Hamburg. Wo ist es in der Stadt am schönsten? 50 leidenschaftliche Plädoyers. Teil 5: Wo sich die Altonaer trauen und Ina Müller sabbelt.
Einmal Altona, immer Altona“, heißt es unter alteingesessenen Altonaern. Besonders stark ausgeprägt ist diese Verbundenheit mit dem Viertel in Altona-Altstadt, der einstigen Fischersiedlung vor den Toren Hamburgs, die sich zur zweitgrößten dänischen Stadt und später zu einer selbstständigen Gemeinde entwickelte. Erst 1937 verlor Altona im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes seine Selbstständigkeit und wurde ein Hamburger Stadtteil – ein Glück für die Hansestadt, denn was wäre ihr sonst alles durch die Lappen gegangen?
Zum Beispiel der schönste Aussichtspunkt der Stadt: der Altonaer Balkon. Das eindrucksvolle Hafen-Panorama an der Palmaille lockt Jung und Alt zu jeder Tageszeit an den Elbhang, der dennoch nie so überlaufen ist, dass man selbst nicht auch noch ein Plätzchen findet, um den Blick über Elbe, Köhlbrandbrücke und Containerschiffe gleiten zu lassen. Ein Stück den Hang hinab liegt der Biergarten Altonas Balkon. Hier gibt es leckere hausgemachte Kuchen, allerlei Limonaden und deftige Suppen. Wer keinen Platz an einem der Tische findet, kann auf das angrenzende Parkareal ausweichen. Ein schlicht-charmanter Ort. Unaufgeregt, ohne Chichi. Und wie der Biergarten, so der Stadtteil.
Kein gewollter Chic, keine Fassade
Altona-Altstadt ist shabby ohne gewollten Chic, ehrlich ohne doppelten Boden und authentisch ohne Fassade. Es gibt Straßen, in denen absolut nichts los ist, Plätze, die wie aus der Zeit gefallen wirken und einen Schmelztiegel verschiedenster Kulturen. Da große Teile der Altstadt den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fielen, ist vom historischen Kern Altonas nicht mehr allzu viel übrig. Die Einkaufsmeile Große Bergstraße lag durch die „Operation Gomorrha“ ebenso in Trümmern wie die Königstraße – die Narben der Geschichte sind bis heute deutlich sichtbar.
Umso mehr setzen die historischen Bauten, die den Krieg überdauert haben, eindrucksvolle Schlaglichter. So konnte die Hauptkirche St. Trinitatis erhalten werden, und auch der gegenüberliegende mehr als 400 Jahre alte jüdische Friedhof an der Königstraße, der älteste der Stadt, ist ein Zeugnis des alten Altona.
Dazu gehört auch das Altonaer Rathaus, ein schneeweißer Prachtbau an der Rückseite des Altonaer Balkons. Das neoklassizistische Prunkstück, das einst als Bahnhof fungierte, beherbergt auch das Bezirksamt. Das heißt: Hier kann geheiratet werden. Und das wollen viele, nicht nur die Altonaer.
Es verwundert daher nicht, dass im schönsten Standesamt der Stadt auch für das kommende Jahr schon fast alle Termine vergeben sind. Im Sommer findet im Innenhof das Zeise Open Air statt. Schöner lassen sich die besten Filme der Saison nicht schauen. Im benachbarten Park, dem Platz der Republik, lässt sich der monumentale Stuhlmannbrunnen bewundern, der zwei um einen Fisch kämpfende Zentauren zeigt. Eine Allegorie für die jahrhundertelange Konkurrenz zwischen Hamburg und Altona.
Ina Müller, Fischmarkt und Hafenklang
Weiter südlich ist ein weiteres Highlight des Stadtteils zu finden, und ja, liebe St. Paulianer, der Fischmarkt gehört zu Altona-Altstadt! Vom Aal bis zur Zimmerpalme lässt sich auf dem legendären Markt an der Elbe alles erwerben, was das verkaterte oder das Frühaufsteher-Herz begehrt. Die Schreie von Bananen-Fred oder Nudel-Olli vertreiben auch das letzte bisschen Müdigkeit.
Hinter der historischen Fischauktionshalle kann man entspannt am Wasser entlang Richtung Dockland spazieren. Auf diesem Weg ist der Teil von Altona-Altstadt zu bewundern, der sich in den vergangenen Jahren am meisten gewandelt hat. Hier finden sich moderne Wohn- und Bürokomplexe mit großflächigen Glasfassaden und einiges an Edelgastronomie. Aber auch der geschichtsträchtige Nachtclub Hafenklang und Hamburgs älteste Seemannskneipe Zum Schellfischposten, in der Sängerin und Late-Night-Talkerin Ina Müller regelmäßig ihre Show „Inas Nacht“ aufzeichnet, sind hier zu finden.
Altona-Altstadt: Das sind die Fakten
- Einwohner: 29.305
- Davon unter 18: 4441
- Über 65: 3806
- Durchschnittseinkommen: 30.833 € (2013)
- Fläche: 2,8 km²
- Anzahl Kitas: 27
- Anzahl Schulen: 3 Grundschulen, 1 Gymnasium
- Wohngebäude: 1618
- Wohnungen: 16.434
- Niedergelassene Ärzte: 199
- Straftaten im Jahr 2018: 5321 erfasst, 2285 aufgeklärt
Von Gentrifizierung verschont geblieben
Von der Gentrifizierung, die benachbarte Stadtteile wie Ottensen und das Schanzenviertel prägt, ist Altona-Altstadt bislang (zum Glück!) verschont geblieben, und so lässt es sich hier trotz der zentralen Lage noch verhältnismäßig günstig wohnen. Mehr Argumente für den besten Stadtteil braucht es ja eigentlich nicht, oder? Im Zentrum entlang der Großen und der Neuen Großen Bergstraße dominieren blasse Nachkriegsbauten das Bild, in denen Restaurantketten, Ein-Euro-Läden oder Textildiscounter angesiedelt sind. Die 2014 mittendrin eröffnete Filiale des schwedischen Möbelkonzerns Ikea hat nicht den erhofften wie gefürchteten Aufschwung gebracht. Und so findet sich hier nach wie vor der Feinkost- neben dem Dönerladen – genau das macht den Charme aus.
Die Perlen des Stadtteils sind teilweise gut versteckt. Vis-à-vis dem Ikea-Eingang gibt es hervorragenden Kaffee im Café Krögers Kleine Schwester, ein Stück weiter in Richtung Max-Brauer-Alle wartet das Klippkroog mit dem besten Frühstück und Abendbrot des Viertels auf. In der Thedestraße lassen sich im First Stage Theater junge, kreative Inszenierungen in gemütlichem Ambiente zu erschwinglichen Preisen erleben. Der frühere Krankenhauskomplex in der Hospitalstraße beherbergt mit dem Stadtteilkulturzentrum HausDrei einen beliebten Veranstaltungsort. Mit dem August-Lütgens-, dem Walter-Möller- und dem Wohlers Park gibt es zudem gleich drei Grünanlagen in unmittelbarer Nähe. In der angrenzenden Wohlers Allee stehen schöne alte Bürgerhäuser. Hier sind auch das Wohlers, ein stilvolles Restaurant mit deutsch-französischer Küche, und das Tiny Oyster Inn, ein Fine-Drinking-Kleinod im New Yorker Stil, ansässig.
Subkultur inmitten donnernden Verkehrs
An der nordöstlich gelegenen Sternbrücke, wo die Stadtteilgrenzen von Altona-Altstadt, Altona-Nord und der Sternschanze verlaufen und der Verkehr über die Max-Brauer-Allee und die Stresemannstraße donnert, befindet sich die Wiege der Hamburger Subkultur. Die traditionsreichen Clubs Waagenbau, Astra-Stube und Fundbureau liegen nur einen Steinwurf voneinander entfernt. „Was es heiß macht, ist, dass es nicht so heiß ist“, sagt Ur-Altonaer Christian Pfaff über den Stadtteil. Der 54-Jährige betreibt den interdisziplinären Schauraum Oberfett in der Billrothstraße, eine Art Minigalerie fernab vom Kunstkommerz. „Altona-Altstadt ist das versteckte Juwel inmitten der brennenden Szeneviertel.“
In diesem Juwel, das so gar nicht schnöselig ist und sich eine entspannte Gangart bewahrt hat, trifft Grau auf Grün, abgelegene Seitenstraßen auf tosende Verkehrsadern und Nostalgie auf moderaten Fortschritt. Und so gilt längst auch für Neu-Altonaer: „Einmal Altona, immer Altona.“
Altona-Altstadt: Das sind die Highlights
Altonaer Balkon
Zum Altonaer Balkon gehört nicht nur das Aussichtsplateau, sondern auch das angrenzende Parkareal an der Palmaille, eine der ältesten Straßen der Stadt, die einst für das italienische Kugelspiel Pallamaglio konzipiert wurde, von dem sich auch der Name ableitet. Heute wird hier Boule gespielt.
Rathaus Altona
Mitte des 19. Jahrhunderts hielten an dem damaligen Bahnhof noch Züge, heute tagt dort die Bezirksversammlung, und es wird geheiratet. Das neoklassizistische Gebäude ist ein beliebtes Fotomotiv.
Musikclubs an der Sternbrücke
Waagenbau, Astra-Stube, Fundbureau – gleich drei traditionsreiche Clubs liegen an der Stadtteilgrenze direkt nebeneinander. Wegen der Verschiebung der geplanten Bauarbeiten an der Sternbrücke kann vorerst weitergefeiert werden.