Stellingen. Schreckminuten in Hagenbecks Tierpark:Ein sechs Tage altes Jungtier droht bei seiner Präsentation zu ertrinken.

Zwanzig Minuten war es eine Jungtierpräsentation, wie es schon viele in Hagenbecks Tierpark gegeben hat. Eine Gruppe Journalisten durfte ganz dicht ans Gehege, wartete auf geeignete Bilder und fragte Tierarztfragen. Wie geht’s dem Kleinen? Alles dran? Frisst und schläft er schön? Das Übliche eben, garniert mit ein paar „Oohs“ und „Aahs“, denn er ist ja putzig anzusehen, der sechs Tage alte Giraffenbulle Nakuru, benannt nach einem Nationalpark im Westen Kenias.

Doch dann musste alles sehr schnell gehen, da sich die kleine Rothschild-Giraffe spontan für eine Änderung der Dramaturgie entschied. Zunächst schüchtern, dann mit großer Entschlossenheit stürzte sich Nakuru in den Wassergraben. Erst ein, dann zwei und schließlich fünf Pfleger mussten notgedrungen hinterher, denn das etwa 1,70 Meter große Jungtier drohte im zehn Grad kalten Wasser zu ertrinken. Es strampelte vergeblich gen Ufer, nur mit Mühe konnte es zeitweise den Kopf über Wasser halten. Schrecksekunde für alle Beteiligten.

„Ein bisschen schwimmen können Giraffen“, sagt Tierarzt Dr. Michael Flügger. „Aber aus eigener Kraft wäre das Kalb wohl kaum wieder rausgekommen.“ Zwei, drei Minuten hatten die Pfleger dann auch zu tun, um das völlig erschöpfte Jungtier ans Ufer zu bugsieren. „Der Grund des Grabens ist sehr steil und rutschig. Das hätte Nakuru wahrscheinlich nicht allein geschafft“, sagt Tierpflegerin Jill Jensen. „Im Wasser war er aber ganz ruhig und hat sich bereitwillig Richtung Böschung drücken lassen.“ Nach einer kurzen Phase der Benommenheit stand der jüngste Tierparkspross schnell wieder auf eigenen Beinen. Zum Aufwärmen ging es sicherheitshalber ins Innengehege. Auch die Retter Jan Rohlmann, Walter Wolters, Claudia Bombis, Uwe Fischer und Jill Jensen wirkten nach kurzer Umzugspause gefasst.

Auch Nakurus Bruder tapste anfangs ins Wasser

Laut Tierarzt Michael Flügger sei es das erste Mal gewesen, dass sich ein Giraffenkalb derart weit in den Graben gewagt hatte. „Ist wohl ein echter Hamburger, es zieht ihn zum Wasser.“ Zwar war auch Bruder Tamu bei einem seiner ersten Freiluftaufenthalte vor zwei Jahren in den Graben getapst, allerdings ohne anschließenden Rettungseinsatz. „Wir hoffen nun alle, dass sich das Jungtier erstmal vom Wasser fernhält“, sagt Pflegerin Jill Jensen. Die größte Gefahr neben dem Ertrinken sei gewesen, dass sich das Tier schwer an den Gliedmaßen verletzt. Für Huftiere wie Giraffen wäre das einem Todesurteil gleichgekommen.

Doch Nakuru geht es inzwischen wieder gut, ernsthaft getan habe er sich nichts. Das ist die Erkenntnis einer ersten Untersuchung durch Tierpark-Tierarzt Flügger. „Es ist glücklicherweise alles gut gegangen.“ Demnach wird der junge Savannenbewohner von nun an täglich für Besucher zu sehen sein, je nach Witterung im Außen- oder im Innengehege. Die vierköpfige Giraffengruppe bleibt vorerst zusammen, in etwa zwei bis drei Jahren muss der Jungbulle aber voraussichtlich bei Hagenbeck ausziehen und in einen anderen Zoo wechseln. Irgendwann wird er bis zu 1500 Kilogramm wiegen und mehr als fünf Meter groß sein.

Der jüngste Nachwuchs des Giraffenbullen Chali und der Giraffenkuh Layla ist nach 15-monatiger Tragzeit am 10. April im Tierpark geboren worden und war bei der Geburt etwa 1,60 Meter groß. Die Jungtiere fallen aus einer Wurfhöhe von rund zwei Metern zu Boden und sind bereits fertig entwickelt. Das heißt: Auch bei Hagenbeck konnte das Kalb Nakuru sofort sehen, hören und riechen, stand nach einer halben Stunde auf eigenen Beinen und unternahm nach gut zwei Stunden erste zaghafte Laufversuche.

Die Rothschild-Giraffe gehört zu den Raritäten in der Wildnis. Während es in Zoos noch etwa 200 Tiere dieser bedrohten Art gibt, wird ihre Zahl in freier Wildbahn auf gut 1000 geschätzt. Sie kommen nur noch in isolierten Lebensräumen Ugandas und Kenias vor. Insgesamt werden acht räumlich getrennt auf dem afrikanischen Kontinent lebende Giraffen-Unterarten unterschieden.