Hamburg. Bau wurde immer wieder hart kritisiert. Wie stehen Aktivisten wie Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni heute zum „Prestigeprojekt“?

Es war im Herbst 2010, als Demonstranten eine Menschenkette um die Baustelle der Elbphilharmonie bildeten, um gegen soziale Ungerechtigkeit zu protestieren. Die Wahl des Ortes kam nicht von ungefähr. Das künftige Konzerthaus war mit seinen stetig steigenden Kosten für viele Kritiker zum Symbol einer enthemmten Elite geworden. Die große Welle, in der die Kleinen untergingen. Effektvoll wurden riesige Geldscheine, die „Elphi-Millionen“, in Brand gesetzt. Ist das Kommerz, oder kann das weg?

Es war eine heiße Zeit: Bis weit ins bürgerliche Lager hinein erhoben die Bewohner der Stadt ihre Stimmen (und gingen auf die Straße), als Kurzzeit-Kultursenator Reinhard Stuth bei Schauspielhaus und Altonaer Museum den Rotstift ansetzen wollte. Zudem galt es, die Zukunft des Gängeviertels zu verhandeln. Selten wurde so beherzt über Arm und Reich, über kulturelle Identität und Teilhabe, über Gestaltung und Vermarktung der Stadt gestritten und gerungen. Und über all dem prangte die Elbphilharmonie-Baustelle wie ein überdimensionaler Katzenkratzbaum, an dem sich alle rieben. Einige wohlig schnurrend, andere voller Wut.

Jene, die sich mit der Verkehrung von Codes auskennen, die Künstler nämlich, erschufen bald ein griffiges Gegensymbol. Der seit 1995 am Fischmarkt beheimatete Golden Pudel Club ernannte sich mal eben zur „Elbphilharmonie der Herzen“.

Wie die Bretterbude mit Sichtachse zum gläsernen Großprojekt da mit Größenwahn aufgeladen wurde, war einerseits der ironische bis verzweifelte Versuch, den Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen. Andererseits positionierte sich die Subkultur-Institution damit zugleich als Haus für alle. Als Stellvertreter für die vielen Kulturstätten der Stadt, die bereits existieren und ein engagiertes Programm machen. Es ist nun Sarkasmus der Geschichte, dass der kleine Musikclub gerade jetzt zur Baustelle geworden ist, wo die große gegenüber fast abgeschlossen ist.

„Wir haben mit dem Pudel die Elbphilharmonie der Herzen gegründet. Leider hat ausgerechnet die jemand angezündet“, sagt Rocko Schamoni und verweist damit auf den Brand seines Ladens im Februar dieses Jahres. Schorsch Kamerun, der den Club einst mit begründete, erklärt mit satirischen Biss: „Wir sind ständiger begeisterter Eulenspiegel des uns traurig kopierenden Konzerthaus-Zwillings in der Hafen-City“. Schamoni und Kamerun sind Aktivisten und Avantgardisten, die jedoch keineswegs bloß auf anti machen, sondern die ein unbedingtes Interesse an ihrem Lebensraum eint.

Im Video: Rundgang auf der Elbphilharmonie-Plaza:
 

„Die Elphi, wie wir lockeren Nordleuchten sagen, ist neben solch übermächtigen Konkurrenten wie Stutti 21 und Flugi BB, also Berlin-Brandenburg, Titelanwärter und ohrfeigenbelastetes Paradebeispiel für eine gescheiterte bürgerabgewandte Leuchtturm-Stadtpolitik“, sagt Kamerun, der wie Schamoni Autor und Musiker ist. Und Regisseur, unter anderem am Schauspielhaus.

Für Kamerun liegt ein positiver Effekt „solcher Giga-Rücksichtslosigkeiten“ immerhin darin, dass eine neue Partizipationskultur ausgelöst worden sei. „Es wird in absehbarer Zeit sicher rechtzeitiger mal nachgefragt werden, was die Gemeinschaft wirklich braucht, bevor sie vom darauffolgenden Debakel-Spektakel in den nächsten Schatten betoniert wird“, sagt er. Projekte wie die Planbude, die für die Neugestaltung des Essohaus-Quartiers auf St. Pauli die Meinungen vieler mit einbezieht, sind gute Beispiele für derart gelebte Beteiligung.

„Elbphilharmonie vor allem ein Prestigeprojekt"

Schamoni sieht in der Elbphilharmonie vor allem ein Prestigeprojekt, um die Stadt touristisch zu vermarkten. „Was wollen wir denn dadurch erreichen, wenn wir immer noch bekannter und beliebter in der Welt werden?“, fragt er kritisch. „Von 2008 bis 2016 haben sich die Übernachtungen in Hamburg nahezu vervierfacht. Das bringt Cash pur.“

Die Idee von „Hamburg als moderner Geldmelkanlage“ stoße ihn allerdings ab. Ebenso, wie ihn jede weitere Kostenerhöhung beim Bau der Elbphilharmonie in den vergangenen Jahren empört habe. Nach wie vor steht für Schamoni folgende Frage übergroß im Raum: „Welche Konsequenzen werden aus dieser Fehlleistung gezogen?“

Im Vergleich zum heißen Herbst vor sechs Jahren sind die entrüsteten Stimmen jedoch leiser geworden – anscheinend umgekehrt proportional zum Wachstum der Elbphilharmonie. Als seien die Kritiker Stein für Stein, Scheibe für Scheibe mürbe gebaut worden. Parallel ist der glückstrunkene Fast-geschafft-Vorabjubel schlichtweg lauter geworden.

Musiker und
Aktivist Schorsch
Kamerun
Musiker und Aktivist Schorsch Kamerun © HA | Andreas Laible

Die harschen Kritiker zeigen sich angesichts mit Steuergeldern geschaffener Tatsachen allerdings beweglich. Schamoni hofft, dass die Elbphilharmonie „nach all dem Stress“ ein Haus für alle Menschen wird, „nicht nur für die wohlhabenden Anwohner, nicht nur für die Angereisten“. Zwangsläufig habe sich seine Haltung zur Elbphilharmonie im Laufe der Entstehung gewandelt, erläutert Kamerun. „Nach allem Protest muss so ein empfindlich bezahlter Tempel unbedingt genutzt werden! Auch weil ich finde, dass es öde wäre, wenn wir als Gemolkene unser neues Edel-Vieh nicht temperamentvoll reiten würden.“

Pop-Expertin: „Wir wollen da rein“

Ganz ähnlich sieht es Andrea Rothaug, die als Geschäftsführerin des Vereins RockCity Hamburg die Interessen der hiesigen Musiker, des viel zitierten Humus, vertritt. „Wir wollen da rein“, erklärt die Pop-Expertin. Sie hofft auf eine Art Sogwirkung, die die hiesige Szene nach der Eröffnung am 11. Januar 2017 auf die Bühne des Konzertsaals bringt: „Du kannst nicht da oben was bauen und die da unten verhungern lassen.“

Von Elbphilharmonie-Generalintendant Christoph Lieben-Seutter fordert und erwartet Rothaug, dass er die Genregrenzen von E- und U-Musik final einreißt, dass er Sub- mit Hochkultur vermengt, dass er lokale Künstler mit internationalen zusammenbringt.

Kritiker, Musiker,
Autor: Rocko
Schamoni
Kritiker, Musiker, Autor: Rocko Schamoni © dpa | Lukas Schulze

„Ich bin keine Freundin davon, Projekte gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen das ganze Paket. Ich möchte Pudel-DJ Ralf Köster auf der Kanzel der Elbphilharmonie sehen und Kent Nagano im Pudel Club“, sagt Rothaug durchaus euphorisch. Zudem wünscht sie sich ein Musiker-Ticket, mit dem Hamburgs Kulturschaffende günstigeren Eintritt erhalten.

Rocko Schamoni möchte auf jeden Fall ein Konzert in der Elbphilharmonie besuchen. „Ich muss mir ja ein Urteil bilden“, sagt er – und fügt hinzu: „Mit den richtigen Inhalten könnte man die bösen Geister der Vergangenheit eventuell verjagen. Und ich muss zugeben: Ich bin auf den Klang gespannt.“

Es bleibt also spannend, ob der Leuchtturm letztlich für alle leuchtet.