Stellingen. Nach dem Tod des Tigerbabys rätseln Experten über Ursache. Die Mutter fraß das tote Tier auf. Weiterer Nachwuchs nicht ausgeschlossen.
Er hat sich die Videoaufzeichnungen noch einmal angesehen, hat vor- und zurückgespult. Nichts. Keine Anhaltspunkte. Irgendwann habe eines der beiden jüngst geborenen Tigerbabys bei Hagenbeck einfach reglos in der Wurfbox gelegen. Gestorben aus nicht näher bekannten Gründen. „Untersuchen können wir es nicht mehr“, sagt Tierarzt Michael Flügger. Denn später, das ließe sich anhand der Filmaufzeichnungen rekonstruieren, sei das tote Jungtier von Mutter Maruschka aufgefressen worden – ein natürliches Verhalten, mit dem die Großkatzen das Nest frei von Infektionsherden halten.
Davon abgesehen ist die Ursache auch drei Tage nach dem Tod des Jungtiers bei Hagenbeck ein Rätsel. Besonders vor dem Hintergrund, dass es die erste erfolgreiche Geburt der stark bedrohten Sibirischen Tiger nach 13 Jahren war. „Wir sind natürlich furchtbar gefrustet“, sagt Tierarzt Michael Flügger. Denn seit der Geburt der Zwillinge am 5. Mai habe es keine Anzeichen für eine Erkrankung gegeben. Die Tiere seien zwar unterschiedlich groß, aber augenscheinlich vital gewesen. Auch die unerfahrene Mutter Maruschka habe ihre Sache gut gemacht. „Wir hoffen nun, dass wenigstens das übrig gebliebene Junge durchkommt“, so Flügger.
Studie belegt, dass nahezu jedes dritte Tigerbaby im ersten Monat stirbt
Dass die Sterblichkeitsrate bei Tigerbabys in den ersten 30 Tagen relativ hoch ist, belegt eine Studie aus dem Leipziger Zoo. Die Veterinärmedizinerin Constance Vollrath hat in ihrer Dissertation einen Untersuchungszeitraum von 54 Jahren betrachtet. In dieser Zeit wurden 397 Tiger in Leipzig geboren, dabei waren 48 Babys (12,1 Prozent) entweder Totgeburten oder überlebten den ersten Lebenstag nicht. Weitere 65 Jungtiere (16,4 Prozent) starben noch im ersten Monat, wobei 55 Welpen (13,9Prozent) nicht älter als zehn Tage wurden. In der Wildnis liege die Sterblichkeitsrate sogar bei 70 Prozent, sagt der Hagenbeck-Tierarzt Michael Flügger. Gemessen daran seien die Bedingungen in Zoos ideal. Die Tiere hätten Ruhe und Futter, später würden sie gegen Infektionskrankheiten geimpft.
Besondere Vorkehrungen wolle man bei Hagenbeck nun nicht treffen, eine Handaufzucht etwa wird wie schon vor der Geburt ausgeschlossen. Flügger: „Wir verzichten nach wie vor darauf, die Tigerin und ihren Nachwuchs zu stören und gehen nicht in das Gehege.“ Ein Einwirken von außen würde das verbliebene Jungtier mehr gefährden, als dass es ihm nützen würde. Schon vor der Geburt hatte der Tierarzt angesichts der unerfahrenen Elterntiere vor zu viel Euphorie gewarnt. Ein sogenannter Probewurf sei bei jungen Tigern nicht unüblich. „Ungewöhnlich in diesem Fall ist aber, dass das Jungtier relativ spät gestorben ist.“ 14 Tage nach der Geburt.
Die vierjährige Maruschka und ihr gleichaltriger Partner Lailek genießen im Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP) besonderen Stellenwert. Der Genpool des Hamburger Pärchens ist weniger weit verbreitet als der anderer Sibirischer Tiger. Deshalb sei baldiger Folgenachwuchs auch bei einem Überleben des verbliebenen Jungtiers nicht unwahrscheinlich. Die auch Amurtiger genannten Tiere zählen zu den stark gefährdeten Arten, nur noch 450 Exemplare durchstreifen nach Expertenangabe ihren natürlichen Lebensraum im Osten Russlands sowie die Grenzgebiete Chinas und Nordkoreas. Ihre Refugien sind stark dezimiert. Auch deshalb wird in europäischen Zoos an der Arterhaltung gearbeitet, etwa 260 Tiere leben momentan in Gefangenschaft, die Auflagen im EEP sind streng. Erst 2014 erhielt der Tierpark die Zuchterlaubnis.