Gregor Kalus gibt seinen gut bezahlten Job für einen Versuch auf

Seine Lebensmetapher ist ein Sprung aus dem 100. Stockwerk seines persönlichen H ochhauses. Danach fliegt Gregor Kalus gerade am 66. Geschoss vorbei. Seit dem Absprung hat er eine Umsiedlung von Polen nach Deutschland hinter sich gebracht (89. Stock), seinen ersten und einzigen Slam Dunk Contest bei einem Basketball-Turnier gewonnen (83. Stock), ein überdurchschnittliches Abitur an einem durchschnittlichen Gymnasium in einer unterdurchschnittlichen, da frauenlosen Mathe-Physik-Klasse abgelegt (80. Stock), einen akzeptablen ersten Marathon gelaufen (71. Stock) und schließlich doch das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens abgeschlossen (69. Stock).

Nach weiteren zwei Stockwerken mit Großraumbüros, Powerpoint-Präsentationen und versäumten Sonnentagen kam Kalus zu der Einsicht, dass er sich als Leiter der Boesner-Filiale in Stellingen zwar ein profundes Wissen über professionelle Künstlermaterialien angeeignet hatte, mit diesem Fulltime-Job aber nie die Zeit finden würde, selbst zu malen. Und das wollte er - unbedingt. "Für mich stand fest: Wenn ich es nicht zumindest versucht habe, werde ich's bereuen", sagt der 34-Jährige, der ein Atelier unter dem Dach des Hauses von Tierarzt Dr. Andreas Schroeter am Neuengammer Hausdeich und ein Zimmer im Studentenwohnheim hat.

So probierte er viele Techniken aus, "bei den Ölfarben bin ich schließlich hängen geblieben", sagt Gregor Kalus. Erst auf Leinwand, doch die wurde schnell zu teuer. Vielmehr nutzt er Pressholz-Platten als Leinwand, die beim Warentransport auf Europaletten gelegt werden und später im Müll landen. Ihre "Lebendigkeit" fasziniert den Künstler, "auf ihnen wird das Gemalte zum Objekt, und mittlerweile sind sie mein Markenzeichen geworden".

Nachrichten, Bilder, Eindrücke, die Gregor Kalus berühren, speichert er als Gefühle. Anschließend keimt in ihm eine Idee, mit welchem Motiv er dieses Gefühl ausdrücken könnte. Sein Hitler-Bild ging zum Beispiel aus einer sechsteiligen TV-Dokumentation hervor. "Mich faszinierte dieser krasse Gegensatz, dass er in einer Sekunde bereit war, ganze Völker auszumerzen, sich aber in der nächsten Sekunde liebevoll seinem Schäferhund zuwandte", sagt Kalus. Diesen Moment der Zuwendung hielt er fest. Er gab Adolf Hitler weder Gesicht noch Hände, trotzdem gibt es wohl kaum einen Betrachter, der nicht sofort in der Figur den Diktator erkennt. Ohnehin spielt für Kalus das Verhältnis Tier/Mensch eine wichtige Rolle - auch hier wieder vom Gegensatz geprägt: "Dem Menschen ist die Kürze des Lebens bewusst, dem Tier nicht."

Auch wenn er erst seit zwei Jahren intensiv malt, eines steht für ihn schon jetzt fest: "Nichts anderes hat mich bislang mehr mit Sinn erfüllt." Und: "Ich möchte ein sehr, sehr guter Maler werden." Sollte sein Fall nicht durch einen Balkon oder ähnliches unsanft verkürzt werden, hat er noch gut 65 Stockwerke Zeit, um sein Ziel zu erreichen.

Weitere Bilder finden sich im Blog: gregorkalus.tumblr.com