Kirchwerder. Vor 50 Jahren wurde Hamburg von einer heftigen Sturmflut überschwemmt. In der Nacht zum 17. Februar 1962 brechen 61 Deiche. 315 Menschen sterben in den Fluten. Kann sich so eine Katastrophe heute wiederholen? Und wie hat sich der Hochwasserschutz verändert?
Bis vor kurzem hätte wohl niemand gedacht, dass wir einmal solche Bilder, wie die vom gekenterten Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia" sehen würden. Noch dazu ereignete sich das Unglück nicht etwa auf hoher See, sondern vor einer Insel im Mittelmeer, also gefühlt gleich um die Ecke. Unvorstellbar!
Ähnlich erging es den Hamburgern 1962. "Man konnte sich eine Sturmflutkatastrophe damals nicht vorstellen", sagt Dr. Olaf Müller, Leiter der Abteilung Gewässer und Hochwasserschutz im Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer. Die Menschen fühlten sich sicher hinter den Deichen. Die letzte Sturmflut lag zu diesem Zeitpunkt schon 107 Jahre zurück. Daran erinnerte sich niemand mehr.
Entsprechend vernachlässigt wurden die Hochwasserschutzanlagen. Die Deiche waren in einem schlechten Zustand, teilweise bebaut und bewirtschaftet. Zudem gab es keine funktionierende Katastrophenschutzorganisation. Sowohl technische als auch organisatorische Mängel haben, sagt Dr. Olaf Müller, zu dem Unglück vor 50 Jahren geführt. "Deshalb kann sich eine Sturmflutkatastrophe so heute nicht mehr wiederholen", glaubt er.
Denn seit 1962 hat sich Hamburg den Hochwasserschutz zur Daueraufgabe gemacht. Dazu gehört, dass Aufbau und Höhe der Deiche verändert wurden. Heute steigen sie weniger steil an. Wurden sie früher häufig mit dem Boden der Umgebung aufgeschüttet, bestehen sie nun aus einem Sandkern mit einer Kleischicht darüber. Dr. Müller: "So wirkt der Deich wie eine Windel." Der untere Teil der Außenböschung ist zudem mit Betonsteinen vor Zerstörung etwa durch Eisschollen gesichert.
Die gesamte Hamburger Hochwasserschutzlinie wurde in den vergangenen 50 Jahren um rund 2,50 Meter erhöht und von 140 auf 100 Kilometer Länge verkürzt. Die höchsten Deichkronen finden sich mit 8,90 Meter über Normalnull am Altengammer Hauptdeich, in Höhe der Gaststätte Klemmer (8,70 Meter), in Zollenspieker (8,50 Meter) und am Moorfleeter Hauptdeich (8,30 Meter). Nur der Deich in Finkenwerder ist mit 9,25 Meter noch höher.
Die Verbesserung der Technik ist das eine. "Wir müssen aber auch die Sensibilisierung der Menschen für so eine Situation noch weiter vorantreiben", mahnt Dr. Olaf Müller. Damit die Hamburger nicht noch einmal wie in der Nacht zum 17. Februar im Schlaf von der Katastrophe überrascht werden, wurden nicht nur die Sturmflutwarnungen konkretisiert. Die Stadt ließ zudem an 105 000 Haushalte Sturmflutmerkblätter verteilen. Seit 2011 kann sich außerdem jeder beim kostenlosen Warndienst KATWARN anmelden und wird dann im Ernstfall per SMS über die Lage in seinem Stadtteil informiert.
"Bis 2030 wird der jetzt geplante Küstenschutz ausreichen", prophezeit Professor Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung am GKSS Großforschungszentrum in Geesthacht. Dann wird man sehen, wie sich die Erhöhung der Konzentration der Treibhausgase und damit die Erwärmung des Meerwassers auswirken. Dass die Sturmfluthöhen in der Hansestadt schon jetzt ansteigen, dafür ist nach Meinung des Experten der Klimawandel noch nicht verantwortlich, sondern vielmehr Fahrrinnenvertiefungen und Landsenkung. Die aktuell geplante Elbvertiefung soll aber keine Auswirkungen haben. "Sie ist hochwasserneutral", sagt Gewässer-Experte Dr. Olaf Müller.
Wie gefährdet die Nordseeküste und damit auch Hamburg im 21. Jahrhundert durch Sturmfluten sein werden, hängt vom Meeresspiegelanstieg und der Windgeschwindigkeit ab. Modellberechnungen haben gezeigt, dass die Nordseestürme im Winter in den nächsten 100 Jahren wahrscheinlich um zehn Prozent stärker werden. Folge: Allein dadurch laufen die Sturmfluten um zehn bis 30 Zentimeter höher auf. Hinzu kommt, dass der Meeresspiegel durch die Erderwärmung und die Eisschmelze in der Arktis und auf Grönland ansteigt. So könnten die Sturmfluten letztlich circa 30 bis 110 Zentimeter höher auflaufen als heute. Prof. von Storch: "Deshalb muss die Situation nach 2030 von den Küsteningenieuren neu bewertet werden."