Susanne Faerber führt als neue Chefin des Panoptikums das Erbe ihres Ururgroßvaters weiter – obwohl ihr als Managerin die Welt offensteht. Alexander Schuller über eine Traditionalistin, die aber keineswegs von gestern ist.
Natürlich wissen die Hamburger, dass es uns gibt. Sie wissen selbstverständlich auch, was das Panoptikum ist. Aber die wenigsten unserer Besucher leben in der Stadt – unsere Hauptzielgruppe sind die Touristen, ganz klar“, sagt Susanne Faerber. Sie ist die geschäftsführende Gesellschafterin des ältesten und einzigen deutschen Wachsfigurenkabinetts, das in einem späten 50er-Jahre-Bau am Spielbudenplatz Nummer 3 residiert. Susanne Faerbers Großvater hat es entworfen, es steht direkt neben dem Operettenhaus.
Im Panoptikum ist alles ein bisschen anders: Zum einen ist es betagt, noch ein echtes Stück des alten, familientauglichen Vergnügungsstadtteils St. Pauli. Seit 135 Jahren ist es für die Öffentlichkeit zugänglich. Es hat sich auch nur einmal, zehn Jahre nach seiner Gründung 1879, um wenige Meter von seinem ursprünglichen Standort am Spielbudenplatz Nr. 5 bis 8 bewegt. Darüber hinaus befindet es sich seit seiner Gründung durch den ostpreußischen Holzbildhauer Friedrich Hermann Faerber ununterbrochen in Familienbesitz.
Und allem Anschein nach wird dies auch so bleiben. Denn während viele junge Menschen nach dem Abitur auf der Suche sind, hat Susanne Faerber die Frage nach ihrer beruflichen Zukunft längst entschieden. Dabei ist sie erst 22 und studiert, macht zurzeit ihren Master of Science in Management auf der Kühne Logistics University in der HafenCity. Sie ist hochgewachsen, trägt einen Bob und eine rechteckige Hornbrille sowie ein freundliches, häufig strahlendes Lächeln im Gesicht. Insgesamt wirkt sie wohl reifer und besonnener als die meisten Frauen ihres Alters. Das weiß sie selbst am besten. „Ich werde zumeist auf 30 geschätzt“, sagt sie, „vielleicht wirke ich etwas kühl und zurückhaltend und werde daher auch häufig von unseren Mitarbeitern strenger wahrgenommen, als ich es in Wahrheit bin.“
Die seltenen „ernsthaften“ Personalgespräche führt zurzeit noch ihr Vater, stellt sich jedoch jemand Neues vor, dann bittet neuerdings Susanne Faerber den Bewerber in ihr kleines, fensterloses, aber ruhiges Büro. Ihr Großvater hatte dem administrativen Bereich bei seiner Planung wenig Beachtung geschenkt.
Die altgedienten Mitarbeiter kennen das jüngste Familienmitglied, seit-dem es ein Baby war und neben dem Schreibtisch seiner Mutter Beate im Körbchen lag. Gut 20 Jahre hatte die eingeheiratete Beate Faerber, Tochter einer hanseatischen Kaufmannsfamilie (und von Haus aus eigentlich Biologie- und Chemielehrerin), die Geschäfte des Hauses geführt. Auf diese Weise konnte ihr Mann Hayo seinem Arztberuf nachgehen und eine internistische Praxis führen. Im legendären „St.-Pauli-Paten“ Willi Bartels hatte Beate Faerber einen glühenden Verehrer, natürlich nur kaufmännisch gesehen.
Kaum dass sie sitzen konnte, bekam die kleine Susanne einen eigenen Kinderschreibtisch, und noch bevor sie eingeschult wurde, durfte sie auf dem Schoß der Kassiererin sitzend Eintrittskarten verkaufen. „Ich fand das viel spannender als den Kindergarten, und dass ich so eine sehr, sehr enge Bindung zu unserem Familienunternehmen bekam, konnte wohl nicht ausbleiben. Aber ganz ehrlich: Mich hat niemand gezwungen, aktiv in die Firma einzutreten. Ich hätte – wie mein Vater auch, der ja eigentlich Internist ist – etwas ganz anderes studieren können. In diesem Fall hätten wir sicherlich eine vernünftige Lösung gefunden.“ Vernunft, vernünftig: Diese Wörter verwendet sie recht häufig. Sie macht aber keinen Hehl daraus, dass schon so mancher versucht habe, ihr den eigenen Lebens- und Businessplan auszureden. Die erfolgreichen Manager zum Beispiel, denen sie während ihrer Praktika in Uruguay und Kanada begegnete. Deren Tenor dabei lautete stets: „Mensch Mädchen, dir steht doch die ganze Welt offen! Verschenke doch nicht leichtfertig dein Potenzial!“
Susanne Faerber lächelt, aber keineswegs verlegen, sondern selbstbewusst. „Das Panoptikum ist der wichtigste Teil in meinem Leben. Mein Vater hat sich nach dem Tod meiner Mutter vor acht Jahren auch dazu entschlossen, seine Praxis zu schließen und die Zeit als Geschäftsführer so lange zu überbrücken, bis ich einsteigen würde. Sein Argument damals hieß: ‚Es gibt massenhaft Arztpraxen – aber es gibt nur ein Panoptikum...‘“ Wer in einer (Familien-)Tradition so stark verhaftet ist wie Susanne Faerber, kann nur schwer mit ihr brechen. Wahrscheinlich niemals.
Andererseits gehört ihr Vater, er ist 67, zur älteren Generation. Daher, so Susanne Faerber, bestünden hier und da auch unterschiedliche Ansätze, wie die Zukunft des Panoptikums gestaltet werden soll. Wobei jede Veränderung oder Neuerung immer Wandern auf sehr schmalem Grat sei. „Nehmen wir einmal Johannes Brahms“, sagt Susanne Faerber, „den mein Vater schon seit Längerem als Exponat aufnehmen möchte. Er ist ein großer Fan der klassischen Musik. Aber ich habe Marketing studiert, und daher weiß ich, dass unser Publikum lieber Dieter Bohlen sehen würde – und die Meinung der Gäste zählt nun mal mehr als die Meinung des Veranstalters.“
Auch den Keller des Panoptikums würde sie gerne verändern. Wenn auch nur „sehr vorsichtig“, denn das Panoptikum sei schließlich nicht Madame Tussauds mit dem zweitgrößten und börsennotierten Unterhaltungskonzern der Welt (zur Merlin Group gehören unter anderem das Legoland, Sealife und die Dungeons) im Rücken, sondern ein „traditionsreiches Haus mit Patina, die es zu bewahren gilt“. Einige Wachsfiguren stammten sogar noch aus der Anfangszeit.
Jede Investition muss außerdem weitsichtig bedacht werden: Denn die Herstellung einer Wachsfigur dauert bis zu zwei Jahren und kostet bis zu 40.000 Euro. Zwei Bildhauer beschäftigt das Panoptikum. Leider gebe es nur sehr wenige solcher Künstler in Deutschland, die die hohe Kunst der Herstellung von Wachsfiguren wirklich beherrschten, sagt sie. „Totales Entertainment kann und wird es im Panoptikum allerdings nicht geben. Dafür ist das Haus schon von seiner Größe her nicht geeignet. Doch die Absperrungen vor unserer ‚Schlagerecke‘ beispielsweise sind einfach nicht mehr zeitgemäß“, fügt Susanne Faerber hinzu.
Sie kann sich noch gut daran erinnern, dass die Mitarbeiter an Umsturz glaubten, als die Faerbers vor ein paar Jahren die ersten Figuren frei in den Raum stellen ließen. Sie sind längst die meistfotografierten Objekte. Die häufigsten „Selfies“ machen die Besucher zurzeit neben Vitali Klitschko, Udo Lindenberg und Otto Waalkes. Doch wer von beiden setzt sich schließlich durch: die junge, sanfte Wilde oder ihr Vater?
Etwas zögerlich gesteht sie, dass sie zwar mehr Anteile am Unternehmen besitze als ihr Vater, der allerdings ein vertragliches Vetorecht besitze, „von dem er jedoch noch nie Gebrauch gemacht hat. Ich bin eben auch eine typische Tochter, der der Vater nichts ausschlagen kann.“ Als sie das sagt, plinkert sie ein bisschen mit den Wimpern, und ein Grinsen huscht über ihr Gesicht.
Tatsächlich bilden Tochter und Vater offenkundig ein Team. Sie wohnen ja auch zusammen, in einem Haus in Alsterdorf, wo Susanne Faerber ihr „eigentliches Büro und ihr Schlafzimmer hat“. Das sie jedoch mit niemandem teile, denn für einen Freund habe sie als Vollzeitstudentin und Teilzeitgeschäftsführerin schlichtweg keine Zeit. Die nimmt sie sich lediglich für ihre Oboe (sie ist Mitglied des Kammerorchesters St. Pauli) sowie für ihre Badmintonschläger, „obwohl ich Sport eigentlich abgrundtief hasse. Ich betreibe ihn nur aus Vernunftgründen!“ Die naheliegende Vermutung, dass sie weder raucht noch Alkohol mag, bestätigt sie dann im nächsten Satz.
Bevor sie die Geschäftsführung endgültig übernehmen und ihren Vater aus seiner „Überbrückungsphase“ auf sein Segelboot im Neustädter Hafen „entlassen“ wird, will sie noch ein Auslandssemester in Shanghai absolvieren. Um noch besser gerüstet zu sein für die Arbeit, die vor ihr liegt. „In 20 Jahren“, sagt sie, „werde ich immer noch Geschäftsführerin des Panoptikums sein. Ich bin ein Wirtschaftstyp, und mein Vater würde diesbezüglich sogar mein Engagement in der Lokalpolitik begrüßen. Aber daran bin ich nicht interessiert.“ Allerdings werde sie als selbstständige Kauffrau auf dem Kiez – der ja ebenfalls einer ständigen Wandlung unterzogen sei – die notwendigen Kontakte zur Politik pflegen.
Die IG St. Pauli (Interessengemeinschaft) kann sich auf eine kluge und verantwortungsbereite Frau einstellen, die nicht nur ganz genau weiß, was sie will, sondern auch geschliffen artikulieren kann, was sie nicht will. Und sollte Susanne Faerber einmal Mutter werden, ist anzunehmen, dass sie ihr Kind so früh wie möglich ins Panoptikum mitnehmen wird. Ihr Kinderschreibtisch existiert übrigens auch noch.
Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Susanne Faerber bekam den Faden von Mario Rispo und gibt ihn an Heike Grunewald weiter.