Billwerder. Rechnungshof und Anwohner monieren: Die Stadt Hamburg verkaufte das Grundstück 2015 zu günstig und erwarb es teuer zurück.

Die Stadt Hamburg­ ­verkaufte 2015 das damals noch ­unbebaute Gleisdreieck-Grundstück am Mittleren Landweg an einen In­vestor, die Grundstücksgesellschaft PGH/Fewa, damit dort auf acht Hektar 780 Wohnungen im Schnellverfahren ohne Bebauungsplan gebaut werden. 2016 war der Bau nach neuem Planrecht im Eilverfahren durchgesetzt worden – als Flüchtlingsquartier mit der „Perspektive Wohnen“. Das städtische Grundstück sei jedoch unterhalb des Verkehrswerts verkauft worden und dazu ohne Legitimation durch die Hamburger Bürgerschaft, monierte der Rechnungshof der Hansestadt in seinem Jahresbericht 2020.

Die Rüge bezieht sich auch auf den Bau weiterer „Unterkünfte Perspektive Wohnen“. Zudem Anlass zur Kritik: Die Unternehmen, die den Bau der Flüchtlingsquartiere umsetzen sollten, seien direkt von der Stadt angesprochen worden. Vergabeverfahren habe es nicht gegeben. So haben die Investoren die Baukosten diktieren können.

Senat teilt die Bewertungen des Rechnungshofs nicht

Die Stadt gesteht in ihrer Stellungnahme zu den Vorwürfen ein, das Feststellungen und Sachverhaltsdarstellungen zwar allesamt zutreffen. „Der Senat teilt allerdings nicht die Bewertungen des Rechnungshofs“, heißt es von der Stadt: „Die vom Rechnungshof untersuchten Grundstücke wurden im Einklang mit der Beschlusslage der Bürgerschaft in einigen Fällen zu einem Verkehrswert in Höhe des Höchstsatzes der förderbaren Grundstückskosten verkauft.“ Ein über den Höchstsatz hinausgehender Verkaufspreis wäre „für einen Investor aufgrund der Auflagen im geförderten Wohnungsbau nicht wirtschaftlich“.

Der Bürgerschaftsabgeordnete Dennis Gladiator hatte zu dem „rot-grünen Millionengrab“ schon im Februar eine Anfrage gestellt, doch viele Punkte seien unbeantwortet geblieben, sagt der CDU-Politiker. Vor allem bei den Fragen nach Kauf- oder Mehrkosten hält sich die Stadt bedeckt, beruft sie sich auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“.

Vor wenigen Tagen waren die Senats-Antworten Thema im Unterausschuss „Prüfung der Haushaltsrechnung“, berichtet Gladiator. Auch da habe es keine zufriedenstellenden Antworten gegeben: „Der Senat begründet sein Vorgehen ja mit dem besonderen Druck, der in der Flüchtlingskrise auf ihm lastete. Natürlich war schnelles Handeln gefragt, aber das rechtfertigt doch nicht, das bei so etwas nicht ordentlich vorgegangen wird“, sagt Gladiator, „zumal das Baurecht schon beschleunigt worden war“. Der Senat habe „zu Lasten der Hamburger“ gehandelt. „Der Vorwurf, dass der Senat sich nicht an seine eigenen Regeln gehalten hat, konnte auch im Ausschuss nicht entkräftet werden. Das gefährdet das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat, zumindest bleibt ein Geschmäckle.“

Gleisdreieck: Ausgiebig mit der Rechnungshof-Kritik beschäftigt

Katja Haack (51) und Jan Diegelmann (52) von der Dorfgemeinschaft Billwärder haben sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigt. „Es geht bei der Vergabe des Grundstücks um zwei wesentliche Aspekte: Zum einen die sehr günstigen Konditionen für den Investor und die diversen Baukostenzuschüsse. Das EU-Recht verbietet direkte Zuwendungen an Wirtschaftsunternehmen“, sagt Diegelmann. „Zum anderen geht es um den Rückkauf durch eine Tochterfirma des städtischen Wohnungsbauunternehmens Saga.

Die Einhaltung des Bürgervertrags, also die schrittweise Reduzierung der dort lebenden Menschen mit Flüchtlingshintergrund , war der PGH/Fewa zu aufwendig und vermutlich viel zu teuer, weil viele Wohnungen aufwendig umgebaut werden müssen“, sagt der Vorsitzende der Dorfgemeinschaft Billwärder. „Bei dem Rückkauf wurden die unerlaubten Subventionen, von denen das Unternehmen wenige Jahre vorher profitiert hatte, nicht berücksichtigt. Die Stadt kaufte die Siedlung für 174 Millionen Euro zurück, nachdem sie das Grundstück einige Jahre zuvor quasi verschenkt hatte.“

Fewa habe „unverhältnismäßig großen Gewinn“ erzielt

Die Baukosten für ein Mehrfamilienhaus in Hamburg lagen 2019 laut Katja Haack und Jan Diegelmann bei durchschnittlich 1800 bis 2500 Euro pro Quadratmeter (ohne Grundstückserwerb). „Die Fewa erwarb das Grundstück laut Rechnungshofbericht für den geringen Preis von 2.308.933 Euro“, so Diegelmann. „Selbst wenn die Fewa 2500 Euro pro Quadratmeter bezahlt hat, erzielte sie beim Rückkauf der Stadt einen unverhältnismäßig großen Gewinn.“

Der Kaufpreis eines Quadratmeters Wohnfläche im Gleisdreieck habe nach den Berechnungen von Haack und Diegelmann 2019 für die Saga 3667 Euro pro Quadratmeter (mit Grundstück) betragen. Der Gewinn der Fewa liege demnach bei „55 bis 89 Millionen Euro“ liege. Haack: „Hinzu kommen möglicherweise noch Abfindungszahlungen für den vorzeitig aufgelösten 15-jährigen Mietvertrag.“ Selbst die Kosten zur Herstellung des Geländes, etwa das Rammen von Pfählen, haben die Summe nur unwesentlich schmälern können, betont das Paar.

„Senat hat alles schöngeredet“

Subventionen habe es „gleich dreimal“ für das Bohren von Pfählen und für die Verwendung spezieller, besonders teurer Metallhülsen gegeben, kritisiert Diegelmann, „dabei wurde doch gerammt“. „Der Rechnungshof kritisiert, dass dieser Arbeitsaufwand schon bei den günstigen Bodenpreisen berücksichtigt worden ist.

Diese Argumente habe der Senat nicht gelten lassen wollen: „Der Senat hat alles schöngeredet und damit argumentiert, dass der Investor ja das Risiko getragen habe, eventuell für eine Beschädigung von Nachbarhäusern durch das Rammen bezahlen zu müssen“, sagt der 52-jährige IT-Spezialist. Zudem habe die Stadt mit noch höheren Kosten bei einer Unterbringung von Geflüchteten in Containern argumentiert.

Dorfgemeinschaft hat sich mit der Wohnunterkunft arrangiert

Die Dorfgemeinschaft Billwärder war aus Gründen des Umwelt- und Landschaftsschutzes schon gegen eine Bebauung der Gleisdreieck-Fläche, als die Stadt das Grundstück im Rahmen der sogenannten Teilräumlichen Entwicklungs-Planung von der Deutschen Bahn erwarb, betont Katja Haack. „Damals war nicht abzusehen, dass dort eine Flüchtlingsunterkunft entstehen sollte.“ Der Verein sehe heute na­türlich „den humanitären Aspekt“. Mittlerweile habe man sich „mit der Unterkunft arrangiert“.

Eine Reduzierung auf 300 Flüchtlinge, wie sie der Bürgervertrag zwischen Stadt und Bürgerinitiativen vorschreibt, „ist aus unserer Sicht nicht notwendig“, betont Diegelmann. Auch wenn die Siedlung „eine eigene Welt“ darstelle, die Menschen in Billwerder „neben- statt miteinander leben“ würden. Diegelmann: „Im Vergleich mit der bevorstehenden Erweiterung der Justizvollzugsanstalt, der Erhöhung des Schlickbergs Feldhofe und dem Bau des Stadtteils Oberbillwerder ist die Gleisdreieck-Siedlung noch die angenehmste Maßnahme für das Dorf.“

Die Fewa spiele auch bei der Planung von Oberbillwerder eine Rolle: „2017 trat das Unternehmen im Zusammenhang mit dem neuen Stadtteil als Sachverständiger auf“, sagt Katja Haack. Sie fügt hinzu: „Zwischen Fewa und Stadt gab es bei diversen Bauprojekten eine auffällig gute Zusammenarbeit.“