Am Grindelhof schlägt das Herz des Stadtteils Rotherbaum. Dabei sind es nicht die typischen Szenegänger, die sich hier wohlfühlen.

Ein lauer Sommerabend: Stühle und Tische stehen auf dem breiten Bürgersteig, Italiener, Portugiesen, Thailänder, alle Restaurants am verkehrsberuhigten Grindelhof erweitern ihre Gasträume einfach nach draußen. Es duftet und riecht, es wird diskutiert und gestikuliert - eine Atmosphäre wie in südlichen Ländern erwärmt die gar nicht so kühlen Nordlichter. Hier schlägt das Herz des Stadtteils Rotherbaum. Es sind nicht die typischen Szenegänger, die sich hier wohlfühlen, es sind Studierende von der nahen Universität ebenso wie Singles, Paare, Familien mit Kindern. Eine lebendige Gemeinschaft mit fast dörflichem Charakter. "Man kennt sich, man grüßt sich", sagt Ingelor Reinhard vom historischen Bürgerverein Rotherbaum, den es bereits seit 1848 gibt. "Man genießt das rege Miteinander und gleichzeitig die Anonymität einer Großstadt." Und so wundert sich auch niemand über die Nachbarin, die "zum Einkaufen in die Stadt" fährt - in die Mönckebergstraße.


Das jüdische Leben ist zurückgekehrt

+++ Die Stadtteilserie wird zum Hamburg-Buch +++

Die citynahe Lage ist das große Plus des Stadtteils, das hatten bereits im 18. Jahrhundert vor allem die wohlhabenden Bürger Hamburgs entdeckt. Schrittwiese vollzog sich die Bebauung von Rotherbaum: Von der Wasserseite kommend bis zur Rothenbaumchaussee prägen heute überwiegend stattliche Stadtvillen das Straßenbild. Erst dann beginnt eine dichtere Bebauung mit mehrstöckigen Wohnhäusern und Ladengeschäften, zum Teil mit Innen- und Hinterhöfen. Hier, im Grindelviertel, findet man alles, was man so braucht zum täglichen Leben. Grindel kommt übrigens von Wald, und noch heute säumen viele Bäume selbst kleine Straßen.

+++ Zahlen & Fakten +++

+++ Kurz & knapp +++

+++ Töchter & Söhne +++

+++ Name & Geschichte +++

Hier entstand auch ein lebendiges jüdisches Viertel, ein in den Boden eingelassener Grundriss erinnert an die größte Synagoge Norddeutschlands, die von 1906 bis 1938 auf dem damaligen Bornplatz (heute Joseph-Carlebach-Platz) stand. Vom Schicksal der einstigen Bewohner zeugen die im Bürgersteig eingelassenen Stolpersteine: Vernichtet, verschwunden, deportiert, vergast ist auf den Messingquadraten zu lesen. Mittlerweile hat sich zwischen Grindelhof und Rentzelstraße erneut aktives jüdisches Leben etabliert, in der Talmud-Tora-Schule werden wieder Mädchen und Jungen unterrichtet. Dass der Gebäudekomplex rund um die Uhr von Polizeibeamten bewacht wird, macht allerdings deutlich, dass längst noch nicht alles normal ist. Normal hingegen ist es, dass im Supermarkt koschere Nahrungsmittel und Weine extra ausgeschildert sind, dass im Café Fankoni selbst beim Latte macchiato die religiösen Speisevorschriften eingehalten werden, es in den Kammerspielen das Restaurant Jerusalem gibt und im Café Leonar einen jüdischen Salon.

In den Köpfen vieler heißt das Grindelviertel allerdings Uni-Viertel, auch wenn sich die fünftgrößte Hochschule der Republik mit 40 000 Immatrikulierten auf fast 150 unterschiedliche Gebäude in der ganzen Stadt verteilt. Studierende bestimmen das Bild rund um den zentralen Campus mit dem unübersehbaren Phil(osophen)turm oder nahe dem klassizistischen Uni-Hauptgebäude samt großzügigen Flügelbauten an der Edmund-Siemers-Allee. Das Quartier lebt von der Mischung aus Uni und Wohnen, die meisten hier würden es begrüßen, wenn sich der Senat dazu durchringen könnte, das Postamt Schlüterstraße - das legendäre "Hamburg 13" - als repräsentativen Uni-Bau zu erwerben. Repräsentativ residiert bereits die Hochschule für Musik und Theater, im Budge-Palais am Harvestehuder Weg wird der Grundstein für die Künstlerkarriere gelegt.

Film-Künstler werden am liebsten im Abaton, Hamburgs erstem und bestem Programmkino, bewundert. Der Spielplan mit Schwerpunkt auf deutschen und europäischen Filmen (gern auch mit Untertiteln) zieht Cineasten an, die es zu schätzen wissen, dass kein Popcornduft die Sinne benebelt.

Shops und Galerien vom Feinsten

+++ Die Stadtteil-Patin: Karin Franzke +++

Theaterluft genießt man in den traditionsreichen Kammerspielen an der Hartungstraße, von Ida Ehre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu neuer Bedeutung geführt und inzwischen als Privattheater erfolgreich mit Eigenproduktionen und Gastspielen. So vieles gehört zur kulturell-geistigen Vielfalt im Viertel: das Völkerkundemuseum an der Rothenbaumchaussee, die Sammlungen einiger Uni-Institute, die Jugendmusikschule, das Medienzentrum an der Hallerstraße, die Konsulate, die evangelische Kirchengemeinde von St. Johannis-Harvestehude. Von hier sind es nur wenige Meter bis nach Pöseldorf, das entgegen der Meinung vieler Hamburger wie die Kirche nicht zum vornehmen Harvestehude, sondern zum quirligen Rotherbaum gehört. Das Dorf im Dorf, das seinen Namen den kleinen Leuten verdankt, die hier in ihren Gärten "pöselten", musste sich zuletzt neu erfinden. Nach dem Wegzug des Milchstraßen-Verlags standen viele Räume im Pöseldorf-Center leer, inzwischen findet man hier einen Supermarkt und noch viel mehr. An der Milchstraße runter zur Außenalster bringen junge Kneipen und erfindungsreiche Restaurants, schicke Shops und exklusive Galerien wieder Leben in die schmale Gasse. Der ursprüngliche Charme des Viertels mit Kutscherhäuschen, Handwerksbetrieben und gepflasterten Innenhöfen konnte - trotz einiger Bausünden - bewahrt werden.

Pöseldorf zieht auch wieder Touristen an, die Rotherbaum ohnehin schätzen wegen der kurzen Wege an die Außenalster und in die City. Wie die ersten Hamburger, die sich hinter dem roten Schlagbaum niedergelassen hatten.

In der nächsten Folge am 2.7.: Neuwerk