Hamburg. Katja Husen über grün-schwarze Perspektiven in Eimsbüttel, Feminismus und darüber, wie sie Autofahren unattraktiv machen will.
In Eimsbüttel bricht eine neue Ära an. Grüne und CDU bilden jetzt eine Koalition, die SPD muss auf die Oppositionsbänke. Voraussichtlich in der Bezirksversammlung am 28. November wird mit der Grünen Katja Husen (43) eine neue Amtsleiterin gewählt werden. Im Interview sagt die designierte Bezirkschefin, wie sich das anfühlt und was in Eimsbüttel passieren soll.
Frau Husen, bei der Präsentation des Koalitionsvertrages in der Kreismitgliederversammlung Ihrer Partei war echte Freude zu spüren. Aufbruch und Befreiung lagen in der Luft. Der Koalitionsvertrag liest sich streckenweise wie ein grünes Manifest. Geht jetzt ein Ruck durch die Partei und in Eimsbüttel wird alles anders, radikaler, grüner?
Katja Husen: So genau kann ich das gar nicht beurteilen, ich bin ja Altonaerin und habe die letzte Legislatur in Eimsbüttel nicht so genau verfolgt. Aber nicht nur ich war völlig fasziniert davon, wie gut man mit der CDU über Nachhaltigkeit sprechen kann, wie konkret man werden kann und wie konstruktiv. Es ist in der Partei eine große Lust auf Politik und Diskussion zu spüren. Das muss sich früher mit der SPD sehr anders angefühlt haben.
Sie freuen sich sehr auf den Job als Bezirksamtsleiterin, haben Sie erklärt. Sie wechseln also mit fliegenden Fahnen, Ihre Wahl gilt als sicher. Ist das nicht etwas problematisch für die Leute im UKE, die sie jetzt verlassen?
Husen: Ja, es ist tatsächlich ein bisschen so. Aber: Jeder ist ersetzbar. Wir sind auf dem Weg, eine gute Nachfolgeregelung für mich zu finden. Und das Feedback, dass man mich vermissen wird, ist ja auch schön. Es ist nicht so, dass da jetzt eine Welt untergeht.
Sie sind Biologin, sind sehr schnell im Kopf, haben ein sehr gutes Gedächtnis, waren schon im Bundesvorstand Ihrer Partei und haben als Geschäftsführerin im UKE rund zehn Jahre Führungs- und Verwaltungserfahrung mit großen Einheiten. Trotzdem wurden Zweifel an ihrer Eignung geäußert. Mit Gründen?
Husen: Ich nehme an, dass viele mit Verwaltungserfahrung die klassische Verwaltung meinen. Und das UKE ist ja keine Behörde mehr, obwohl es noch viel davon hat. Die Kollegen im UKE haben eine ganz andere Sicht der Dinge, da haben mich die alle nur gefragt, ob ich denn genug politische Erfahrung habe. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen sind schon sehr interessant.
Der Bezirksamtsleiterposten ist ein durchaus politisches Amt. Ist die Ausschreibung dann nur ein politisches Spielchen oder warum kann sie jetzt in Eimsbüttel einfach entfallen?
Husen: So wie ich die Rechtsauffassung der grün-schwarzen Koalition verstanden habe ist gar keine Ausschreibung möglich, wenn es einen amtierenden Bezirksamtsleiter gibt, der nicht unmittelbar vor dem natürlichen Ende seiner Amtszeit steht. Aber ja, Ausschreibungen können politische Spielchen sein. Oft erfüllen die Wunschkandidaten auf wundersame Weise das Anspruchsprofil ganz genau. Im Bezirk Mitte zum Beispiel, wo sich niemand daran stört, dass der langjährige SPD-Bezirksfraktionschef Falko Droßmann ohne Ausschreibung Bezirksamtsleiter wurde.
Welche Rolle spielt der Feminismus in Ihrem Leben? Sie waren mal frauenpolitische Sprecherin im Grünen-Bundesvorstand …
Husen: Eine große! Ich lebe ihn jeden Tag und bin dabei trotzdem sympathisch. (lacht) Das überrascht viele Leute. In den Augen vieler ist der Feminismus eine Ideologie und ihre Vertreterinnen gelten als leicht verkniffen. Für mich ist das nicht so. Frauen und Männer, die keine Feministen sind, haben vielleicht zu wenig Probleme mit den klassisch vorgegebenen Geschlechterrollen. Der Feminismus hat etwas ungeheuer emanzipatorisches, er öffnet Horizonte für Rollenverständnisse, die nicht so festgelegt sind. Es ist allerdings oft schwierig, seine Rolle selbst suchen zu müssen. Da geht auch ein Stück Sicherheit verloren.
Sie sind alleinerziehend. Werden Ihre Kinder gelegentlich mal in die Amtsstube kommen oder sie aus einer Ausschusssitzung rufen? Wie kriegen Sie Arbeit und Familie unter einen Hut?
Husen: Ich bin teilalleinerziehend. Ich glaube, dass wir das gut hinbekommen. Am UKE habe ich ja auch keinen Nine to Five-Job. Dass mein Kind ins Amt kommt, glaube ich eher nicht. Es wird sich lieber vorher ein bisschen Geld geben lassen und sich selbst versorgen. Aber vielleicht werde ich mal abgeholt, wenn danach ein Restaurantbesuch ansteht.
Waren Sie an den Koalitionsverhandlungen beteiligt?
Husen: Nein, gar nicht. Da sind die Sphären strikt getrennt. Außerdem wohne ich in Altona und bin gar nicht Mitglied bei den Grünen in Eimsbüttel.
Laut Koalitionsvertrag wollen Sie auf Fassadenbegrünung setzen und sogar die Einführung einer neuartigen „Grünflächenzahl“ prüfen, die pro Grundstück einen Grünanteil rechtsverbindlich festlegt. Was für Vorteile hat das?
Husen: Für die Bevölkerung ist klar, dass das gut fürs Stadtklima ist und unglaublich positive Effekte hat. Die psychologische Wirkung ist sehr groß, damit haben wir uns im UKE beschäftigt. Wer auf Bäume guckt statt auf Beton, hat ein signifikant geringeres Stresslevel. Daher das Bekenntnis zu Bäumen. Die Fassadenbegrünung ist sehr stark erwachsen aus den Klimazielen, die nicht erreichbar sind, ohne auch bebaute Flächen zu begrünen und sie insofern doppelt nutzbar zu machen.
Sie wollen die Bürgerbeteiligung ausbauen hin zu echter Mitbestimmung, hat Ihre Partei angekündigt. Da wollen Sie sich absetzen von der bisherigen, eher kritisch gesehenen Praxis. Wie soll das aussehen?
Husen: Da wollen wir uns gar nicht so sehr absetzen. Eimsbüttel ist stolz auf seine Beteiligungsformate und sieht sich da in einer Vorreiterrolle. Wir wollen die Bürgerbeteiligung besonders ausweiten in Richtung Kinder und Jugendliche. Und wir wollen Beteiligungsformate finden für leisere Leute, die sich nicht schon von allein überall einbringen.
Nehmen wir ein Bebauungsplanverfahren. Jetzt ist es vielfach so, dass die Politik in nicht öffentlicher Zusammenarbeit mit Senat und Bezirksverwaltung die Eckdaten festlegt, im Aufstellungsbeschluss diese Eckdaten beschlossen werden und dann erst die Bürgerbeteiligung startet. Soll der Bürger künftig schon vor dem Aufstellungsbeschluss mitreden?
Husen: Ich habe es so verstanden, dass die Koalition so etwas vorhat und zumindest versuchsweise deutlich früher beteiligen will als bisher. Wichtig ist das Vertrauen. Es sollen sich nicht die lautstarken Minderheiten durchsetzen. Da braucht es eine gute Verbindung, eine gute Moderation, und das zu versuchen, ist eine ehrenvolle Aufgabe.
Die Hinterhofkultur mit kleinen Handwerksbetrieben im Kerngebiet wird im Koalitionsvertrag als identitätsstiftend für den Bezirk herausgestellt. Wie wollen Sie den Handwerkern, die eingekreist sind von schutzbefohlenen Kindern und vielfach sehr diskutierfreudigen Nachbarn, das Überleben sichern?
Husen: Gute Frage. Ich hoffe immer sehr, dass das über den Dialog hinzubekommen ist. Leider ist es in Zeiten des Wohnungsmangels oft so, dass die Leute jede Wohnung nehmen und dann hinterher versuchen, die Nachbarschaft nach ihren Wünschen zu gestalten. Da hilft nur Interessenausgleich. Da gibt es keinen Königsweg zur Verständigung. Oft sind die Menschen einfach nicht stolz genug darauf, dass sie in einem urbanen Viertel leben, in dem die Menschen bereit sind, auch mal beide Augen zuzudrücken.
Woher kommt der Raum für Betriebserweiterungen?
Husen: Das ist ein Problem, wo vielleicht am Ende tatsächlich der eine oder andere den Bezirk verlassen wird. Aber dann müssen wir versuchen, die Fläche für jemanden zu nutzen, für den es passt. Vielleicht ist auch ein Ringtausch möglich. Bei Wohnungen ist das ja auch ein Problem, das man lösen muss, wenn ältere Menschen barrierefreie Wohnungen benötigen und diese nicht bezahlbar in der Nachbarschaft finden. Vieles müssen da die Menschen in den Quartieren bewirken. Da zählt gute Nachbarschaft.
Die grün-schwarze Verkehrswende hört sich mutig an. Wollen Sie wirklich so viele Straßen für den Durchgangsverkehr sperren? Und wo soll das Blech hin, wenn auch die Parkplätze verschwinden? Soll der Bürger das Klima nachhaltig schützen und sein Auto verkaufen?
Husen: Der Ansatzpunkt ist nicht zu versuchen, die Menschen zum Verkauf ihrer Autos zu bewegen. Obwohl das am Ende ein Ergebnis sein kann. Ziel ist es, eine höhere Mobilitätsqualität für Leute zu erreichen, die nicht mit dem Auto unterwegs sind. Es muss auch nicht immer gleich eine Straßensperrung sein. Aber vielleicht ein Netz von Einbahnstraßen, das es für Autofahrer unattraktiv macht, ins Quartier hineinzufahren.
Quartiersgaragen sollen den Parkdruck mindern. Das gilt als Akzent, den die CDU setzte. Wo sollen die Quartiersparkhäuser hin und: Finden sich Investoren dafür?
Husen: Ich finde Quartiersgaragen auch super. Überall da, wo die Leute gleich in die Tiefgarage fahren, erhöht das die Aufenthaltsqualität ungeheuer. Das UKE ist ein gutes Beispiel dafür. Das Gelände wird viel attraktiver werden, wenn die meisten Autos direkt in die Tiefgaragen fahren. Das Parken in engen Quartieren muss kostenpflichtig werden – in und außerhalb von Garagen. Den Menschen muss klar werden, dass es keine gute Idee ist, mit dem Auto in den Eppendorfer Weg zu fahren.
Möchte die CDU, dass Sie den Führerschein machen und den Parksuchverkehr aus eigener Anschauung kennenlernen?
Husen: Nein, Gott sei Dank nicht. Aber als Rennradfahrerin kenne ich den Parksuchverkehr sehr genau, wenn ich hinter so einem Wagen her fahre und jederzeit mit komischen Manövern oder überraschenden Bremsungen rechnen muss. Da habe ich Anschauungsmaterial genug.
Sie haben sich den Forderungen der Fluglärmschützer weitgehend angeschlossen und fordern im Koalitionsvertrag – offenbar mit dem Segen der CDU - eine Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr, also die Kürzung des zulässigen Flugbetriebes um eine Stunde. Ist das nicht übertrieben? Das fordern ja nicht mal die Grünen in der Bürgerschaft. Und der Flughafen liegt im Bezirk Nord!
Husen: Ich finde, das ist vor dem Hintergrund der Kenntnis über die gesundheitsschädlichen Folgen des Lärms ganz richtig so. Auch den Autolärm wollen wir reduzieren, der Flugverkehr kann uns dann nicht egal sein. Es fliegt genug über Eimsbüttel, um dazu eine Position zu haben. Eine feste Nachtruhe ist gerade in der Stadt total wichtig. Der Flughafen ist einfach sehr tief in der Stadt drin.
Haben Sie ein Lieblingsprojekt für ihre Amtszeit?
Husen: Ja, die Frage der Aufteilung des öffentlichen Raums. Sie stellt sich mit der Verkehrswende neu und betrifft auch den Grünanteil. Leider gibt es Gruppen, die fast immer hinten runter fallen. Kinder, ältere Leute, Menschen mit Kinderwagen oder Rollator. Wir müssen mehr für Barrierefreiheit tun. Man darf die Infrastruktur nicht erst anpassen, wenn nachgewiesen ist, dass die Kapazität eines Geh- oder Radweges um das Doppelte überstiegen wird. Wenn die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum nicht stimmt, erzeugt das Unzufriedenheit. Ich hoffe, dass uns ein Dialog gelingt, in dem diese Fragen im Sinne eines Ausgleichs zu klären sind.