Hamburg. Am Weidenstieg entsteht seit 2013 ein riesiges Siel. Die Folge: Kunden meiden die Geschäfte, das Restaurant Dilara musste schließen.

Die Maße der Grube sind gigantisch: zwölf Meter Durchmesser, 16 Meter geht es in die Tiefe. Seit Dezember 2013 klafft das Bauloch der Stadtentwässerung am Weidenstieg in Eimsbüttel. In einem Jahr wird nur noch ein Gullydeckel neben der Christuskirche an die Großbaustelle erinnern. Dann werden Schmutz, Lärm und Straßensperrungen verschwunden sein. Doch die Bauarbeiter-Karawane zieht weiter. Im Frühjahr 2017 entsteht eine ähnliche Kuhle im Herzen der Innenstadt. Am Stephansplatz gehen die Bauarbeiten weiter. Bis Ende 2018 ist dann rund um die Kreuzung Esplanade, Gorch-Fock-Wall und Dammtorstraße mit zum Teil erheblichen Verkehrs­behinderungen zu rechnen.

Diese Maßnahmen sind Teil eines am Ende fast drei Jahrzehnte laufenden 670-Millionen-Euro-Projekts der Stadtentwässerung. Seit 1990 wird das Abwassersystem der Stadt modernisiert. Das städtische Mutterunternehmen Hamburg Wasser nennt die neuen Siele „Abwasserautobahnen“. Sie sollen verhindern, dass das Schmutzwasser in die natürlichen Gewässer Hamburgs fließt und diese verschmutzt.

Die Abwasserautobahnen verlaufen unterhalb des eigentlichen Stammsiels

Die Gründe für das dreckige Pro­blem ist der Klimawandel. Bei Stark­regen laufen die herkömmlichen Siele über und ergießen sich dann in Alster, Elbe und Bille samt der dazugehörigen Kanäle. Die neuen „Abwasserautobahnen“ verlaufen unterhalb des eigentlichen Stammsiels und nehmen die überschüssigen Abwassermengen auf, von wo sie anschließend in das Klärwerk Köhlbrandhöft im Hafen geleitet wird.

Die Sielbauprojekte für Alster, Elbe, Bille sowie die Wedeler Au sind bereits abgeschlossen und sorgen dort für eine bessere Wasserqualität. Derzeit läuft das sogenannte Innenstadt-Entlastungsprogramm, welches die Menge des Schmutzwassers, das bei Stark­regen in den Isebekkanal fließt, um mehr als 60 Prozent verringern soll. Eigentlich hätten die Arbeiten bereits Ende 2015 beendet werden sollen. Doch beim Bohren der Sielleitung mit einem Innendurchmesser von 2,40 Metern hat es immer wieder Probleme gegeben. „Findlinge und Lehm haben die Arbeiten verzögert“, sagt Ole Braukmann, Sprecher von Hamburg Wasser.

Nach 17 Jahren musste das Restaurant Dilara schließen

Probleme hat der Bau aber auch für Anwohner und Unternehmer der Baustelle am Weidenstieg gebracht. Denn der riesige Schacht – der eigentliche Zugang zu der unterirdischen Baustelle – hat große Teile des Weidenstiegs blockiert. Besonders betroffen war das Restaurant Dilara. Nach 17 Jahren hat Medet Çakiroglu sein Geschäft aufgegeben. Die Baustelle sei sein wirtschaftlicher Ruin gewesen, sagt er. Die Zufahrt zu seinem Restaurant war nur eingeschränkt möglich, Gäste blieben aus. Der vergangene Sommer habe für das Aus gesorgt. „Die Bauarbeiten haben uns kaputt gemacht“, sagt der Gas­tronom. Im Sommer seien die Arbeiten bis in den Abend hinein so laut gewesen, dass dort kaum jemand in Ruhe draußen essen konnte. „Wir konnten uns kein Polster für den Winter schaffen.“ 2015 rechnete es sich nicht mehr.

An gleicher Stelle versucht nun Seyfeddin Yildiz seit Anfang des Jahres mit dem Restaurant Lodos sein Glück. Er bietet mediterrane Küche an. Aber auch Yildiz macht sich Sorgen um sein Geschäft: „Ich bin zu optimistisch an die Sache herangegangen und habe diese Baustelle unterschätzt.“ Es sei staubig und laut, dazu der ständige Lkw-Verkehr. „Ich leide sehr unter der Baustelle.“ Er hofft, dass die Gäste doch noch den Garten seines Restaurants entdecken und zu ihm zum Essen kommen.

„Lärm, Dreck und eine schlechte Verkehrssituation“

Auch Michael Weidle vom Antiquitätengeschäft Zinnober ärgert sich über die Baustelle: „Es ist heftig. Hier kommt alles zusammen: Lärm, Dreck und eine schlechte Verkehrssituation.“ Mögliche Kunden aus der Weidenallee würden wegen der Einbahnstraße, die wegen der Baustelle eingerichtet wurde, schlechter sein Geschäft finden.

Anfang des kommenden Jahres aber sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Dann ist der neue Abwasserkanal, der auf einer Länge von 3,6 Kilometern vom Weidenstieg über die Schanzenstraße, Beim Grünen Jäger, Budapester Straße bis zur Hafenstraße führt, laut der aktuellen Planungen fertig. Die dann beginnenden Arbeiten unterhalb des Stephansplatzes sollen dagegen nur knapp zwei Jahre dauern. Das sogenannte Wallring-Transportsiel führt vom Stephansplatz über den Sievekingplatz bis zum Ende des Holstenwalls.

Ein Aufwand, der sich aus Sicht von Hamburg Wasser lohnt. Die Überläufe aus den Sielen in die Elbe seien laut Hamburg-Wasser-Chef Michael Beckereit bislang um knapp 70 Prozent gesenkt worden, in die Alster sogar um 90 Prozent. „Der Schlüssel zum Erfolg liegt aber darin, den Regen möglichst gar nicht in die Siele zu leiten“, so Beckereit. Stattdessen sollte der Regen versickern oder verdunsten. Beckereit fordert daher, bei Neubauprojekten Gründächer und offene Rückhalte­becken stärker zu berücksichtigen.