Bergedorf. Es geht um die Veränderungen angesichts des Drucks der Großstadt. Ein Ergebnis: Das Landgebiet wird nicht genug wertgeschätzt.
Die Hamburger HafenCity-Universität erforscht das Landgebiet: Unter dem Titel „Quo vadis Vier- und Marschlande?“ untersuchen die jungen Wissenschaftler die Entwicklung der „historischen Kulturlandschaft im Suburbanisierungsdruck“. Unter Suburbanisierung wird die Verstädterung des Umlands verstanden.
35 Master-Studenten der HafenCity-Uni stellten die Veränderung der Vier- und Marschlande in den vergangenen 140 Jahren in den Fokus. Die angehenden Stadtplaner und Architekten leisteten zuerst eine Bestandsaufnahme. Im kommenden Semester wollen sie „in die Zukunft gucken“, wie Dozentin Prof. Antje Stokman es formuliert.
1880 hatte die Industrialisierung auch das Landgebiet erreicht. Durch den Bau der Marschbahn rückten die Dörfer näher an die große Stadt – das Spezialgebiet der Diplom-Ingenieurin Anne Kittel. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni beschäftigt sich „mit den Schnittstellen zwischen Stadt und Land“, steht Antje Stokman als Dozentin zur Seite.
Wert des Landgebiets werde nicht geschätzt
Die Stadt wachse weiter – im Umland, betont Anne Kittel. „Qualität und Wert der ländlichen Räume werden nicht wertgeschätzt.“ Vielen Hamburgern sei die Schönheit der Vier- und Marschlande überhaupt nicht bekannt. „Das Alte Land kennt wiederum Jeder, obwohl es auf städtischem Grund nur etwa ein Drittel der Fläche der Vier- und Marschlande ausmacht.“ Antje Stokman erklärt die Popularität durch „touristische Vermarktung, die dort viel mehr vorangetrieben worden ist“.
Die Studenten beschafften sich Informationen aus erster Hand, schwärmten im Landgebiet aus und sprachen etwa mit Vertretern von Initiativen wie Dove-Elbe retten!, dem Ent- und Bewässerungsverband, Landwirten wie Georg Eggers, Gärtnern und Mitgliedern der Interessengemeinschaft Grüner Zirkels Vier- und Marschlande. Auch die beiden Vierlande-Bildbände des Heimatforschers Werner Schröder († 2010) halfen den angehenden Akademikern: Sie verglichen Fotografien aus den 1960er- bis 90er-Jahren mit aktuellen Bildern.
Offen dem Projekt gegenüber
Vom Hof Eggers in der Ohe aus unternahmen die angehenden Architekten und Stadtplaner eine Bustour durch den grünen Garten Hamburgs, Mitglieder des Grünen Zirkels berichteten im Hörsaal von Besonderheiten und Problemen. „Themen waren etwa leerstehende, verfallende Gewächshäuser, ortsuntypische Bebauung und fehlende Sichtfenster, Sorgen mit der Betriebsnachfolge oder fehlende Flächen“, sagt Anne Kittel. Denn die Stadt verpachtet zunehmend weniger Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung, plant sie statt dessen als Ausgleichsflächen für Bauvorhaben anderswo in der Stadt ein.
Der Grüne Zirkel habe den Studenten weitere Ansprechpartner vermittelt, sagt die Professorin. „Alle standen unserem Projekt offen gegenüber, haben sich gefreut, dass sich eine Hochschule für sie interessiert.“ So eine Kooperationsbereitschaft habe sie als Dozentin selten erlebt.
In der HafenCity-Uni an der Überseeallee 16 präsentierten die Studenten und Dozentinnen nun den Gesprächspartnern, aber auch Mitarbeitern der Bergedorfer Verwaltung, Politikern und weiteren Interessierten die Zwischenergebnisse der fünf Themengruppen.
Die Gruppe Gewässerentwicklung betrachtete die Eindeichung und das Ziehen der Gräben, andere Studenten beschäftigten sich intensiv mit der Bodennutzung, der Entwicklung von Landwirtschaft und Gartenbau. „1880 gab es wesentlich mehr Ackerbauflächen als heute“, sagt Antje Stokman, während in den 1950er- bis 70er-Jahren die Hochzeit des Gartenbaus war.
In den 70er-Jahren wurden die ersten Landschaftsschutz- und Naturschutzgebiete eingerichtet. Betrug der Anteil an Ausgleichs-, Naturschutz- und Landschaftsschutzgebieten vor 32 Jahren 20,3 Prozent der gesamten Landgebietsfläche, sind es heute 32,2 Prozent. Dies fand die Gruppe heraus, die sich speziell mit der Entwicklung dieser geschützten Flächen beschäftigte.
Siedlungsentwicklung bildete ein weiteres Themenfeld: Die Studenten verdeutlichten, wie die Bebauung an den Deichen im Laufe der Jahrzehnte immer weiter verdichtet worden ist, dann die Straßen als lineare Querverbindungen zwischen den Deichen bebaut wurden und schließlich völlig neue Siedlungen in der Fläche entstanden. „Besonders intensiv wachsen Siedlungen seit den 80er-Jahren“, sagt Kittel.
Erholung und Infrastruktur bildete ein weiteres Kapitel. In dem geht es ebenso um alte und neue Transportwege wie um Freizeitangebote.