Hintermännern oder auch von der Leichtigkeit, mit der er, der seit Langem drogensüchtige Mann, im Knast jederzeit an Heroin oder Kokain kommen konnte. „Bei Pinzners Obduktion fanden wir etliche Einstichstellen“, sagt Rechtsmediziner Püschel, „manche waren älter, andere zum Teil nur wenige Stunden alt.“ Eine weitere Besonderheit: Im Magen des St. Pauli-Killers wurden zahlreiche Quecksilberkügelchen gefunden.
„Pinzner wollte offenbar in jeder Hinsicht sicher gehen, dass er ins Jenseits gelangt“, sagt Püschel. „Woher er das Quecksilber hatte, wurde nie ermittelt. Genauso wenig, wie wir die Beschaffungswege für diverse Drogen kennen. Pinzner war offensichtlich schwerst drogenabhängig.“
Vor allem jedoch hatte Pinzner ja seinen Revolver, mit dem er gut umzugehen wusste. Dass sein Abgang spektakulär werden würde, hatte er lange vorgeplant. In einem braunen Kuvert, das er zur Vernehmung mitgebracht hatte, stand: „Ich werde noch mal hinlangen. Die Schweine haben mich ja so geflachst. Viele Grüße. Mucki“.