Hamburg. Nach langer Vernachlässigung des Hauses im Uni-Viertel müssen Mieter raus. Behörden wollten Besitzer enteignen – doch es ist zu spät.
Zwangsräumung statt Enteignung: Nach jahrelanger Vernachlässigung durch den Eigentümer haben sich die Zustände in einem baufälligen Wohnhaus an der Grindelallee so gravierend verschlechtert, dass sich der Bezirk Eimsbüttel jetzt gezwungen sieht, den Altbau zu räumen. Acht Mieter sollen bis Ende Mai ihre Wohnungen verlassen. Begründung des Amtes: Gefahr in Verzug, der Brandschutz für die Bewohner sei nicht mehr gewährleistet, das Risiko einer Wohnnutzung zu hoch.
Es ist der vorläufige Schlusspunkt in der Geschichte dieser umstrittenen Immobilie im Uni-Viertel, die laut Mieterverein zu Hamburg von einem „Vermieter der schlimmsten Sorte“ konsequent heruntergewirtschaftet worden sei. Mieter berichteten schon vor mehr als einem Jahr von Schikanen wie Buttersäure im Flur, von Türschlössern, die mit Sekundenkleber verstopft wurden, von Kothaufen vor dem Keller und von Müll im Treppenhaus.
„Alles mit dem Ziel, die Mieter aus dem Haus zu bekommen, um es für einen höheren Preis verkaufen zu können“, sagt Rolf Bosse, Anwalt des Mietervereins. „Und nun hilft das Bezirksamt diesem Eigentümer auf skandalöse Weise, dieses Ziel zu erreichen.“ Von 26 Wohnungen sind zurzeit noch acht bewohnt.
Dabei hatte der Bezirk sogar erwogen, das marode Haus unter Treuhänderschaft zu stellen, also den Vermieter formal zu enteignen, um die festgestellten Mängel zu beseitigen und dem Eigentümer hinterher in Rechnung zu stellen. „Doch für diese Option ist es nun zu spät“, sagt Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Kay Gätgens. Jetzt gehe es um Leib und Leben der Bewohner. „Der rechtliche Rahmen gegenüber dem Eigentümer ist leider ausgeschöpft.“
Bezirk: Mieter "haben nicht juhu geschrien"
Der Streit mit dem Eigentümer Sven B. zieht sich seit Jahren. Nachdem der Bezirk bei einer Begehung festgestellt hatte, dass aus den acht Wohnungen des Hauses ohne Genehmigung 26 gemacht wurden und kein Fluchtweg bei Feuer für die Mieter zur Verfügung steht, untersagte das Amt die Wohnnutzung. „Daraufhin haben wir auf eigene Kosten Sammelräume eingerichtet und dafür gesorgt, dass die Mieter im Haus wohnen bleiben können“, so Thorsten Gierenz, Leiter der Bauprüfung im Bezirk. Doch jetzt sei ein Punkt erreicht, an dem diese „Amtshilfe“ nicht mehr greife.
Immerhin will der Bezirk allen betroffenen Mietern eine neue Wohnung vermitteln. „Obdachlos wird keiner“, verspricht Amtsleiter Gätgens, räumt aber auch ein, dass die Mieter „nicht juhu geschrien haben“. Einige leben seit Jahrzehnten in dem Haus. Mit der Wohnungsvermittlung übernehme der Bezirk abermals eine Aufgabe, die dem Vermieter obliegt. Und schon davor habe das Amt wenig unversucht gelassen. Unter anderem wurde der Eigentümer unter Androhung von Zwangsgeldern aufgefordert, das Haus wieder für die Wohnnutzung herzustellen – ein Verfahren, an dessen Ende die Treuhänderschaft stehen kann. Doch es passierte: nichts.
Inzwischen soll ein Rechtsstreit über den Verkaufspreis der Immobile toben. Im Haus an der Grindelallee, sagte die langjährige Mieterin Margreth Stephan, habe es seit Übernahme durch Sven B. immer wieder Versuche gegeben, Mieter aus den Wohnungen zu drängen. Blankokündigungen, kalte Heizungen, kein Licht im Flur. Den Laden „Text+Töne“ im Erdgeschoss hatte es als erstes getroffen. Die Verdoppelung der Miete wollte der Pächter damals nicht zahlen – und zog aus.
Mieterverein spricht von „fatalem“ Signal
Zuletzt sollte Sven B. ein Konzept vorlegen, wie er den Wohnraum wieder nutzbar machen möchte. „Kommt er dem nicht nach, werden 3000 Euro fällig“, heißt es aus dem Bezirksamt. „Verstößt er danach gegen die verbundene Berichtspflicht, werden pro Verstoß jeweils wieder 3000 Euro fällig.“
Doch das sind anscheinend nur „Peanuts“ für den Eigentümer angesichts eines Verkaufspreises, der bei einem leeren Haus an der Grindelallee im mittleren einstelligen Millionenbereich liegen dürfte. Das Signal dieses Verfahrens sei laut Rolf Bosse, Anwalt des Mietervereins, „fatal“. Denn es sei eine „Tragödie, dass sich niemand für die Interessen der Mieter zuständig fühlt, um ihren Wohnraum zu erhalten.“ Die Räumung der absichtlich vernachlässigten Immobilie sei „ein Schlag für alle, die sich in Hamburg für bezahlbaren Wohnraum einsetzen.“ Anscheinend sei die Gesetzeslage zu lasch.
Eigentümer war schon häufiger in den Schlagzeilen
Zumal Sven B., der schon mit mehreren vernachlässigten Immobilien in die Schlagzeilen geraten war, Erfahrung mit brisanten Situationen hat. Wiederholt wurde wegen Unterschlagung, Untreue und Betrug gegen ihn ermittelt, sagte Oberstaatsanwältin Nana Frombach dem Abendblatt. Bewiesen wurde nichts, die Vorfälle in seinen Häusern konnten ihm nicht nachgewiesen werden.
Zudem wurde ihm bereits vorgeworfen, die Mietkaution von drei Zeugen veruntreut oder unterschlagen zu haben, das Finanzamt ließ schon seine Mieteinnahmen pfänden, Post an seine Anschrift konnte nicht zugestellt werden. Für Mieter ist er nur äußerst selten erreichbar. 2013 wurde er sogar zeitweise gesucht. In Altona und Buxtehude musste schon vom Mittel der „öffentlichen Zustellung“ an ihn Gebrauch gemacht werden, eine Art öffentliche Bekanntmachung. Auch das Abendblatt hat mehrfach versucht, Sven B. zu erreichen – ohne Erfolg. Eine aktuelle Anfrage des Abendblatts bei seinem Anwalt blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.