Bundeskanzlerin Angela Merkel feiert den Gipfel als Erfolg, an Olaf Scholz gibt es aber Kritik. Linke Gewalt habe sich in Hamburg etabliert.
Rückblickend wirkt die Aufnahme fast wie ein Symbol für die Entzauberung eines politischen Alphatiers. Als am Freitagabend das Schanzenviertel zum Ort schwerer Krawalle linksradikaler Autonomer wurde und die Polizei stundenlang nicht eingriff, saß Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bei Beethovens 9. Sinfonie mit der Weltprominenz in der Elbphilharmonie. Beobachter berichten, Scholz habe immerzu auf sein Smartphone geschaut. Dabei sei sein Gesichtsausdruck immer finsterer geworden.
Wenig später gab der Senatschef in einem Flur des neuen Konzerthauses ein Statement zu den Krawallen ab – die es niemals hätte geben dürfen, wenn Scholz sein den Hamburgern gegebenes Sicherheitsversprechen eingelöst hätte. „Ich appelliere an die Gewalttäter, mit ihrem Tun aufzuhören und sich zurückzuziehen und die Gewalttaten nicht mehr zu verüben“, sagte der Bürgermeister in eine Kamera. Diejenigen, die gerade Geschäfte am Schulterblatt plünderten, Feuer legten und Polizisten offenbar auch in Hinterhalte locken wollten, sollten aufhören und „ein friedliches Miteinander ... weiterhin möglich machen“.
Der Gipfel, der ein Debakel wurde
So verstört hatte man den Senatschef noch nie erlebt. Längst war ihm wohl klar geworden, dass dieser Gipfel, den er so sehr gewollt hatte, zu einem Debakel für ihn geworden war. Die Verstörung dürfte mit den Versprechen zu tun gehabt haben, die er abgegeben hatte. „Seien Sie unbesorgt“, hatte Olaf Scholz in einem Interview mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung „Tagesspiegel“ gesagt. „Wir können die Sicherheit garantieren.“ Gewalttaten würden unterbunden. Zuvor hatte er den G20-Gipfel mit einem Hafengeburtstag verglichen. „Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“, behauptete er.
Die Opposition ließ sich die Chance nicht nehmen. CDU-Fraktionschef André Trepoll forderte gestern den Rücktritt des Bürgermeisters, weil dieser „die Lage eklatant falsch eingeschätzt“ habe und seine Garantien sich „in Luft aufgelöst“ hätten. Die Vorsitzende der FDP-Fraktion, Katja Suding, sprach von „Politikversagen, für das der Bürgermeister die politischen Konsequenzen tragen“ müsse. „Wenn Olaf Scholz wusste, dass er die Sicherheit in der Stadt nicht garantieren kann, dann hat er die Hamburger und auch die Bürgerschaftsparteien belogen.“
Linke Gewalt hat sich in Hamburg etabliert
AfD und die Linke forderten gestern fast zeitgleich einen Untersuchungsausschuss. Auch Teile der Polizei, die Scholz als „heldenhaft“ bezeichnet hatte, fielen ihm in den Rücken. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt (CDU), legte Scholz im Berliner „Spreeradio“ den Rücktritt nahe. „Wenn er keinen Plan hat, wie er linke Gewalt verhindern will, muss er seinen Hut nehmen“, sagte Wendt. Linke Gewalt habe sich in Hamburg etablieren können.
Der Hamburger DPolG-Chef und CDU-Politiker Joachim Lenders hatte schon Mitte April gewarnt, dass die Gewalt gegen eine solche Veranstaltung mitten in Hamburg nicht kontrollierbar sein würde. „Ich bin fassungslos und wütend“, hatte Lenders auf eine Ankündigung reagiert, Demonstrationen jedweder Art und Größe während des G20-Gipfels zuzulassen. Damit maßregele der Senat die Polizei und „lädt Linksterroristen geradezu ein, die Stadt ausein-
anderzunehmen“. Kein noch so großes Polizeiaufgebot könne das in einer Millionenmetropole verhindern.
Eigeninszenierung der Politiker
„Wer übernimmt die politische Verantwortung, wenn der G20-Gipfel so endet, wie der G8-Gipfel 2001 in Genua mit Hunderten Verletzten und einem Toten?“, sagte Lenders weiter. Wer werde dann die Verantwortung übernehmen, „wenn wortwörtlich Teile Hamburgs brennen oder die gesamte Mönckebergstraße entglast wird“? Der Senat betreibe mit seiner Entscheidung ein gefährliches Vabanquespiel und riskiert dabei ohne Not den sicherheitspolitischen GAU. „Beim G20-Gipfel werden meinen Kolleginnen und Kollegen zu allem entschlossene Linksextremisten gegenüberstehen, für die Gewalt ein legitimes Mittel des politischen Kampfes ist.“ So ist es gekommen.
Der Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Andre Schulz, warf Scholz nun im „Handelsblatt“ vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht deutlich gesagt zu haben, „dass das Risiko aufgrund der Rahmenbedingungen in Hamburg zu groß ist und man nicht für die Sicherheit der Stadt und für Leib und Leben der eingesetzten Sicherheitskräfte, Demoteilnehmer und Unbeteiligten garantieren kann“.
Tenor der Kritik dieser Polizeigewerkschafter: Politiker, die solche Veranstaltungen gegen alle Bedenken in Innenstädten von Metropolen durchsetzen, handelten verantwortungslos und letztlich selbstsüchtig. Zum Zwecke der eigenen Inszenierung würden sie andere in Gefahr bringen.
Scholz' Körpersprache signalisiert Unbehagen
Dabei sind es nicht allein andere Politiker und Polizisten, bei denen das bisher so hohe Ansehen von Olaf Scholz gesunken ist. Auch viele Hamburger sind wütend auf den Senatschef und machen ihn für das Debakel verantwortlich. Im Schanzenviertel werden Unterschriften für seinen Rücktritt gesammelt. Auch im Gespräch mit Journalisten lassen die von den Krawallen Betroffenen ihrer Wut freien Lauf.
Das hat damit zu tun, dass die Polizei es zuließ, dass linksradikale Autonome am Freitagmorgen längere Zeit von der Polizei ungehindert durch Altona ziehen konnten, Autos in Brand setzten, das Rathaus demolierten, Läden plünderten und Brandsätze in Häuser warfen. Auch am Freitagabend griff die Polizei mehrere Stunden nicht ein, während die Autonomen im Schanzenviertel Feuer legten.
Die Menschen sind auch verärgert und enttäuscht, dass Olaf Scholz sich nicht bei den Betroffenen zeigte. Viele hatten von ihrem Bürgermeister in einer solchen Lage erwartet, dass er wenigstens am Sonnabendmorgen die Schäden inspiziert und den Opfern seine Solidarität schon allein durch seine Anwesenheit ausgedrückt hätte.
Dass Scholz die Ereignisse der vergangenen Tage nicht unberührt lassen, darf man getrost glauben. Der sonst so selbstbewusst auftretende Politiker wirkte gestern morgen beim Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ungewöhnlich leise und zurückgenommen. Während der Bundespräsident mit viel Kraft in der Stimme im Gespräch mit Journalisten auf die Fragen antwortet, war Scholz zeitweise nicht zu verstehen. Seine gesamte Körpersprache signalisierte sein Unbehagen mit der aktuellen Situation.
Gabriel und Schulz gehen auf Distanz
Dabei zeigte sich gerade bei der Visite des Bundespräsidenten, dass Olaf Scholz auch in der eigenen Partei für seine Entscheidung, den G20-Gipfel nach Hamburg zu holen, nach wie vor prominente Unterstützer hat. Ihn mache besorgt, „dass allzu viele den scheinbar leichten Ausweg gehen wollen und sagen: Warum müssen denn solche Konferenzen eigentlich in Deutschland stattfinden?“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Damit stellte sich der frühere SPD-Außenminister mitten im Bundestagswahlkampf gegen SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Die waren schon vor dem Gipfel auf Distanz zu Scholz gegangen.