Hamburg. Das Konzert von Mariss Jansons und dem BR-Symphonieorchester im Großen Saal der Elbphilharmonie mit Sahneschmelz und seligem Lächeln.

München ist zu beneiden. Nicht um seine Konzertsaal-Versorgung, das nun gerade nicht, aber um einen so außergewöhnlichen Musik-Vermittler wie Mariss Jansons. Insbesondere mit den bissigen, scharfkantigen, doppelbödigen Sinfonien von Schostakowitsch ist der Lette buchstäblich groß geworden; er hat sie so sehr verinnerlicht, kann sie so selbstverständlich und so entspannt ­entschlüsseln wie kaum ein ­anderer. Seit 2003 ist er Chef beim BR-Symphonieorchester. Als die Berliner Philharmoniker vor zwei Jahren einen Rattle-Nachfolger suchten, lehnte Jansons dankend ab und verlängerte lieber beim BR, bis 2021. Das muss Liebe sein.

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Wie sie sich anhört, war am Sonnabend im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erleben, bei einer umjubelten Premiere, die hier mit einer Extraportion Spannung erwartet wurde. Denn dieser Saal lässt großartige Dirigenten und großartige Orchester ja nur glänzen, solange sie sich an seine Spielregeln halten. Schostakowitschs Opus 10 lag auf den Pulten, erst die erste, noch nicht die beeindruckendste Sinfonie.

Präzision eines Routiniers

Jansons machte daraus eine 30-minütige Lehrstunde in der Kunst, alles zu kontrollieren und nichts zu erzwingen. Die Balance zwischen den Instrumentengruppen war makellos, Trennschärfe und Klarheit, Drive und Tiefe? Alles da, alles bestens. Kein Gramm Befindlichkeitsfett, die Präzision eines Routiniers, der Routine-Routen zum Applaus nicht mag. Anders kann man das dirigieren. Besser, packender, brillanter, gruppendynamischer, eindrucksstärker? Das wird schwer. Und mit der heiklen Akustik hat das nichts zu tun.

Gut sechs Jahre ist es her, seit der Ausnahme-Maestro in Hamburg zu ­erleben war. Damals hatte man ihn mit dem Concertgebouw, den Wiener Philharmonikern und dem BR als Stargast für die gerade frisch eröffnete Elbphilharmonie gebucht. Kam dann ja anders, und die Jansons-Konzerte fanden in der Laeiszhalle statt.

Debüt-Konzert war auch ein Kultur-Politikum

Seitdem hat sich das Blatt gewendet: In Hamburg freut man sich über ein neues Konzerthaus mit Wahrzeichenaroma, in das ­ständig alle aus aller Welt wollen (s. Seite 9), und über die neue Begeisterung für das Kulturgut Musik als Daseins­bereicherung. München eiert nach wie vor bei diesem Prestige-Thema, weil man noch nicht mal endgültig weiß, was man nicht will. Neubau, und wenn ja, ist das unhandliche Werksviertel beim Ostbahnhof mehr als Notwehr? Gasteig-Umbau, den frischen Berechnungen des Elbphilharmonie-Akustiker Toyota glauben oder nicht? Konzept, Risiken, Kosten, Chancen ...?

Wirklich fix ist da eher nix. Außer einem: Jansons selbst, der seit Jahren nicht müde wird, den politisch Verantwortlichen klarzumachen, dass sie handeln müssen, was für das lädierte Renommee der Kulturmetropole München auf dem Spiel stünde, falls sie das auf bewährte Art und Weise verstolpern und vergeigen. Bei einer Baustellenbegehung sollen die Musiker-Gäste aus München waidwund-neidisch durch den Elbphilharmonie-Rohling spaziert sein. Es lässt sich erahnen, warum sie sich bei ihrem ersten Konzert hier besondere Mühe gaben.

Dieses Debütkonzert war nicht nur ein Gastspiel mit Abo-Programm, sondern auch ein Kultur-Politikum. Außer Münchner Journalisten waren auch Politiker und Entscheider ans Elbufer angereist, um sich mit eigenen Augen und Ohren davon zu überzeugen, wo die Messlatte jetzt hängt. Kaum war das Konzert vorbei, stellte der BR ein verknalltes Making-of-Auswärtsspielfilmchen online, um auch dem begriffsstutzigsten Bajuwaren diese Frage der Ehre zu verdeutlichen.

Sahniger Schmelz und seliges Lächeln

Zeitgenössischer Kontrapunkt mit alpinem Zungenschlag war „A Padmore Cycle“, ein Zyklus eher sonderbarer Einsiedler-Lieder, die Thomas Larcher dem wunderbar, jede Nuance gestaltenden Tenor Mark Padmore maßgeschneidert hatte. Verstörend karge Klangmalereien, zwischen surrealem Melodram und dräuender Melodie, über den Almauftrieb und andere Grenzerfahrungen.

Ein drastischer Kontrast zur Opulenz von Ravels „La Valse“. Beginnend mit dem ersten, noch dezenten Grundgrummeln der Kontrabässe tänzelte Jansons das Tutti mit vollem, tollem Schwung in einen Walzer-Rausch. Sahniger Schmelz in den Streichern und seliges ­Lächeln auf sehr vielen Gesichtern im BR-Orchester, bevor man sich mit zwei Zugaben (ein Moment Musical von Schubert, ein Slawischer Tanz von Dvorak) nach München verabschieden musste. Jetzt um eine tolle Erfahrung reicher, immer noch um einen tollen Saal ärmer.