Hamburg. Bei der jährlichen Inventur in Hagenbecks Tierpark wird ein Tier entdeckt, das es eigentlich gar nicht geben dürfte.
Die Pinguindame, die es eigentlich nicht geben dürfte, trägt ein grünes Bändchen. Und dafür, dass sie ursprünglich gar nicht da sein sollte, schwimmt sie ziemlich lebendig durchs Wasserbecken des Eismeeres bei Hagenbeck. Judith, so heißt das Tier, ist nämlich das Ergebnis ihrer einfallsreichen Elternvögel. Die setzten sich im vergangenen Jahr einfach über das europaweit verhängte Zuchtverbot für Humboldtpinguine hinweg und legten den Pflegern ein unentdecktes Ei ins Nest. Tier macht Sachen.
Ja, es war mal wieder zum Quieken, Röhren und Schnattern bei der alljährlichen Inventur in Hagenbecks Tierpark. Denn am Dienstag ging es einmal mehr nicht nur um die bloße Erhebung des Bestands. Auch ungewöhnliche Lösungen für nicht alltägliche Fragestellungen waren gefordert. Etwa: Wie wiegt man eine Schildkröte? Wie misst man ein Kamel? Und wie viel Pinguine leben jetzt wirklich im Eismeer? Zudem wurde überprüft, ob auch alle Tiere da sind. Und um es vorweg zu nehmen: Alle waren, wo sie hingehören.
Wie wiegt man gepanzerte 200-Kilogramm-Kolosse?
Aktuell leben 1855 Tiere aus 210 Arten im Park. Und wie jedes Frühjahr dominieren die Jungtiere das Bild in den Gehegen, etwa 40 sind es zurzeit. Mit Junghengst Wittmann (geboren am 24. März) und Stute Pari (geboren am 31. März) verstärken dabei gleich zwei Kamelfohlen den Bestand der asiatischen Höckerträger – und sind seit ihrer Geburt mächtig gewachsen. Das Ergebnis bei der Messlatten-Premiere: Wittmann ist mit 1,10 Meter acht Zentimeter, die aufmüpfige Pari mit 1,25 Meter zwölf Zentimeter größer geworden.
Bei den sechs Riesenschildkröten, naturgemäß auf den Seychellen beheimatet, ging es dagegen um die schiere Gewichtszunahme. Nur: Wie wiegt man die gepanzerten Kolosse, die nicht grundlos Aldabrachelys gigantea heißen. Zunächst mal mit bis zu fünf Tierpflegern, die die teils 200 Kilogramm schweren Tiere auf die Flächenwaage hieven müssen. Denn das ausgelegte Lockmittel (leckerer Salat) wurde von den eigenwilligen Sanftmütern gediegen ignoriert. Lange Hälse haben sie gemacht, mehr nicht. Also: Alle Hände an den Panzer – und unter fiesen Schleifgeräuschen auf die Waage.
Wie viele Jahre der Schildkrötenälteste auf dem Buckel hat, weiß kein Mensch
Tatsächlich hatte mit Ina wider Erwarten ein Tier abgenommen – sie wiegt jetzt nur noch 127 Kilogramm. Sorgenfalten treibt das Pflegerin Astrid Köhler jedoch nicht auf die Stirn: „Das kann passieren, ist aber nicht schlimm.“ Die Riesenschildkröten stünden gut im Futter und hätten ja nahezu ewig Zeit, verlorenes Gewicht wieder aufzuholen. Lebender Beweis: Otto, 203 Kilogramm schwerer Prachtbock der Gruppe, von dem keiner so genau weiß, wie alt er eigentlich ist. Sprechende Zeitzeugen seiner Geburt gibt es zumindest nicht. Gesichert ist nur: Das Tier ist weit älter als 120 Jahre.
Weniger langlebige, dafür weitaus paarungsfreudigere Naturelle besitzen die Humboldtpinguine. Da es innerhalb des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms so viele Tiere gibt, dass sie in den Zoos kaum noch untergebracht werden können, wurde schon im Vorjahr ein Zuchtstopp verhängt. Das hinderte das eingangs erwähnte Pärchen allerdings nicht daran, unbemerkt eine versteckte Bruthöhle anzulegen und auf eigene Faust ein Ei auszubrüten (alle übrigen Nester wurden mit Gipseiern bestückt). Merke: Unterschätze nie den zivilen Ungehorsam eines Pinguinpärchens. Denn so jubelten die beiden Altvögel dem Tierpark doch noch heimlich ein Jungtier unter – Judith. In diesem Jahr herrscht aber ganz wirklich ehrlich jetzt Paarungsverbot. Am Bestand von 39 Tieren habe sich demnach nichts geändert, sagte Tierpfleger Dave Nelde nach dem Durchzählen. Ehrlich jetzt. Ziemlich sicher.