Hamburg. Am 19. März 1919 wurde nach langem Hin und Her aus zwei Gemeinden eine. Geburtshelfer war dabei ausgerechnet die SPD.
Blankenese, wie wir es kennen, gibt es heute auf den Tag genau seit 100 Jahren. Damals bestätigte die preußische Regierung den Eingemeindungsvertrag, der zugleich das Ende von Dockenhuden bedeutete.
Mancher Spaziergänger wird sich bei Schmuddelwetter an der Kreuzung Elbchaussee Mühlenberger Weg die Frage gestellt haben, warum er plötzlich auf morastiger Schlacke steht, wo eben noch helles Klinkerpflaster war. Die Lösung dieses Rätsels: Auf der ungepflasterten Seite begann einst Dockenhuden – die Gemeinde, die vor 100 Jahren offiziell verschwand. Hier die Geschichte dieser Vereinigung, die lange geplant war und dann ausgerechnet von der SPD eingeleitet wurde.
Doppelte Verwaltungen regelten das Bürokratische
Am Mühlenberger Weg lief einst die sogenannte Gemarkungsgrenze zwischen den beiden Gemeinden, was mit einigen Schwierigkeiten verbunden war: Ob Blankeneser Kirche oder Blankeneser Bahnhof, sie alle lagen auf Dockenhudener Gebiet. Doppelte Gemeindevorstände und Verwaltungen regelten das Bürokratische, und man pflegte auch in der Bevölkerung eine gewisse Abgrenzung voneinander.
War das sinnvoll? Offensichtlich nicht, denn bereits 1905 gründete sich der „Verein Blankenese-Dockenhuden“, der den einzigen Zweck hatte, die Vereinigung herbeizuführen. Trotz vieler Werbung scheiterte er. Sechs Jahre später kam das Thema wieder auf die Tagesordnung der Gemeindevertretung Blankenese. Den Brief, der daraufhin an die Kollegen in Dockenhuden mit der Bitte um ein Gespräch ging, wurde freilich erst nach 16 Monaten beantwortet, Ende 1912. Hohes Interesse? Fehlanzeige.
Auch aufseiten der Blankeneser war man nun für die nächsten zwei Jahre eingeschnappt. Immerhin: Im Sommer 1914 bildete sich in jeder Gemeinde eine Kommission, die die finanziellen Grundlagen für weitere Gespräche ermitteln sollten. Wieder scheiterte der Versuch, sei es aus mangelndem Interesse, sei es, weil der Erste Weltkrieg ausbrach.
Erst im August 1918 tauchte das Thema dann inmitten der Versorgungskrisen an der Heimatfront wieder auf. Wie Blankeneser Bürokraten damals waren, langsam und korrekt, wählten sie eine neue Kommission, schrieben wieder einen Brief an die Kollegen in Dockenhuden und warteten ab. Natürlich war nur wenige Monate später an die Fortsetzung des angedachten formalen Wegs nicht mehr zu denken. Durch Kriegsniederlage und Sturz der Monarchie drohte Deutschland im November 1918 im Chaos zu versinken.
In Berlin wurde die Demokratie ausgerufen und in der Provinz bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, auch in Blankenese und Dockenhuden. Hier war es der Sozialdemokratische Wahlverein, der entsprechend der Anweisungen der neuen Regierung einen lokalen Rat bildete und die Diktatur des Proletariats verkündete. Entsprechend der Politik der SPD im Reich war auch ihre Basisorganisation in Dockenhuden nicht an Revolution interessiert, sondern an der Stabilisierung der Lage und Sicherung der Versorgung der Bevölkerung.
Widerstand in der Bevölkerung blieb aus
Die Frage der Zusammenlegung erhielt plötzlich ungeahnte Dynamik. Am 13. November 1918 wischte der Vorsitzende des sozialdemokratischen Wahlvereins Arthur Rundé alle bürokratischen Ideen aus dem Weg. „Was wir haben, nämlich die politische Macht, wollen wir uns nicht wieder entreißen lassen; solange nicht, bis wir alle gleiches Recht geschaffen haben. Wer die Macht hat, hat das Sagen“, das wusste Rundé. In seiner Rede „Welche Stellung hat die Bevölkerung zu der augenblicklichen Umwälzung einzunehmen?“ packte er den kommunalen Stier bei den Hörnern und ordnete schlicht und einfach die Vereinigung an. Diktatur des Proletariats und Schaffung einer neuen Staatsform im Reich waren Grund genug, „auch den sozialdemokratischen Wahlverein zu veranlaßen, für die hiesigen örtlichen Verhältnisse eine Aenderung eintreten zu lassen“. Damit war die Kuh vom Eis.
Die „Norddeutschen Nachrichten“ verkündeten: „Die Zusammenlegung von Dockenhuden und Blankenese vom sozialdemokratischen Wahlverein angeordnet.“ Widerstand in der Bevölkerung gegen den „Staatsstreich“ blieb aus. Ängste wurden geäußert, die sich aus nun überkommenen Rollenbildern speisten. So fürchtete man in Blankenese, so ein Leserbrief, dass Blankenese künftig von Dockenhuden „an die Wand gedrückt“ werden könnte.
Man verbat sich diese „von grundauf umstürzende Maßnahme auf diktatorischem Wege“. Dabei übersah man jedoch, dass mit Heinrich Frahm ein vorläufiger Gemeindevorsteher ernannt werden sollte, der aus Blankenese stammte. Schon die nächste Gemeindeversammlung verabschiedete einen Vereinigungsvertrag. Der langjährige Befürworter der Vereinigung, Johannes Kröger, dazu feierlich: „Die Verschmelzung der beiden Gemeinden ist jetzt beschlossene Sache.“
Dass der entscheidende Impuls vom Sozialdemokratischen Wahlverein ausging, verschwieg er lieber.
Dockenhuden wurde als Gemeinde Geschichte
Was dann folgte, war bürokratischer Standard. Zwar wurde der erste Vertrag zur Zusammenlegung im Regierungspräsidium abgelehnt. Dann aber machte man dort den Vorschlag einer Eingemeindung Dockenhudens nach Blankenese, was schneller und einfacher umzusetzen war. Und so kam es. Der Eingemeindungsvertrag datiert auf den 3. Februar 1919. Entscheidender ist aber ein anderes Datum: Im preußischen Obrigkeitsstaat besaß der Vertrag erst Gültigkeit, als ihn die Preußische Regierung bestätigte. Das geschah am 19. März 1919. Dockenhuden war als selbstständige Gemeinde Geschichte geworden. Wenige Jahre später erging es Groß Blankenese übrigens ebenso: durch die Eingemeindung nach Altona.
Der Gastautor dieses Beitrags, Dr. Jan Kurz, ist Vorsitzender des Förderkreises Historisches Blankenese e. V. und Mitherausgeber der Edition Fischerhaus im KJM Buchverlag. Er hat u. a. Geschichte und Jüdische Studien in Heidelberg und und Freiburg i. Brsg. studiert.