Hamburg. Eine große Ausstellung zeigt, welche Folgen der Untergang des Kaiserreichs und die neue Demokratie für die Menschen vor Ort hatten.

Es war ein Jahr des Zusammenbruchs, in dem zugleich die Weichen für Neues gestellt wurden. Kaum eine Jahreszahl steht so deutlich für eine Zäsur in der deutschen Geschichte wie 1918. Dass es dabei nicht nur in den Städten (wie oft vermittelt) unruhig zuging, zeigt eindrucksvoll die Ausstellung „Blankenese 1918 – Verstörung, Revolution, Nachwirkung“, die vom morgigen Mittwoch an in der Haspa-Filiale am Erik-Blumenfeld-Platz zu sehen ist.

Der klug gewählte Titel deutet das enorme Spektrum an, das ein einziges Datum abdecken kann. Denn der verlorene Krieg und der Untergang der Monarchie – gerade für viele Menschen aus dem Bürgertum durchaus schockierende Erlebnisse – bedeuteten auch den Weg in die Demokratie, den alle mitgingen. Dass sich aus dem Zusammenbruch auch Chancen für Neues ergaben – im Wahlkampf 1919 traten erstmals Frauen an die Urnen – sahen naturgemäß zunächst nicht alle.

Reihe von Zeitzeugnissen

Die Gestalter der Ausstellung vom Förderkreis Historisches Blankenese e. V. verdeutlichen das mit einer Reihe von Zeitzeugnissen sehr eindrucksvoll. Angesichts von Lebensmittel- und Kohleknappheit dachten viele mit Wehmut an die alten Zeiten zurück, die im Vergleich mit der rauen Gegenwart geradezu golden gewirkt haben müssen.

Wie hart die Lebensbedingungen schon während des Krieges gewesen waren, zeigt ein Rückblick auf den „Steckrübenwinter“ 1916/17 . Volksküchen zur Unterstützung der Bevölkerung, Brotkarten und Schlangen vor Lebensmittelgeschäften – das gab es auch im scheinbar stets privilegierten Blankenese, wie zahlreiche Fotos zeigen.

Schulleiter Walther Kirschten glorifizierte den „Waffengang“ zeitweise
Schulleiter Walther Kirschten glorifizierte den „Waffengang“ zeitweise © Förderkreis Historisches Blankenese e. V.

Von revolutionärer Stimmung mit Massenprotesten und Straßenkämpfen war im Hamburger Westen nichts zu spüren. Die Arbeiter- und Soldatenräte bildeten sich in den Elbgemeinden zumeist erst nach Absetzung des Kaisers und der Ausrufung der Republik. „Die Gründungen waren weniger revolutionäre Akte als vielmehr die pragmatische Reaktion auf die neuen Umstände“, schreibt Jan Kurz, einer der Ausstellungs-Macher. Anders gesagt: Die Räte waren in der Provinz alles Mögliche – nur nicht revolutionär.

Alte Fotos der in 14 Thementafeln unterteilten Ausstellung zeigen, dass es dabei sogar recht gediegen zuging: Per Zeitungsanzeige wurden alle Soldaten auf Heimaturlaub für den 10. November in Hartigs gutbürgerliches Bahnhofshotel eingeladen, um den Soldatenrat zu gründen. In von Appens Tivoli an der Bahnhofstraße richtete der Rat sein Hauptquartier ein – auch weil es dort einen Telefonanschluss gab.

Dramatische Zeitdokumente aus Bürgertum

Die Räte in den Elbgemeinden, speziell in Blankenese, standen der Gemeindeverwaltung kontrollierend und unterstützend zur Seite. Als wichtigste Aufgaben sahen sie dabei die Organisation der Lebensmittel- und Brennstoffversorgung sowie die Fürsorge für heimkehrende Soldaten. Bereits Anfang März 1919, mit der Neubesetzung der Gemeindevertretungen, war das Räte-Modell schon wieder beendet. Übrigens: In einem „kleinen Staatsstreich“ (so Jan Kurz) hatte der sozialdemokratische Wahlverein am 13. November 1918 die schon länger diskutierte Vereinigung der beiden Gemeinden Blankenese und Dockenhuden durchgesetzt, indem Dockenhuden endgültig nach Blankenese eingemeindet wurde.

Das alles hört sich harmlos, beinahe spießig an. Doch die Stimmung im Blankeneser Bürgertum war angesichts des landesweiten Umbruchs trotzdem aufgewühlt, was gut ausgewählte Zeitzeugnisse belegen. Ein eindrucksvolles Dokument sind dabei die Aufzeichnungen Johann Krögers junior. Der Spross einer angesehenen Blankeneser Familie beginnt im Alter von 35 Jahren im Dezember 1918 damit, seine Familiengeschichte abzufassen.

Innere Zerrissenheit

„In einer Zeit schwerster Bekümmernisse schreibe ich diese Zeilen nieder. Dunkel liegt die Zukunft unseres von inneren und äußeren Feinden bedrohten Vaterlandes vor uns“, notiert Kröger. Und weiter: „Es gehört in der Tat eine eiserne Natur dazu, gegenüber diesen entfesselten Dämonen im eigenen Volk noch an einen Wiederaufstieg zu glauben.“

Eine Einladung des sozialdemokratischen Wahlvereins aus der Zeitung
Eine Einladung des sozialdemokratischen Wahlvereins aus der Zeitung © Förderkreis Historisches Blankenese e. V.

So sehen es auch Freunde von Kröger senior, darunter Propst Theodor Paulsen und Schuldirektor Walther Kirschten, deren Namen heute auf Blankeneser Straßenschildern verewigt sind. „Gemeinsam sind sie im kaiserlichen Blankenese aufgestiegen, gemeinsam haben sie das kaiserlich-moderne Blankenese geschaffen“, schreiben Fabian Wehner und Hans-Jürgen Höhling vom Förderkreis Historisches Blankenese. „Alle drei stehen im November 1918 vor dem Scherbenhaufen ihre Lebens.“ Kirschten hatte seine Schüler 1914 zum „vaterländischen Opfergang“ ermutigt, 1922 veröffentlichte er ein Gedenkbuch über den Ersten Weltkrieg, in dem er vom „uns aufgezwungenen Kampf“ schreibt.

Als krasses Beispiel für die innere Zerrissenheit vieler Menschen der damaligen Zeit kann das Verhalten des exzentrischen Schriftstellers Richard Dehmel gesehen werden. Über ihn und seine Frau Ida gibt die Ausstellung auf einer Tafel gesondert Auskunft. Der 1863 geborene Dehmel, als erfolgreicher „Arbeiterschriftsteller“ ursprünglich eher dem linken Milieu zuzuordnen, hatte sich trotz seines relativ hohen Alters freiwillig „zu den Waffen“ gemeldet.

Als er in den harten Friedensbedingungen von 1918 keine Grundlage für einen dauerhaften Frieden sah, rief er zum Weiterkämpfen auf – obwohl er die Grausamkeit des Kriegs beklagte und den Kriegsgegnern von 1914 rückblickend recht gab. „Lasst keinen Frieden über uns kommen, der die Saat neuer Rachekriege im Schoß trägt“, mahnte er 1918. Dann wieder ging ihm die Revolution nicht weit genug, und zusammen mit seinem Sohn Heinrich warb er für einen internationalen Völkerbund, in dem es keinen Krieg mehr geben sollte. Bereits schwer krank von der Front zurückgekehrt und innerlich zermürbt, starb Dehmel schon 1920.

Emanzipation etabliert sich

Die Ausstellung analysiert das Dramatische und Widersprüchliche der Jahre nach 1918 sehr eindringlich und nachvollziehbar. Auf der einen Seite zeigen verblüffende Beispiele aus Blankenese eine recht schnelle Weiterentwicklung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Autor Ronald Holst hat für das entsprechende Kapitel mehrere hoch interessante Frauenporträts zusammen gestellt – von der Blumenhändlerin Paula Rahloff bis zur Schriftstellerin Sophie Jansen.

Auf der anderen Seite driftet ein frustriertes, verängstigtes Bürgertum immer stärker nach rechts und wird zunehmend empfänglich auch für Antisemitismus. Schließlich gibt es in Blankenese breite Unterstützung für die NSDAP. Die Ausstellung vermittelt viel von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Strömungen jener Jahre. Und sie macht dabei deutlich: Auch in der Provinz waren das aufregende Zeiten.

Die Ausstellung im Obergeschoss der Haspa-Filiale am Erik-Blumenfeld-Platz 25 ist ab Mittwoch, 15. August, zu den regulären Geschäftszeiten zu besichtigen: montags bis donnerstags von 9.30 bis 18 Uhr sowie freitags von 9.30 bis 16 Uhr. Sie endet am 31. Oktober.