Als Kaiser Wilhelm II. 1888 die Hamburger Speicherstadt einweihte, war sie der modernste Lagerhauskomplex der Welt und zollfreies Paradies für Kaufleute. Heute ziehen Modemarken und Werbeagenturen ein.

Hamburg. Wer den Block O der Hamburger Speicherstadt betritt, erlebt eine Art hanseatische Zeitreise. Sie beginnt am Ende des 19. Jahrhunderts, als auf diesem Boden Kaffeehandel im großen Stil betrieben wurde und der Geruch der Bohnen in den Straßen des Backsteinviertels waberte. Am 29. Oktober 1888 war der Kaiser zur Einweihung gekommen. Mit viel Pomp legte Wilhelm II. den Schlussstein auf den ersten Bauabschnitt der Speicherstadt, die Blöcke A bis O – das Ereignis jährt sich nun zum 125. Mal. Und die Zeitreise reicht in die Zukunft, wenn die dröhnenden Baumaschinen zu hören sind, die den Block gerade in ein Vier-Sterne-Hotel mit 192 Zimmern verwandeln.

Roland Lappin, Vorstand für Immobilien bei der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), ist zufrieden, während er sich die Bauarbeiten anschaut. „Wir wollen hier keine Monostruktur. Es wäre ein Leichtes, hier einen Speicher nach dem anderen in Bürofläche zu verwandeln“, sagt Lappin, der für die rund 300 000 Quadratmeter Fläche in den Speichern zuständig ist. 150.000 davon wurden laut HHLA bereits grundsaniert. Die Mietpreise demnach: 15 bis 22 Euro pro Quadratmeter. Ein Hotel ist allerdings eine Neuheit. Museen, Modemarken, Restaurants, Attraktionen wie die Modellbahnanlage Miniaturwunderland und sogar ein Weinkeller sind schon vertreten – alles stets in Backstein-Optik. Der Charme des Viertels soll nicht auf der Strecke bleiben.

Hamburg hatte die Speicherstadt dem Deutschen Reich einst verbissen abgerungen. Die Hansestadt sollte bis 1888 in das deutsche Zollgebiet eingegliedert werden – was den Kaufleuten gar nicht gefiel. Sie pochten auf ihr Privileg, Importe zollfrei umzuschlagen, zu lagern und zu veredeln. Der Kompromiss: Ein Freihafengebiet, das vom Anschluss an den Deutschen Zollverein ausgenommen war. 1881 unterzeichneten die Hanseaten den Zollanschlussvertrag. Es war der Urknall für die Speicherstadt.

Weil die Lager der Kaufleute zuvor in der ganzen Stadt und damit im zukünftig zollpflichtigen Gebiet verstreut waren, musste ein Bauprojekt von heute unvorstellbaren Ausmaßen angeschoben werden. Ein ganzer Stadtteil fiel ihm zum Opfer. Mehr als 18.000 Menschen verließen notgedrungen ihre Häuser, damit 1885 die Errichtung der Speicher beginnen konnte. 2003 wurde das Gebiet für den Bau der angrenzenden HafenCity mit all ihren Büropalästen, Premiumwohnungen und Prestigeprojekten wie der Elbphilharmonie aus dem Freihafen herausgenommen. Viele Firmen zogen weg, Touristen kamen.

„Früher was das unsere Privatinsel. Wir haben hier an Feiertagen Autofahren gelernt und auf der Straße Fußball gespielt. Es war ja niemand unterwegs“, erzählt Mohammad-Reza Nobari. Der gebürtige Iraner betreibt in dritter Generation einen Teppichhandel in der Speicherstadt und steht im Lager seines Kollegen Ali Mohammadi. Zu trinken gibt es, na klar, Tee. Dabei rechnet Nobari vor: In der Blüte hätte es in der Nachbarschaft mehr als 200 Teppich-Firmen gegeben. Mittlerweile sei die Zahl auf 55 geschrumpft. Der Vergangenheit trauert er dennoch nicht nach.

„Überall trifft man fröhliche Touristen“, meint Nobari. Damals wären nur schuftende und rumbrüllende Arbeiter zu sehen gewesen. Klassische Lagernutzung existiert aber weiterhin. Nach Nobaris Schätzung liegen noch Teppiche im Wert von 150 bis 200 Millionen Euro in der Speicherstadt. Kostbare Ware, die es aber verkraftet, mit Winden verladen zu werden – eben wie vor 125 Jahren. Und alles ohne Frost und Schimmel, darauf achteten damals die Erbauer.

Wenn Nobari für die alte Speicherstadt steht, ist Hartwig Keuntje Teil der neuen Speicherstadt. Er ist Inhaber einer Werbeagentur, die frisch in das Viertel gezogen ist. „Nichts ist doch öder als diese komplett durchgentrifizierten Bürostädte, in denen die uniformierten Anzugträger verschiedener Versicherungsunternehmen einander gute Nacht sagen“, meint Keuntje über das Nebeneinander von Alt und Neu. Er könne die Speicherstadt weiterempfehlen – zumindest an jene, die den Baulärm der HafenCity vorerst nicht scheuen.

Im Block O soll dieser im Spätsommer 2014 verstummen und das Hotel fertiggestellt werden. Es könnte einer jener Orte sein, an dem viel von Hamburg zusammenläuft, nicht nur Wasserkanäle. Hafen, Kaufmannstradition, Backsteine, gehobenes Nächtigen, Michel und Rathaus nicht weit weg. Und natürlich wird auch Geld verdient.