Das Abendblatt vergleicht Stadtteile am äußersten Rand Hamburgs mit angrenzenden Gemeinden. Heute: Eidelstedt und Halstenbek.
Nach vorne Großstadt, nach hinten Schleswig-Holstein“, sagt Thomas Höltermann, 49, und zeigt aus seiner Wohnung im Olloweg. Vorne rauscht lautstark der Verkehr auf der vierspurigen Kieler Straße vorbei. Hinten geht der Blick Hunderte Meter weit über ein grünes Feld. Es ist mucksmäuschenstill. Wir stehen am Zaun und schauen auf die Feldmark. Grüne Wiesen, so weit das Auge reicht. Neun Kühe fressen gemächlich ihr Gras.
Wir sind in Eidelstedt, mitten in der Stadt. Und Schleswig-Holstein ist natürlich noch ein paar Kilometer weiter im Norden. Aber die Eidelstedter Feldmark ist diesem Stadtteil mit seinen 31.000 Einwohnern als Naherholungsfläche erhalten geblieben. Eingezäunt, wenn man so will, von der A 7 und der Kieler Straße. Südlich grenzt der Sola-Bona-Park. Nordwestlich naht fußläufig das Eidelstedt Center, Herz und Verkehrsknotenpunkt im Viertel. Und deswegen gibt es keinen besseren Platz, um diesen Stadtteil zu beschreiben, der seit Jahrzehnten den Spagat zwischen Großstadt und dörflicher Idylle versucht.
Mehr als 60 Industrieunternehmen gab es noch vor 60 Jahren
Und Thomas Höltermann ist passenderweise so etwas wie ein Experte für die Menschen, die hier leben. Er selbst kam vor 20 Jahren nach Eidelstedt. Gelernter Tischler, der aus gesundheitlichen Gründen zum Erzieher umschulte. Er engagierte sich bei der Erhaltung und Sanierung des 1895 erbauten Langeloh-Hofs an der Kieler Straße, wo zwei Wohnprojekte einzogen. Und fand schließlich eine Anstellung im Eidelstedter Bürgerhaus als Kulturpädagoge.
„Eidelstedt wird auf jeden Fall unterschätzt“, sagt er gleich vorweg. Thomas Höltermann kennt noch Zeiten, in denen sich Menschen geschämt haben, wenn sie sagten, dass sie in Eidelstedt wohnten. Der Stadtteil hatte viele Industrieunternehmen zu verkraften. Mehr als 60 waren es vor 50 Jahren. Margarine- und Fischmehlfabriken, Chemie- und Bleiwerke samt ihrer Umweltbelastungen. Eidelstedt war nicht chic, nicht hip, nicht angesagt. „Dabei ist es hier total schön.“ Und die Menschen? „Ehrlich, geerdet, nicht abgehoben – und nicht so hektisch und gestresst.“
Im Grunde sei Eidelstedt ideal für Familien. Es gibt viel Grün, elf Kitas und Vorschulen, fünf Grundschulen, Gymnasium und Stadtteilschule, Berufsschule und Berufsbildungswerk. Mit Bus und Bahn braucht man keine halbe Stunde bis in die Innenstadt. „Und der Wohnraum ist hier noch bezahlbar“, sagt Höltermann.
Lesungen, Theater, Tanz: Im Bürgerhaus gibt es Kultur
Zum Vergleich: Während im angrenzenden Lokstedt der durchschnittliche Preis für ein Grundstück bei knapp 650 Euro pro Quadratmeter liegt (Januar 2014), beträgt er in Eidelstedt nur 350 Euro. Seit einigen Jahren schon setzen sie in diesem alten Eisenbahner-Bezirk, der einst Norddeutschlands größten Rangierbahnhof beheimatete und heute Deutschlands größtes ICE-Betriebswerk unterhält, vermehrt auf Kultur. Und daran hat das Bürgerhaus großen Anteil. Das Programm ist prall und bunt. Es gibt Lesungen und Theater für Klein und Groß, Tanz und Konzerte, Workshops und Gesundheitstraining.
Eidelstedt in Zahlen
Am Freitag fand zum zweiten Mal das beliebte Open-Air-Kino mit Picknick auf dem Eidelstedter Marktplatz vor dem Bürgerhaus statt, wo dreimal in der Woche die Marktbeschicker ihre frischen Waren verkaufen. Die Besucher brachten Essen und Sitzgelegenheiten selbst mit. Gezeigt wurde „Banklady“, die Geschichte der Gisela Werler, die fast auf den Tag genau vor 50 Jahren die Filiale der Hamburger Volksbank überfiel – in Eidelstedt.
Was fehlt? „Vielleicht ein paar mehr Studenten“, sagt Höltermann. Und ein paar urige Kneipen. Der Eidelstedter ist halt lieber im Freien. Davon zeugen auch die Saisongärten von Christoph Ramcke. Auf 200 Parzellen gärtnern hier zwischen A 23 und A 7 750 Menschen. „Sie verzehren das, was sie mit eigenen Händen gesät haben“, sagt Ramcke, der Parzellen Kitas und Schulen auch kostenlos zur Verfügung stellt. Sie haben in Eidelstedt halt immer noch viel Spaß am Spagat.