Neuengamme. Robert Pinçon ist ehemaliger KZ-Häftling und heutiger Präsident der „Amicale Internationale de Neuengamme“. Nun übergibt er die Häftlingskleidung seiner Mutter an die KZ-Gedenkstätte Ravensbrück. Jahrelang hatte das Bündel mit den Habseligkeiten im Nachlass seiner Mutter überdauert.
Nach dem Tod seiner Mutter fand Robert Pinçon (90) in ihrem persönlichen Nachlass ein Päckchen – eingewickelt in vergilbtem Packpapier: ihre Häftlingskleidung aus dem KZ Ravensbrück. Janine Pinçon war hier von 1944 bis zum Mai 1945 inhaftiert und leistete im Rüstungswerk Belzig Zwangsarbeit. Sie gehörte wie ihr Sohn Robert der französischen Widerstandsbewegung, der Résistance, gegen das Naziregime an. Auch der 22-jährige Pinçon wurde 1944 verhaftet und in das KZ Neuengamme deportiert. Hier verrichtete er im Klinkerwerk Zwangsarbeit.
Pinçon, heutiger Präsident der „Amicale Internationale de Neuengamme“, öffnete das Päckchen erst Jahre später – im Beisein der Historikerin Dr. Christl Wickert. Sie bat ihn, dieses historische Dokument der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück zu überlassen. „Es sind einige KZ-Häftlingskleidungen erhalten, aber selten können wir sie Personen zuordnen“, sagt Dr. Christl Wickert, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Ravensbrück. Janine Pinçon hat sich in den 1960er-Jahren für eine würdige Gedenkstätte im Außenlager Belzig eingesetzt, die am 5. Mai 1965 eingeweiht wurde.
Während eines Besuches in Neuengammer Gedenkstätte überreichte Robert Pinçon die KZ-Kleidung seiner Mutter an Dr. Christl Wickert. Begleitet wurde er von Janine Grassin, Präsidentin der „Amicale francaise de Neuengamme“, und Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. „Jetzt ist der Moment gekommen, mich zu trennen. Ich möchte, dass die Häftlingskleidung meiner Mutter wieder an den Ort Ravensbrück zurückkehrt und Zeugnis ablegt“, sagt Pinçon. Für ihn war es ein langer, bewegender Prozess, sich von dem Leidens-Dokument seiner Mutter zu trennen. Pinçon entdeckte die Kleidung erst so spät, weil beide nach der Befreiung und Heimkehr 1945 nie mehr über die Zeit im KZ sprachen. „Wir hatten es nicht nötig, wir wussten vom Leid des Anderen“, sagt Pinçon.
Dr. Christl Wickert nahm die gestreifte Jacke mit der gestickten Nummer und dem roten Dreieck für politische Gefangene, zwei kleine Leinenbeutel, eine selbst gemachte Feile, einen Miniatur-Stoffschuh, Nähgarn und ein Stück Flickenstoff ehrfürchtig entgegen. „Janine Pinçon hat versucht, sich zu pflegen und kreativ zu sein – das alles war eine wichtige Überlebensstrategie“, sagt Wickert. Sie überreichte Robert Pinçon die Danksagung von Dr. Insa Eschebach, Direktorin der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, sowie eine Einladung zur Ausstellungseröffnung 2013. Hier wird die Kleidung seiner Mutter erstmalig gezeigt.
Robert Pinçon gehört zu den Überlebenden der „Cap Arcona“, die am 3. Mai 1945 durch den Beschuss der Briten in der Lübecker Bucht unterging. 7000 KZ-Häftlinge starben bei dem Untergang der KZ-Häftlingsschiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“. Nach seiner Rettung 1945 arbeitete Pinçon weltweit als Ingenieur, auch in Deutschland. Seit 1970 engagiert sich der Franzose für die Völkerverständigung und den Kampf gegen Faschismus und Rassismus. 2002 erreichte er beim Hamburger Senat gemeinsam mit drei weiteren Überlebenden des KZ Neuengamme, Ernst Nielsen, Fritz Bringmann und Jean Le Bris, dass das gesamte Areal des KZ Neuengamme in den folgenden Jahren zur würdigen Gedenkstätte umgewandelt wurde. Damit wurde die viel kritisierte Nutzung der Gebäude und des Geländes für den Strafvollzug seit 1948 endlich beendet. 2010 erhielt Pinçon für seinen Einsatz um die Erinnerungskultur in Hamburg das Bundesverdienstkreuz.
Nach 90 Lebensjahren und jahrzehntelangem Einsatz gegen das Vergessen formuliert Robert Pinçon den Wunsch: „Die Erinnerung an die vielen toten und leidenden Menschen während des Naziregimes soll wachgehalten werden – von den nächsten Generationen. Zeitzeugen wird es bald nicht mehr geben.“