Dank der Arbeit der Betreuungsstelle „Drob Inn“ gibt es weniger Drogentote in Hamburg. In der Einrichtung in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs können abhängige Menschen ganz legal Drogen nehmen.

Anton!“, ruft eine studentische Hilfskraft in den Caféraum. Ein Mann steht auf, geht mit raschen Schritten in Richtung der jungen Frau, die gerade seinen Namen gesagt hat. Anton hatte sich zuvor auf der Warteliste eingetragen, jetzt ist er dran, darf in den „Konsumraum“.

Wenn man Anton auf der Straße begegnet, würde wohl niemand auf die Idee kommen, dass er drogenabhängig ist. Er hat kurze schwarze Haare, einen leichten Stoppelbart, wirkt sehr gepflegt.

Über dem weißen T-Shirt trägt er eine dünne braune Jacke, dazu blaue Jeans. Ein ganz normaler Typ. Höflich grüßt er die Frau hinter dem Tresen.

„Zwei große Löffel, Sechzehner Nadel, Asco, Wasser, zwei Tupfer, zwei Pflaster und einen Abbinder bitte“, sagt er in einem Tonfall, in dem er auch Brötchen beim Bäcker ordern würde.

Nur die Drogen müssen die Kunden selbst mitbringen

Anton ist sozusagen Stammkunde im „Drob Inn“, einer Drogenberatungsstelle in St. Georg. Im Konsumraum der Einrichtung bekommen die Abhängigen alles, was sie zum Nehmen der Drogen brauchen. Nur die Drogen müssen sie selbst mitbringen. Astrid, eine Sozialpädagogin, greift in die vielen kleinen Behälter, die vor ihr auf dem Tresen aufgebaut sind, und reicht Anton die verlangten Utensilien.

Der Vorplatz des „Drob Inn“ ist der Treffpunkt der offenen Drogenszene Hamburgs, wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof. Etwa sechzig Menschen stehen oder sitzen dort, gehen ab und zu in das Gebäude und kommen wieder raus. Drinnen bekommen sie im Café täglich ein Heißgetränk gratis, ein Essen kostet einen Euro. Heute gibt es panierte Scholle mit Kartoffelpüree und Salat oder vegetarischen Leberkäse.

Der Konsumraum des „Drob Inn“ ist einer von fünf Orten in Hamburg, an dem Abhängige ganz legal Drogen nehmen können. Fünfzehn Plätze gibt es, zehn für intravenösen, fünf für Rauchkonsum.

Der Raum ist mit hellbraunen Fliesen ausgelegt, die Wände weiß gekachelt, es riecht nach Desinfektionsmittel. Durch die abgetönten Fenster kommt nur wenig Licht, stattdessen sorgen Leuchtröhren an der Decke für ausreichende Beleuchtung.

Auf einen der Plätze für intravenösen Konsum hat sich Anton mittlerweile gesetzt. Routiniert bereitet er alles vor, schließlich setzt er sich die Nadel an den Arm und injiziert sich das flüssige Kokain. Er schließt die Augen, lehnt sich zurück. Für einen Augenblick scheint die Welt für ihn in Ordnung zu sein, die Realität ist ausgeblendet.

Mitarbeiter führen Strichliste über Besucher

Hinter dem Tresen liegt neben der kleinen weißen Dose mit den Pflastern ein Zettel mit einer tabellarischen Liste. Astrid macht einen Strich bei „Koka/Steine“.

Es ist Nachmittag, halb vier, und Anton ist der achtundvierzigste Kunde, der hier heute Koks nimmt. Am Ende der Schicht, gegen sechs Uhr, werden es 61 Striche sein. Heroin wurde heute erst 24 Mal konsumiert.

Manche Junkies nehmen beides, 20 Striche sind auf der Liste. Dass immer mehr Abhängige geradezu „Drogencocktails“ nehmen, hat die Arbeit der Helfer aus dem „Drob Inn“ nicht leichter gemacht. „Heute, wo mehr Kokain und Alkohol konsumiert wird und es mehr Mischkonsum gibt, ist alles etwas hektischer“, sagt Peter Möller. „Früher musste man den Leuten teilweise den Kopf aus dem Teller holen, weil sie beim Essen eingeschlafen waren.“

Seit 14 Jahren leitet Möller das „Drob Inn“, davor hat er sieben Jahre im Café und im Konsumraum gearbeitet. Der 56-Jährige kennt sich in der Drogenszene aus, war vor seiner Zeit in der Einrichtung als Straßensozialarbeiter tätig.

Wer hier arbeitet, braucht starke Nerven

„Man muss die Nerven beisammen haben und die Sinne möglichst breit streuen“, sagt er. „Wer hier arbeitet, weiß nie, was auf ihn oder sie zukommt. Es gibt ruhige und hektische Tage, aber eine gewisse Anspannung ist immer da.“

Mit einem Bürojob hat die Arbeit hier nichts gemein. Konflikte sind normal, manchmal auch gewalttätiger Art. „Unsere Angestellten müssen breit aufgestellt sein, müssen mit Menschen umgehen können, deeskalierend auf sie einwirken können“, sagt er. Ein Tunnelblick bringt da nichts.

Im Jahr 2003 ist die Einrichtung in dem Gebäude am Besenbinderhof gezogen, mit der Lage ist Möller zufrieden. „Die früheren Standorte des ,Drob Inn‘ waren suboptimal“, sagt er. „Beim alten Platz an der Kirchenallee lagen überall Spritzen auf der Straße herum. Das ist heute nicht mehr so. Es ist szene- und sozialverträglich.“ Ein raues Pflaster ist es dennoch, „aber kein rechtsfreier Raum“, betont Möller. Etwa 1000 Hausverbote erteilen er und seine Mitarbeiter jedes Jahr.

Hinzu kommen jährlich etwa 150 Drogennotfälle. Auch an diesem Tag passiert es. Eine junge Frau ist umgefallen, sie ist bewusstlos. Sie stöhnt, immer wieder zuckt ihr Körper zusammen.

Ihr linker Schuh wird durch die ruckartigen Bewegungen weggeschleudert. Philipp Dickel kniet neben ihr nieder, misst Puls und den Blutdruck. Er arbeitet als Arzt im „Drob Inn“. Der Krankenwagen ist schon gerufen. Als Dickel den Ärmel der Frau hochkrempelt, sieht er die Einstiche an ihrem Arm, einige Stellen sind schwarz. Was sie wann konsumiert hat, weiß keiner. Sicher ist nur, es war nicht im „Drob Inn“.

Notfälle sind an der Tagesordnung

Ein Großteil der Ladungen Kokain kommen über den Hafen nach Hamburg. Zuletzt fand der Zoll Mitte Juli 14 Kilo des Rauschgifts auf einem Containerschiff. Im März waren es insgesamt 252 Kilo Kokain. Der Verkaufswert so einer Menge liegt auf der Straße bei etwa 65 Millionen Euro. Die Funde sind oft nur Zufällen geschuldet. Zuletzt wurden 70 Kilo flüssiges Kokain in zwei ausrangierten Flugzeugmotoren entdeckt.

Nach Schätzungen der Stadt gibt es in Hamburg etwa 10.000 Konsumenten harter Drogen. 500 bis 800 gelten als „gesundheitlich und sozial extrem verelendet“. Die Dunkelziffer dürfte zwar weitaus höher sein, doch die Lage scheint sich zu verbessern.

2012 gab es bundesweit 944 registrierte Drogentote, der niedrigste Stand seit 1988. 2011 waren es noch 986, 57 davon starben in Hamburg. Zudem nehmen in Hamburg über 4000 Abhängige am Substitutionsprogramm teil, mit dem Ziel, sich wieder vollends in die Gesellschaft zu integrieren.

Den Ruf als Droge von Topmanagern und Partygängern hat Koks längst nicht mehr. Im Gegenteil. „Kokain ist ein Riesenproblem. Man wird zwar nicht körperlich abhängig, aber geistig“, sagt Dickel.

„Die Menschen kaufen sich quasi Selbstvertrauen.“ Der Arzt weiß, dass den Abhängigen im Krankenhaus langfristig nicht geholfen werden kann. „Die Probleme, die diese Menschen haben, sind sehr komplex“, sagt der 31-Jährige. „Medizin kann da nur begrenzt weiterhelfen.“

Chancen auf einen Ausstieg stehen 50:50

Ohne geht es jedoch auch nicht. Viele der Menschen gelten in Arztpraxen als „nicht wartezimmerfähig“. Sie sind zu ungepflegt oder haben Paranoia. Oder beides. Für Dickel gehört das dazu.

„Viele unserer Klienten wurden schon mal wegen Drogenbesitz, Handel oder Beschaffungskriminalität verurteilt“, sagt er. „Einige von ihnen pendeln geradezu zwischen Szene und Knast.“

Um endgültig aufzuhören, um rauszukommen aus dem Verelendungskreislauf brauchen die Süchtigen mehr als nur eine Therapie. Die Unterstützung der Familie wäre nötig, doch die ist zumeist schon ausgestiegen aus dem deprimierenden Beziehungsgeflecht von Helfen-wollen und immer wieder angelogen und enttäuscht werden.

Auch Arbeit oder zumindest eine Beschäftigung sind wichtig und vor allem ein neues Umfeld. Darauf ist auch die Arbeit des „Drob Inn“ ausgerichtet. Neben der Beratung bekommen die Abhängigen Hilfe bei alltäglichen oder bürokratischen Angelegenheiten. Dennoch stehen die Chancen auf einen Ausstieg aus der Drogenszene nur 50:50. Am Ende muss es jeder Junkie wollen.