Domenica ging hier ein und aus, heute kommt auch mal Ulrich Tukur vorbei. Für Bezirksamtsleiter Andy Grote wie auch für viele andere auf dem Kiez, ist St. Pauli ohne Horst nicht mehr vorstellbar.
Hamburg. Zärtlich streicht er dem zufrieden lächelnden Buddha, der zwischen den Schnapsflaschen oben im Regal steht, über den dicken Bauch. „Mit der linken Hand, das ist wichtig“, sagt Horst Schleich. „Sonst bringt es kein Glück.“ Aberglaube war schon immer eine Schwäche von Crazy Horst, wie sie ihn wegen seiner gleichnamigen Bar an der Hein-Hoyer-Straße nennen.
Manches Ritual praktiziert er bis heute. „Wenn einmal nichts los ist, muss man vom Weg hinterm Tresen bis zur Tür Salz streuen“, erzählt Horst. Wichtig sei dabei aber die Richtung, sonst komme keiner. „Vor der Tür muss man dann einen Korn in alle Richtungen kippen, damit die Leute von überall kommen.“ Solche Tricks hat der 69-Jährige eigentlich überhaupt nicht nötig. Seine Bar, die am Montag ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert hat, ist auf dem Kiez längst Kult. „Meine Mutter wollte jahrelang nichts davon hören, was ich hier mache“, sagt Horst.
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„Erst als sie zum zehnjährigen Bestehen der Kneipe nach Hamburg gekommen ist und die Band, die Gäste und die Limousinen vor der Tür gesehen hat, war sie stolz auf mich.“ In dem kleinen, nordhessischen Dorf, in dem Horst-Volker Schleich im Oktober 1944 geboren wurde, wollte man mit St. Pauli nicht viel zu tun haben. „Der Sohn als Wirt auf dem Kiez? Das wäre dort nicht gut angekommen“, sagt der Mann mit der rauchigen Stimme, der als 13-Jähriger zum ersten Mal die Hansestadt besuchte. Ein „Urknall“, wie Horst heute sagt. Mit Anfang 20 zog er 1966 zu seiner Tante nach Hamburg, jobbte mal hier und mal da. „Kann ich nicht gibt’s nicht“, lautet bis heute sein Motto. Was er auch anpackte, wurde gut. „Als Vertreter für Hoover sollte ich am Tag vier Maschinen verkaufen. An manchen Tage habe ich das Zehnfache geschafft.“ Doch nachdem er sich mit der Firma überworfen hatte, beschloss der gebürtige Hesse, sein eigenes Ding zu machen. „Ich hatte ja mittlerweile ein Schweinegeld verdient.“
Nachdem er zunächst ein Lokal am Großneumarkt betrieb, eröffnete Horst am 4. August 1974 an der Otzenstraße das Crazy Horst – angelehnt an das Kabarett Crazy Horse in Paris. 1982 folgte der Umzug an die Hein-Hoyer-Straße. Horst hatte sich da bereits einen Namen gemacht, hatte Anteile an einem Bordell. „Irgendwann kannte ich jede Hure auf St. Pauli“, sagt Horst, der sich vor einiger Zeit einer Krebsoperation unterziehen musste.
Besonders eng war die Freundschaft zu Domenica Niehoff, der wohl berühmtesten Prostituierten Deutschlands. Fast sieben Jahre wohnte Domenica im zweiten Stock über der Bar. Crazy Horst sei ihr zweites Wohnzimmer gewesen. „Domenica hatte ein großes Herz, manchmal vielleicht sogar etwas zu groß“, sagt Horst.
Wenn es zwischen den Luden zum Streit kam, stellte sich Horst dazwischen und erwarb so bald den Ruf als der „faire Wirt vom Kiez“, wie ihn das Hamburger Abendblatt einst nannte. „Ich bin Waage durch und durch“, sagt Horst über sein Sternzeichen. „Harmonie und Gerechtigkeit sind für mich das Wichtigste.“ So habe er sich das Vertrauen im Milieu erarbeitet. Das Publikum auf dem Kiez habe sich verändert, sagt Horst. Heute trinken vor allem Touristen und Studenten ihr Bier bei ihm. Die Kneipe hat bei jungen Gästen Kultstatus. „Kult kannst du nicht planen“, sagt Horst und blickt auf die mit bunten Leuchtschläuchen verzierten Wände. „Und er ist nicht von Dauer.“
„Natürlich ist Horst etwas teurer als manch andere“, sagt Gabi aus dem nahe gelegenen Na und? am Paulinenplatz. „Aber er kann es sich leisten, viele kommen nur seinetwegen. Er legt immer großen Wert darauf, dass sich die Gäste wohlfühlen und hat stets die besten Kellner auf dem Kiez hinterm Tresen stehen.“ Vielleicht ist das der Grund, warum Prominente wie Eva Mattes oder Ulrich Tukur, mit dem er vor zehn Jahren das Piano für seine Bar kaufte, Horst die Treue halten. Noch heute singen sie jedes Jahr am ersten Weihnachtsfeiertag ihre Lieder, während Ulrich Tukur auf dem Piano spielt.
Horst hat nicht vor, vorzeitig das Handtuch zu werfen. „Hier kriegt mich niemand weg“, sagt Horst. Dazu nimmt er sich auch mit fast 70 Jahren immer noch zu gern die Zeit, um mit seinen Gästen an der Bar zu sitzen und seinen geliebten Osborne zu trinken. Manchmal bis in den frühen Morgen.
Doch wer mit Horst am Tresen sitzt, der muss stets ein wachsamer Zuhörer sein. „Horst hat für jeden den passenden Spruch parat“, weiß auch der Bezirksamtsleiter von Mitte, Andy Grote (SPD), der nach Feierabend gern mal vorbeischaut.
Für Andy Grote wie auch für viele andere auf dem Kiez, ist St. Pauli ohne Horst nicht mehr vorstellbar. Der Gefeierte selbst sieht es gelassen: „Ich hasse Rückblicke. Heute will ich leben, und morgen entscheidet der liebe Gott.“ Angst, dass es irgendwann keine Läden wie das Crazy Horst gibt, hat er nicht. „St. Pauli verändert sich. Warum sollen die jungen Leute nicht auch etwas Neues und Gutes schaffen?“