Hamburg. Nach dem Tod seines Vaters hat Mischa Kliewer den Circus Mignon übernommen. Er will eine neue Kulturstätte in Hamburg schaffen.
Es ist ein kleiner Schatz, den zwei Hamburger da bergen konnten und in ihre Heimatstadt holten. Zufällig erfuhren Martin und Mischa Kliewer von dem Zirkuszelt der besonderen Art, das auf einem brachliegenden Industriegelände im Ruhrgebiet lagerte. In vier Überseecontainern schlummerte es, vergessen von der Außenwelt. Bis plötzlich das Gelände gebraucht wurde und das Zelt wegmusste. Die Hamburger ergriffen die Chance und erstanden die Stahlkonstruktion, die vom Unternehmen Thyssenkrupp einst als Auftragsarbeit für ein Autounternehmen hergestellt worden war.
„So etwas gibt es nicht noch einmal in Deutschland“, ist sich Mischa Kliewer sicher. Der Chef des sozialen Zirkusprojekts Mignon steht in der Manege, lässt den Blick schweifen. Die mit weißen Tüchern verkleidete Kuppel bietet enorm viel Platz für Bühne und Besucher. Denn dieses Zelt kommt ohne sichtversperrende Säulen aus und das bei 60 Tonnen Eigengewicht. Die Konstruktion macht es möglich. Im Unterschied zu üblichen Zirkuszelten ist der Auf- und Abbau dadurch aber auch um einiges aufwendiger. Nur mithilfe eines Krans konnte das Zelt auf dem Gelände an der Trabrennbahn in Bahrenfeld errichtet werden. Die Aufbaupremiere nahm drei Tage in Anspruch.
Jugendliche zu fordern und dadurch zu fördern
Was dort neben der Rennbahn verborgen hinter Bäumen vor einigen Wochen erstmals Formen annahm, ist ein seit zwei Jahren geplantes Projekt. Ein Traum, an dem Mischa Kliewer und sein kürzlich verstorbener Vater Martin zusammen gearbeitet und an den sie geglaubt haben. „Hätte mein Vater einige Monate länger gelebt, würde er jetzt hier mit uns stehen und von der Idee schwärmen“, sagt Mischa Kliewer. Sein Vater erlag mit 59 Jahren im Januar dem Krebs.
Der Pädagoge begründete den Circus Mignon, ein gemeinnütziges, integratives Projekt. Sein Grundgedanke: Jugendliche zu fordern und dadurch zu fördern. Was 1992 mit einer Zirkusvorstellung in Nienstedten seinen Anfang nahm, hat sich zu einem weit verzweigten Kulturprojekt mit zahlreichen Angeboten für Kinder, Jugendliche und Senioren entwickelt. Seinen Sitz hat der Circus Mignon heute in einer alten Villa an der Osdorfer Landstraße, der ehemaligen japanischen Schule. Von dort aus werden die zahlreichen Projekte koordiniert, mit denen das Überleben gesichert wird. Denn feste Zuschüsse erhält Mignon nicht.
„Wir mussten immer kreativ sein und uns neue Projekte einfallen lassen, weil wir Geld zur Finanzierung brauchten“, erklärt Mischa Kliewer, der seit 2002 seinem Vater bei dieser schweren Aufgabe beistand und nun allein die Leitung übernommen hat. Den Zirkusdirektor, den sein Vater so leidenschaftlich gern in der Manege spielte, wird und will er nicht ersetzen. „Diese Rolle war seine, und sie wird es auch bleiben“, sagt der 37-Jährige.
Neue Kulturstätte in Hamburg
Umso mehr liegt ihm am Herzen, das Projekt Mignon fort- und weiterzuentwickeln. Dazu gehört die Idee, mit dem Kuppelzelt eine neue Kulturstätte in Hamburg zu etablieren. „Dies soll das vierte Standbein von Mignon werden und die Grundlage für eine langfristige und gesicherte Zukunft bilden“, erzählt Kliewer. Unter anderem soll so der Fortbestand der Zirkusschule mit seinen festen Ensembles gesichert werden. Vier Gruppen mit bis zu 40 Kindern und Jugendlichen gehen auf Tournee, unter anderem auf Sylt. Rund 4000 Teilnehmer nutzen laut Kliewer pro Jahr die zahlreichen Kursangebote auch im Mignon Haus an der Osdorfer Landstraße. So gibt es Seminare, Werkstattangebote und Ferienangebote.
Um das zu finanzieren, wurde Mignon Entertainment und Mignon Circorante entwickelt, die für Unternehmen Showkonzepte entwickeln und Catering für bis zu 1500 Gäste anbieten. Bei diesen zirkuseigenen Unternehmen kommen auch Jugendliche mit Förderbedarf zum Einsatz. So war es auch bei der ersten Veranstaltungsreihe unter der Kuppel. Eine Eventagentur mietete das Festzelt samt Catering für eine kubanische Dinnershow an. Einnahmen, die das Überleben von Mignon absichern.
Doch Mischa Kliewer hat größere Pläne für das Kuppelzelt, in das die Zirkusmacher mehr als 250.000 Euro investierten. Er wünscht sich, dass daraus eine Anlaufstelle für Kulturschaffende der Hansestadt wird. Das große Problem: ein langfristiger Standort. Denn in Bahrenfeld müssen die Zelte 2017 abgebrochen werden, wenn hier das Trabrenngeschäft aufgegeben wird und der Wohnbebauung weicht. „Jetzt, wo Olympia nicht kommt, haben wir die Hoffnung, dass wir auf dafür vorgesehene Flächen können“, so Kliewer, der bereits Gespräche führt. Das 1200 Quadratmeter große Zelt soll mehr als ein Veranstaltungsort sein, es soll eine Bühne für die alternative Kulturszene der Stadt werden. Zirkusmann Kliewer träumt bereits von einem Kleinkunstfestival für Artisten und Clowns. „Das Monaco des Nordens“, wie sie das dreitägige Festival auf Sylt nannten, möchte er gern in die Hansestadt holen und so den Nachwuchs fördern – ganz im Sinne seines Vaters und der Idee von Mignon.