Moorfleet. Kritik an den Ergebnissen der Stadtwerkstatt. Viele Moorfleeter fordern sanfte Entwicklung, und wollen keine Hochhäuser und neue Straßen.

Zu groß, zu hoch, zu schick – das Urteil vieler Moorfleeter zu den Ergebnissen der Stadtwerkstatt fällt vernichtend aus. Nicht genug, dass „Hochhäuser“, neues Gewerbe und eine neue Straße geplant würden, die schon vom Tisch war, viele Vorschläge von Bürgern hätten für das Ergebnis der Stadtwerkstatt keine Rolle gespielt.

Nach vier Treffen wurden die Ergebnisse der Stadtwerkstatt im Bürgerhaus des Dorfes präsentiert. Die Anwohner waren aufgerufen, Verbesserungsvorschläge zu den beiden erarbeiteten Planungskonzepten einzureichen – und sind dem Aufruf eifrig gefolgt. Angesichts von Plänen fünfstöckiger Wohnhäuser und eines Hotels, der Umsiedlung von Gewerbe auf eine etwa 1,8 Hektar große Fläche und dem Bau einer neuen Straße haben die Moorfleeter große Sorge, dass ihr Dorf seine Identität verliert. Sie fürchten, dass nun Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen, fühlen sich instrumentalisiert. „Es könnte heißen, wir hätten den Plänen in der Stadtwerkstatt zugestimmt“, sagt Rolf Hausmann. „Dies ist aber nicht der Fall.“

Mehr Gewerbe durch die Hintertür?

„Wir glauben, dass durch die Hintertür mehr Gewerbe ins Dorf kommen soll“, sagt Stefanie Carstensen. Eigentlich solle die Moorfleeter Wanne grün bleiben und eine gewerbliche Entwicklung vom Tisch sein. Darauf hat sich die Stadt im „Vertrag für Hamburgs Stadtgrün“ mit dem Naturschutzbund (Nabu) geeinigt (wir berichteten). Doch bestehendes Gewerbe hat Bestandschutz und kann innerhalb Moorfleets verlagert werden. Rolf Hausmann würde sich anstelle des Ausbaus großer Unternehmen über die Ansiedlung von Handwerksbetrieben freuen.

Der Schwerlastverkehr auf dem Moorfleeter Deich soll künftig über eine etwa 800 Meter lange Straße rollen, die zwischen Andreas-Meyer-Straße und Moorfleeter Deich entsteht. „Diese neue Erschließungsstraße müssten wir Anlieger bezahlen“, sagt Isabel Schiffler. Sie sendete dem Bezirksamt mehr als 100 Unterschriften gegen den Bau der Straße und eine Erweiterung der Fläche des Nahrungsmittelrohstoffhandels Schlüter & Maack an neuer Stelle in der Wanne.

Straße solle nur ein neues Gewerbegebiet anbinden

Viele der gut 400 Menschen, die in dem Betrachtungsgebiet, der Moorfleeter Wanne, leben, fürchten, dass ihr Dorf nicht sanft entwickelt wird. Sie glauben, dass eine neue Straße nur der verkehrlichen Anbindung eines neuen Gewerbegebietes dienen soll. „Dadurch würde das Problem nicht nur verlagert, sondern aufgrund von mehr Gewerbe auch noch verschärft“, sagt Tino Voss.

„Die neue Straße war von Anfang an Schlüsselthema“, sagt Isabel Schiffler, die an den Treffen teilnahm. „Sie kam auch wieder auf den Tisch, nachdem bereits in der ersten Sitzung gegen ihren Bau gestimmt worden ist.“ Andererseits sei von einem Nahversorger am Ende keine Rede mehr gewesen – „obwohl sich den alle wünschen“.

Für die geplante Wohnbebauung – vorgesehen sind zwischen 380 und 550 Wohnungen – könne eine neue Straße nicht gedacht sein, sind sich die Kritiker sich: „Die neuen Wohnhäuser lassen sich nämlich allesamt nicht realisieren“, meint Tino Voss. Außendeichs, in einem Feuchtbiotop oder auf dem möglicherweise belasteten Boden eines Schrottplatzes würden ohne weiteres kaum entstehen können. Diese Pläne seien weder mit Hochwasser- noch Naturschutz vereinbar.

Nicht grundsätzlich gegen neue Ideen

Christine Saalmüller betont, dass die Moorfleeter nicht grundsätzlich gegen Veränderungen im Dorf seien und dass die Stadtwerkstatt an sich zu begrüßen sei. Vor rund zwei Monaten wurde im Bereich Moorfleeter Deich/Sandwisch/Moorfleeter Kirchenweg eine Tempo-30-Zone eingerichtet, sodass auch Lkw dort nun langsamer fahren müssen. Lkw über neun Tonnen dürfen zudem nicht mehr über Sandwisch und Kirchenweg fahren und auf dem Deich vor Schlüter & Maack parken. Saalmüller: „Das entspannt die Situation zumindest etwas.“ Hausmann hält dagegen, dass Lkw über 7,5 Tonnen früher nicht über den Deich fahren durften. Er hält die Verkehrsplanung für „zu kurzfristig gedacht“: Die Firma werde seiner Meinung nach in nicht allzu ferner Zukunft aus Moorfleet verschwinden, um deutlich zu expandieren.

„Die Stadtwerkstatt war nicht ergebnisoffen“, sagt Isabel Schiffler, die bei den Sitzungen als einer von bis zu 30 Teilnehmern dabei war. Neben der Moorfleeterin saßen auch Vertreter von Vereinen und Verbänden, Stadtplaner und -Entwickler, weitere Verwaltungsmitarbeiter und Politiker sowie Menschen aus dem Dorf mit am Tisch.

„Auch auf vielen privaten Flächen soll gebaut werden, aber es wurde nichts geprüft – weder die Finanzierung, noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen“, sagt Tino Voss. Die Kritiker der Stadtwerkstatt seien nicht gegen das Schaffen von neuem Wohnraum, doch seien bis zu fünfstöckige Häuser nicht ortstypisch. „Das sind ja fast Hochhäuser. So bleibt der dörfliche Charakter von Moorfleet nicht erhalten“, sagt Hausmann. Dort, wo ein 70-Zimmer-Hotel gebaut werden soll, steht derzeit ein schönes altes Bauernhaus, bewohnt von einer Seniorin.

Anwohnerin vermisst Bodengutachten

Ortrud Schiffler-Hausmann ärgert sich, dass bis heute kein Bodengutachten vorliegt, obwohl es bereits 2015 eine städtebauliche Voruntersuchung gab. Angeblich sei in Moorfleet (430 Hektar) eine Fläche von 35 Hektar kontaminiert. Boehringer-Gift, aber auch Schwermetalle aus Hafen und Elbe haben dem Boden des Stadtteils die vergangenen Jahrzehnten zugesetzt. „Eine Veröffentlichung der gemessenen Bodenwerte durch die Umweltbehörde wäre mehr als angebracht“, sagt sie. „Sonst ist eine qualifizierte Stellungnahme zu den Entwürfen der Stadtwerkstatt nicht möglich.“

Die Planungsgegner „wollen jetzt nicht die Klappe halten“, sagt Rolf Hausmann. „Wir müssen aufpassen, dass nicht ein Bebauungsplan eingereicht wird und aus Natur- plötzlich Gewerbeflächen werden.“

Bianca Platz-Wenck betreibt eine Bootslagerung für historische Hafenlieger im Holzhafen. Durch das „maritime Quartier“, das samt Hotel und neuen Wohnungen entstehen soll, um Wohnen am Wasser zu ermöglichen, sieht sie sich in ihrer Existenz bedroht. „Dort, wo wir unsere Büro- und Lagerflächen haben, sollen Wohnungen entstehen.“ Für das Holzhafenufer sind fünf fünfstöckige Häuser vorgesehen. Niemand habe mit ihr über die Pläne gesprochen, „deshalb habe ich meine Einwände an das Bezirksamt geschickt“, sagt Bianca Platz-Wenck. Den Pachtvertrag für die Flächen an Land könne die Stadt jährlich kündigen.

Kritiker wollen Holzhafen gegen zweite HafenCity verteidigen

Besucher aus der Stadt würden sich am Anblick des Holzhafens erfreuen, sagen Anwohner, „an den Tieren und Booten“, so Isabell Pietta, die an den Wochenenden auf einem historischen Hafenlieger im Holzhafen lebt. „Das Kleinod, den rauen Charme des Holzhafens, wollen wir gern erhalten. Gut vorstellbar ist etwa ein Café.“ Doch nun werde ein Yuppie-Viertel geplant, eine zweite Hamburger HafenCity. „Wir wollen uns nicht dem Fortschritt entgegen stellen und haben auch selbst Vorschläge eingebracht. Aber sie wurden schlichtweg ignoriert“, klagt Isabel Schiffler.