Hamburg. Stintfänge sind so gering wie nie. Fischer sehen Baggerarbeiten als Ursache. Und warnen vor Folgen für das Ökosystem der Elbe.
Im Februar und März ist Stintsaison. Bis vor wenigen Jahren holten die Elbfischer Netze aus dem Fluss, die prall gefüllt waren mit kleinen, silbrig zappelnden Fischen. Jetzt bleiben die Netze weitgehend leer – der Fang ist auf einen Bruchteil der ursprünglichen Menge geschrumpft. „Vor rund 100 Jahren gab es im März in jeder Hafenkantine Stint“, sagt Walter Zeeck, Fischer im Ruhestand. Jetzt wird der Fisch zur Rarität. „In mehr als 50 Jahren Fischerei habe ich so etwas noch nicht erlebt.“
Zeecks Söhne Claus und Harald haben den Kutter „Ostetal“ vom Vater übernommen. Zusammen Kollegen haben sie am Montag auf dem Schiff im Finkenwerder Kutterhafen Alarm geschlagen: „Seit 2013 halbieren sich die Fangerträge beim Stint jedes Jahr. 2019 ist der absolute Tiefpunkt erreicht“, sagt Harald Zeeck. „Die Elbe ist so verschlickt, dass hier überhaupt keine Fische mehr groß werden können“, ergänzt Lothar Buckow, dessen Familie seit mehr als 350 Jahren vom Fischfang in der Elbe lebt.
Baggerarbeiten als Ursache des Fischrückgangs
Die Fischer sind die letzten ihrer Zunft im Bereich der Unterelbe. Sie machen vor allem die Baggerarbeiten in der Elbe für den drastischen Rückgang des Stints verantwortlich. Und stützten sich dabei auf Aussagen von Wissenschaftlern wie den Fischspezialisten Prof. Ralf Thiel und den Ökologen Veit Hennig von der Universität Hamburg. Das ständige Umlagern von Baggergut im Fluss habe das Wasser so stark eingetrübt, dass die Stintlarven keine Nahrung mehr finden. Die trübe Brühe ersticke zudem Eier und dringe in die Kiemen der Fischlarven ein.
Stint ist die Schlüsselart
Nach Daten der WSV (Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes) haben sich die Baggermengen zwischen 2011 und 2016 versechsfacht. Ein Teil des Baggerguts wird bei Wedel wieder in die Elbe versenkt, ein anderer Teil landet im Mündungsbereich der Elbe in der Nordsee. Noch mehr Schwebstoffe verursacht das Injektionsschiff „Akke“, das – einem Riesen-Kärcher gleich – mit Hochdruck Schlickablagerungen vom Flussboden aufwirbelt.
„Der Stint ist die Schlüsselart der Elbe. Er macht mehr als 90 Prozent der Fische aus“, sagt Veit Hennig. „Wenn der Stintbestand zusammenbricht, dann leiden größere Fische und Seevögel, die sich von ihm ernähren.“ Die Kolonie von Flussseeschwalben in Neufeld (Kreis Dithmarschen) sei bereits zusammengebrochen, so der Biologe, sie war einst die größte Kolonie der seltenen Seeschwalben in Mitteleuropa. Und auch Schweinswale lassen sich kaum mehr in der Elbe sehen.
Die jetzt anstehende Elbvertiefung mache alles noch schlimmer, versetze dem Fluss womöglich den Todesstoß, fürchtet Lothar Buckow. Er und seine Kollegen fürchten, dass die Elbe bald so aussieht wie heute schon die trübe, sandfarbene Ems. „Dort kann nicht mehr gefischt werden, dort gibt es nur noch Schlick.“
Schlickbänke abtragen, damit Flachwasserzonen entstehen
Ein weiteres Problem für die Stinte sei der Lebensraumverlust zwischen Wedel und dem Geesthachter Wehr, vor allem im Hauptaufwuchsgebiet Hahnöfer Nebenelbe und Mühlenberger Loch. „Es ist wichtig, dort die Schlickbänke abzutragen, damit wieder Flachwasserzonen entstehen“, sagt Buckow.
Kollege Wilhelm Grube aus Hoopte ergänzt: In unserem Bereich oberhalb Hamburgs wurden als Naturschutzmaßnahme im Deichvorland Gräben gezogen. Doch bei Niedrigwasser fallen die trocken, das hilft den Fischen nicht.“ Wilhelm Grube hat vor rund 20 Jahren den Stint wieder auf die Restaurantteller gebracht, sodass dieser zum Kultfisch wurde. Inzwischen macht sich der Stint auch in den Restaurants allmählich rar.
"Leute wollen den Fisch essen, nicht mit ihm reden"
„Stint ist im Grunde jetzt eine Delikatesse geworden, dafür muss man einen gewissen Preis auch zahlen“, berichtet Thomas Fabel, Inhaber der Speisekammer in Geesthacht, von gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegenen Preisen. Aktuell komme bei ihm nur in Deutschland gefangener Stint auf den Tisch: „Noch kann uns der Großhändler aus Hamburg damit beliefern.“
Sönke Ellerbrock vom Alten Schifferhaus in Lauenburg kauft den Stint vom Handelshof in Lüneburg. Benjamin Bacherle arbeitet dort in der Abteilung für Frischfisch: „Wir beziehen die Fische aus Deutschland, aber auch aus Litauen. Lieferprobleme haben wir nicht“, sagt er. Ellerbrock ist die Herkunft nicht wichtig: „Er kommt frisch aus der Pfanne. Die Leute wollen mit dem Fisch ja nicht reden, sondern ihn essen“, meint er trocken.
Nachfrage steigt, doch Fische werden weniger
Kay Harder, Chef vom Lokal „Zur Elbbrücke“ am Moorfleeter Deich ist die Herkunft der Fische sehr wichtig und das kommuniziert er auch offen gegenüber seinen Gästen. „Sie sprechen einen auch darauf an“, weiß Harder. So lang es geht, bezieht er die Fische aus der Elbe. In dem Familienbetrieb herrscht eine große Nachfrage: „Sie steigt sogar noch, doch die Fische werden deutlich weniger.“
Das berichtet auch Arne Meyer aus Ochsenwerder, Chef der Wein- und Friesenstube sowie Marschländer Elblounge. Er kalkuliert von Tag zu Tag: „Momentan haben wir Stint, auch aus der Unterelbe.“ Die Mengen seien allerdings so rar, dass bei Engpässen kein Sattessen mehr angeboten werden kann.