Traditionell, aber nicht provinziell will das Paar sein. “Es ist unsere Mission, gegen die Klischees von Chinarestaurants anzukämpfen.“
Hamburg. Neulich im Golfclub Buxtehude: Da habe doch eine ältere Dame tatsächlich gefragt, ob sie schon einmal Bratkartoffeln gegessen hätten. Mary-Ann Kwong ist immer noch irritiert, als sie die Anekdote erzählt. „Als würden wir keine Kartoffeln kennen!“ Schnell tippt sie mit ihren perfekt manikürten Fingern auf dem Smartphone eine Nachricht ein. Dann ist die 32-Jährige wieder ganz bei der Sache. Was sie geantwortet habe? „Ich glaube, du hast gar nichts gesagt“, antwortet ihr Ehemann Dennis Kwong mit einem ironischen Lächeln.
Mit Vorurteilen leben die beiden, seitdem sie beschlossen haben, die Nachfolge im Dim Sum Haus anzutreten. „Die Klischees betreffen aber eher die chinesische Küche. Viele Leute denken, hier gebe es Hundefleisch und Gehirn“, sagt der 37-Jährige. „Damit haben unsere Speisen nichts zu tun. So etwas findet man höchstens noch in Chinas Provinz.“ Und Mary-Ann ergänzt entschlossen: „Es ist unsere Mission, gegen die Klischees von Chinarestaurants anzukämpfen.“ Sie sei zuversichtlich, dass besonders die Jüngeren durch die Globalisierung kulinarisch aufgeschlossener seien.
Traditionell, aber um Himmels willen nicht provinziell will das Paar sein. Sie, die ehrgeizige Unternehmensberaterin, die in Hamburg geboren wurde, in den USA mit einer deutschen Nanny aufwuchs, in London und New York gearbeitet hat und sich für Mode und Kosmetik interessiert. Er, der smarte Unternehmer mit einer Firma für Im- und Export, Hobbyfotograf und facebook-süchtig, wie er selbst sagt. Sie im figurbetonten Kostüm mit Markenhandtasche, er im legeren Anzug mit Hornbrille – fertig ist das perfekte Szenepaar. 2011 wurde im Elysée Hotel mit viel Pomp und 230 Gästen geheiratet – für Mary-Ann ging so ein Traum in Erfüllung: Lebenslänglich Pekingente. „Die könnte ich wirklich jeden Tag essen. Zum Glück habe ich Dennis Kwong geheiratet“, sagt die 32-Jährige und lacht.
Kennengelernt haben sich die beiden während des BWL-Studiums in Hamburg über einen gemeinsamen Freund. „Es war gar nicht vorgesehen, dass ich in die Gastronomie gehe“, sagt Dennis Kwong. Seine Praktika in Hotels und Restaurants hätten ihn eher abgeschreckt, ebenso das Gemüseschnippeln in der Küche des Familienbetriebs während der Schulferien: „Ich habe damals schon begriffen, dass Gastronomie ein harter Job ist. Aber ich habe auch gemerkt, dass hier noch was geht. Bei uns schmeckt es authentischer als in manchen Restaurants in Hongkong, und da ist das Niveau schon sehr hoch.“
Tim Mälzer war schon öfter Gast, kürzlich schaute Steffen Henssler vorbei
Seit zwei Jahren unterstützt Dennis Kwong seine Eltern, die das Dim Sum Haus seit den 1980er-Jahren betreiben, bei der Vermarktung und Organisation. Gegründet wurde es 1964, in diesem Jahr feiert das Lokal an der Kirchenallee 37 sein 50. Jubiläum. Die dritte Familiengeneration hat sich vorgenommen, dem Dim Sum Haus nun zu noch mehr Glanz zu verhelfen. Mithilfe des befreundeten Inneneinrichters Thai Cong wurde behutsam modernisiert: Elegante Tapeten kamen an die Wand, die originalen Stühle wurden neu bezogen, die Waschräume komplett erneuert und mit knallroten Kacheln versehen. Schließlich ist es nicht nur das älteste noch bestehende Chinarestaurant Hamburgs, sondern auch eines der besten. Das beweisen auch die vielen Landsleute, die zum Business Lunch oder zu Familienfeiern herkommen. Mary-Ann Kwong ist Repräsentantin des Restaurants und begrüßt die Gäste. Die sind nicht selten prominent: Neben dem chinesischen Ministerpräsidenten Wu Bangguo, NBA-Basketballspieler Ming und Starpianist Lang Lang kommen regelmäßig Delegationen und hohe chinesische Wirtschaftsminister zu Besuch. Und auch Hamburger Persönlichkeiten schätzen die authentische chinesische Küche, etwa Henning Voscherau, Otto Waalkes, Liz Mohn oder Wladimir Klitschko. Tim Mälzer war schon öfter Gast, kürzlich schaute Steffen Henssler vorbei.
Spezialität sind die 36 verschiedenen Dim Sums, wörtlich übersetzt „Kleinigkeiten, die das Herz berühren“. Garnelen, Gemüse und Fleisch, die in kunstvoll gefalteten Teigtaschen gegart werden und traditionell sonntags zum Brunch in der Familie auf den Tisch kommen. „Es ist ein sehr geselliges Essen. Serviert werden sie auf runden, drehbaren Tischen, sodass sich jeder bedienen und von allem probieren kann – außer, wenn Mary-Ann bestellt“, sagt ihr Mann und lacht. „Sie hat gern ihre Ente für sich und isst auch lieber mit Messer und Gabel als mit Stäbchen.“
Am liebsten läuft Dennis Kwong durchs Restaurant und macht Fotos – hier ein leckeres Dim Sum oder ein Schnappschuss aus der Küche, und schwups landet beides auf der Facebook-Seite des Restaurants. Auch wenn ein neues Geschirr angeschafft wurde, lässt Kwong darüber im Internet abstimmen. Als Mary-Ann das Restaurantduell bei Kabel 1 „Mein Lokal, dein Lokal“ gewann, postete ihr Mann das auch. Fast 3000 Facebook-Freunde hat das Dim Sum Haus. Das sind zwar nicht annähernd so viel wie die Kollegen Mälzer und Henssler haben, „aber wir arbeiten daran“, sagt Dennis Kwong.