Allermöhe. Hamburg will Grundstücke am Allermöher Deich kaufen, um für Hochwasserschutz gewappnet zu sein. Bürgerinitiative kämpft gegen Abriss.

Dirk Barthel lebt in einem Mehrfamilienhaus am Allermöher Deich 95, das er vor 31 Jahren erwarb. Nun hat er das Haus (400 Quadratmeter Wohnfläche) samt Grundstück an ein Rostocker Wohnungsbauunternehmen verkauft – zumindest glaubte der selbstständige Kaufmann das, als er Ende Mai beim Notar den Kaufvertrag unterzeichnete.

Der Notar beantragte standardmäßig die Freigabe vom Vorkaufsrecht bei der Stadt, erhielt sie aber nicht. „Er rief mich an und fragte mich, ob ich wüsste, dass mein Haus abgerissen werden soll“, sagt Barthel. Das habe der Notar in seiner langen Karriere zuvor erst einmal erlebt. Noch prüfe die Stadt, ob sie von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch mache. Die Prüfung könne noch Monate dauern, fürchtet der 60-Jährige, der eigentlich zum Ende des Sommers ausziehen wollte und schon andere Immobilien im Blick hat.

Kommission hat feste Sitzungstermine

Der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) reagiere zügig, heißt es aus der Behörde. Jedoch müsse die Kommission für Bodenordnung der Fachbehörde zustimmen. Die Kommission habe feste Sitzungstermine.

Barthel: „Mein Makler, Notar und Käufer gehen alle davon aus, dass die Stadt das Haus kaufen will.“ Er selbst sei ebenfalls davon überzeugt. Schließlich habe ihm der LIG bereits eine Flurkarte geschickt, die sein Grundstück nach dem Abriss seines Hauses zeigt.

Gespannt auf den Verkehrswert, den der Gutachter ermittelt

Barthel wundert sich über die „Standard-Vorgehensweise in Hamburg“: Erst werde das Haus verkauft, danach würde sich der Notar an die Stadt wenden, die erst dann prüfe, ob sie Interesse hat. „Das könnte doch der Makler als erstes mit überprüfen.“ Woanders würden Gemeinden Listen mit Immobilien und Grundstücken veröffentlichen, an denen sie Interesse haben.

Vor einer Woche war ein Gutachter der Stadt bei Barthel zu Besuch. Der (Ex-)Hauseigentümer ist gespannt auf den Verkehrswert, den der Gutachter derzeit ermittelt: „Er darf nur maximal 19 Prozent unter dem bereits mit meinem Rostocker Vertragspartner vereinbarten Preis liegen. Bei einer Abweichung von 20 Prozent oder mehr gilt nämlich nur der von der Stadt ermittelte Verkehrswert.“ Liegt der Verkehrswert um maximal 19 Prozent darunter, werde der bereits vereinbarte Kaufpreis auch von der Stadt bezahlt. Sollte die Stadt einen Kauf zu einem geringeren Preis durchsetzen wollen, werde er klagen, sagt Barthel.

Stadt will nur einen Teil des 1000-Quadratmeter-Grundstücks kaufen

Die Häuser am Allermöher Deich sollen abgerissen werden, sobald sie zum Verkauf stehen. Barthels Haus ist hinten links zu sehen.
Die Häuser am Allermöher Deich sollen abgerissen werden, sobald sie zum Verkauf stehen. Barthels Haus ist hinten links zu sehen. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Den Kaufmann ärgert auch, dass die Stadt nur einen Teil des 1000-Quadratmeter-Grundstücks kaufen will: „Die Grundfläche des Hauses, 187 Quadratmeter, plus einen Vier-Quadratmeter-Streifen von der Auffahrt.“ Er selbst dürfe aber auf der Restfläche erst bauen, nachdem das Gebäude abgerissen ist: „So lange darf ich dort nur Rasen mähen.“

Dazu heißt es aus der Finanzbehörde, dass es manchmal vorkomme, dass das Vorkaufsrecht nur für einen Teil eines Grundstücks bestehe – wenn beispielsweise der Vorgarten für einen späteren Straßenbau benötigt werden könnte. In solchen Fällen bestünde die Möglichkeit, dass die Stadt trotzdem das gesamte Grundstück kauft. Der Eigentümer könne einen entsprechenden Antrag einreichen.

“Die Abrisspläne kommen aus heiterem Himmel“

Der 60-Jährige hat das Denkmalschutzamt um Hilfe gebeten, schließlich handle es sich um das Haus, das direkt neben der Dreieinigkeitskirche steht. „In dem 1910 erbauten Haus war bis in die 50er-Jahre der Dorfgasthof untergebracht.“ Barthel hofft auf „Ensembleschutz“, damit das Haus erhalten bleibt.

„Die Abrisspläne kommen aus heiterem Himmel. Niemand wurde davon in Kenntnis gesetzt, dass unsere Häuser in der zweiten Deichlinie nur geduldet sind“, sagt Barthel. Seit er dort wohnt, habe es nie Anzeichen dafür gegeben, dass an der zweiten Deichlinie irgendetwas für den Hochwasserschutz getan werde solle.

Kritik: Vor dem Start kein Planfeststellungsverfahren

Während sich die Bürgerinitiative „Dove-Elbe-retten“ dagegen wehrt, dass Ebbe und Flut durch die Öffnung zum Hauptstrom zurückkehren, droht dem Senat Streit mit weiteren Bürgern. Es sind Hauseigentümer wie Dirk Barthel, die um den Wert ihrer Immobilie fürchten, die Enteignung und schließlich den Abriss des Gebäudes. „Direkt in der Umgebung meines Hauses sind circa zehn Häuser betroffen“, sagt er. Sie alle stehen in der zweiten Deichlinie, auf dem Deichgrund. Es gehe aber um alle Binnendeiche an der Dove- und Gose-Elbe.

Barthel kritisiert, dass es vor dem Start dieser Maßnahmen kein Planfeststellungsverfahren gegeben habe – und hat für seine Bürgerinitiative (Internet: deich.barthel.hamburg) bereits gut 30 Mitstreiter gefunden. „Alle Investitionen in den Erhalt der meist mehr als 100 Jahre alten Häuser sind jetzt obsolet.“

Drei Verfahren laufen zum Vorkaufsrecht für den Hochwasserschutz

Auf Anfrage der Redaktion bestätigte ein Sprecher der Umweltbehörde, dass derzeit „drei Verfahren zum Vorkaufsrecht für den Hochwasserschutz am Allermöher Deich“ laufen. Der Ankauf von Gebäuden werde sich allerdings über viele Jahrzehnte hinziehen. „In den kommenden 100 Jahren nutzt die Stadt aber das ihr gesetzlich zustehende Instrument des Vorkaufsrechts konsequent, um die erforderlichen Flächen zur Sicherstellung des Hochwasserschutzes nach Deichordnung auch an den Deichen an tidefreien Gewässern und hinter Sperrwerken gewährleisten zu können“, heißt es in der Stellungnahme der Behörde.

Die Stadt reagiert mit diesen Plänen auf den Rat von Experten. So hat die Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Binnenhochwasserschutz unter Berücksichtigung von Ökologie und Ökonomie“ die Folgen des Klimawandels für die Dove-Elbe mit ihren Zuflüssen Bille und Gose untersucht und unter anderem die „Schaffung von Speichervolumen im Vorland“ als wirksamste Variante empfohlen. Barthel: „Mein Haus steht auf der Rückseite des Deiches, also im Hinterland.“

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Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, betrachtet die Pläne des rot-grünen Senats mit Skepsis: „Es ist zu befürchten, dass die Stadt ihr Vorkaufsrecht ausübt, um damit Fakten für die Öffnung der Dove-Elbe zu schaffen.“ Seine Partei lehne die Öffnung der Dove-Elbe entschieden ab und fordere einen sofortigen Ausstieg aus den vorbereitenden Untersuchungen.

Noch vor Kurzem sei im Deichgrund gebaut worden

Auch Barthel vermutet, dass es in Wirklichkeit um eine Öffnung der Dove-Elbe geht: „Hier, auf meinem und auf Nachbargrundstücken, ist der Bau einer Schleuse geplant.“ Er selbst habe „aus gut informierten Behördenkreisen erfahren“, dass Hunderte Häuser und Gewerbe-Immobilien in der Umgebung gekauft werden sollen. Barthel: „Es soll Kaufangebote und Enteignungen geben.“

Der Hauseigentümer will mit weiteren Bürgern in der nächsten Zeit klare Kante zeigen: „Wir wollen Rechtssicherheit zum Bestandsschutz der Immobilien im Deichgrund der Binnendeiche. Es gibt keinen Anlass, hier abzureißen.“

Noch vor Kurzem sei es kein Problem gewesen, nebenan, im Deichgrund, zu bauen, betont Barthel. „Andere Häuser wurden problemlos verkauft, ohne das die Stadt ihr Vorkaufsrecht beanspruchte. Da spielte die 17 Jahre alte Deichordnung keine Rolle.“ In der Hafen-City, so Barthel weiter, besteht der Flutschutz ausschließlich aus Gebäuden: „Die Elphi steht auf einer Kaimauer. Da gibt es nicht einen Meter Deich. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.“ Das Schutzkonzept Warft der Hafen-City weiche von dem Schutzkonzept Deich allerdings ab, heißt es aus der Umweltbehörde.

Kulturgüter sind beim Flugmanagement gleichwertig zu betrachten

„Hochwasserschutz ist eine Ewigkeitsaufgabe“, sagt Björn Marzahn, Sprecher der Umweltbehörde. „Gemäß Paragraf 55 b des Hamburgischen Wassergesetzes steht Hamburg beim Verkauf von Grundstücken ein gesetzliches Vorkaufsrecht zu an Flächen, die an eine öffentliche Hochwasserschutzanlage angrenzen und für Zwecke des Hochwasserschutzes gegenwärtig oder zukünftig benötigt werden.“ Gebäude, die sich auf dem öffentlichen Deichgrund befinden, müssen grundsätzlich beseitigt werden, betont Marzahn. „Der Deichgrund kann sich aufgrund von Planfeststellungsverfahren im Zusammenhang mit Maßnahmen der Deicherhöhung ändern.“ Einen vollständigen Überblick, wie viele Grundstücke das hamburg-weit im Einzelnen betreffen könnte, habe die Behörde nicht. „Wir prüfen immer im Einzelfall, ob bei einem Verkauf von Immobilien das Vorkaufsrecht der Stadt aus Hochwasserschutzgründen ausgeübt werden sollte.“

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Barthel verweist auf eine Richtlinie des europäischen Parlaments: Sie besage eindeutig, dass beim Flutmanagement auch Kulturgüter gleichwertig zu betrachten seien.