Das Traditionsgeschäft am Ballindamm schließt zum Jahresende. Jetzt muss alles raus. Mindestens 20 Prozent Nachlass gewähren die Besitzer auf jedes Stück.
Hamburg. „Das“, sagt Dagmar Becker-Steinberger, schiebt die gläserne Vitrinentür zur Seite und nimmt eine bunt bemalte Mokkatasse in die Hand, „ist indische Handmalerei.“ Und die habe ihren Preis: 1595 Euro für Tasse und Untertasse. Dass der Inhaberin des Porzellanwarengeschäfts John Montag am Ballindamm nicht die Hand zittert, ist wohl ihrer Routine zu verdanken. Seit 30 Jahren verkauft sie edelstes Porzellan, manches ist noch teurer als die Mokkatasse.
Man findet in dem seit 1912 bestehenden Geschäft musizierende Affen, tanzende Paare im Rokoko-Stil, Kinder- und Tierfiguren, Geschirr mit Blümchen- oder Zwiebelmuster – alles aus der staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen. Dass der Porzellanladen Ende des Jahres schließt, habe nicht etwa mit sinkendem Umsatz oder rückläufigen Kundenzahlen zu tun, versichert Stefan Becker-Steinberger. Vielmehr habe die Firma Meissen Konzept und Sortiment verändert. Statt feinstem Porzellan biete sie jetzt auch Schmuck, Seidentücher und sogar Möbel an. „Wir stehen für Porzellan. Diese Wende wollen wir nicht mitgehen“, so der Geschäftsführer. „Zumal ich gerade 65 Jahre alt geworden bin.“
Zwei langjährige Mitarbeiterinnen seien gerade in Rente gegangen; auch Christel Meyer, seit 38 Jahren am Standort und damit länger als die Becker-Steinbergers, die das Traditionsgeschäft 1983 übernommen haben, steht kurz vor dem Ruhestand. „Es passt einfach alles zusammen“, sagt Dagmar Becker-Steinberger. „Aber wir gehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge.“
Jetzt muss alles raus. Mindestens 20 Prozent Nachlass gewähren die Besitzer auf jedes Stück. Seitdem bekannt wurde, das die Becker-Steinbergers aufgeben, ist die Nachfrage groß. Viele kommen, und wollen ihr Service ergänzen, solange es noch möglich ist, andere ihre Sammlungen erweitern. „Gut situierte Personen über 40 Jahre“, so beschreiben die Inhaber ihre Kunden. Unter ihnen seien auch viele Männer. Seit vier Jahren werde deren Anteil an der Kundschaft ständig größer. Rund 40Prozent der Kunden kämen aus Russland, Japan oder Taiwan. „Amerikaner sind kaum darunter“, so Stefan Becker-Steinberger. „Die legen vielleicht weniger Wert auf Tischkultur.“
Das zunehmende Interesse ausländischer Touristen an Meissener Porzellan habe den Rückgang der deutschen Kunden aufgefangen. Auch sei die Nachfrage nach kunstvoll gestalteten Meisterstücken gestiegen, so Stefan Becker-Steinberger. Mit Figuren etwa erziele er 30 Prozent des Gesamtumsatzes, während die Nachfrage im Geschirrbereich gesunken sei. „Die Menschen laden sich nicht mehr so häufig zum Essen ein“, vermutet der Geschäftsführer. Mittlerweile werde das Geld in Restaurants ausgegeben – oder für Reisen und Elektroartikel.
Immerhin ein Prozent des Meissener Weltumsatzes sei in Hamburg am Ballindamm gemacht worden, darauf sind die Becker-Steinbergers sehr, sehr stolz. Welche Zukunft Porzellan habe, das wissen die Inhaber nicht. „Die Premiummarken Meissen und KPM können bestimmt noch existieren“, sagen sie. Ansonsten sehe es eher schlecht aus auf dem Markt. Habe es in der einstigen Porzellanhochburg Selb Ende der 1960er-Jahre noch 30.000 Arbeitsplätze gegeben, seien jetzt nur noch 3000 Menschen dort beschäftigt.
Dem Ausverkauf sehen die Becker-Steinbergers dennoch positiv entgegen. „Nach acht Wochen haben wir die Hälfte verkauft“, schätzen sie. Tatsächlich war der Andrang in den ersten Tagen so groß, dass sie die Mitarbeiterinnen, die schon in den Ruhestand gegangen waren, zur Unterstützung zurückholen mussten. Trotzdem setzen sie noch auf Werbung – etwa am Flughafen. Vor allem dort, wo die Privatjets landen.