Kuddewörde. 2008 lief Leichtathletin Anastassija Rabtschenjuk in Peking knapp an Bronze vorbei. Jetzt lebt sie mit Familie im Lauenburgischen.
Genau 14 Jahre ist es am Sonnabend her, dass Anastassija Rabtschenjuk am 20. August 2008 im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stand. Die ukrainische Leichtathletin hatte sich bei den Olympischen Sommerspielen von Peking für das Finale über 400 Meter Hürden qualifiziert. Dort lief sie mit 53,96 Sekunden persönliche Bestzeit. „Ich war überzeugt, dass ich eine Medaille bekomme, wenn ich es unter 54 Sekunden schaffe“, erinnert sich die heute 38-Jährige. Doch um zwölf Hundertstelsekunden verpasste sie Bronze. „Ich habe mich natürlich über meine Zeit gefreut, aber war auch enttäuscht, dass es nicht gereicht hatte.“
Training, Wettkämpfe und Medaillen – das bestimmte damals ihren Alltag und den ihres Lebensgefährten Sergey Basenko, einem Athletiktrainer und Ex-Hürdenläufer, den sie nach den Spielen spontan heiratete. Beide hatten sich über den Sport kennengelernt. Doch an den großen Moment von Peking denken sie heute nur noch selten.
Ukraine-Krieg: Ein Militärflugzeug flog an ihrem Wohnhaus vorbei
Denn mit dem russischen Angriff auf die Ukraine änderte sich von einem Tag auf den anderen ihr ganzes Leben. Sie mussten aus ihrer Heimatstadt Kiew flüchten. „Als der Krieg losging, dachten wir zunächst, dass es ein Irrtum ist. Als dann aber ein Militärflugzeug laut an unserem Wohnhaus vorbeiflog, war mir klar, dass wir hier weg müssen“, erzählt Sergey.
Noch am Nachmittag des 24. Februar machten sie sich auf den Weg in die weiter westlich gelegene 370.000-Einwohner-Stadt Winnyzja, wo Sergeys Eltern leben. Über Tschechien und Greifswald kamen sie ins lauenburgische Kuddewörde. Seit Juli leben sie dort mit ihren drei Kindern Nikita (9), Miranda (5) und Olivia (1) sowie Sergeys Mutter Titiana (63) in einer Doppelhaushälfte.
Durch Freunde kamen sie ins Lauenburgische
Ukrainische Freunde, die seit 30 Jahren in Deutschland wohnen, machten sie auf das leerstehende Haus in Kuddewörde aufmerksam. Finanzielle Unterstützung erhalten sie vom Arbeitsamt. „Es ist eine gute Unterkunft. Wir haben einen Garten und alles, was wir für unsere Kinder brauchen. Auch die Menschen aus der Nachbarschaft helfen uns sehr“, betont der 39-Jährige.
Dass Sergey seine Heimat überhaupt verlassen durfte, liegt daran, dass er Vater dreier Kinder unter 19 Jahren ist. Anastassija ist außerdem hochschwanger. Ende August erwartet die Familie ihr viertes Kind. „Die vergangenen Monate waren anstrengend“, gibt sie zu. Seit die Familie in Deutschland ist, fühle sie sich aber sicher. Sergey ist froh über das Entgegenkommen der deutschen Behörden: „Ich habe einen Brief an das Migrationsamt geschrieben, in dem ich die Situation meiner Familie erklärt habe und dass meine Frau schwanger ist. Wir haben schnell eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten.“
Der Olympia-Auftritt der Hürdenläuferin machte sie bekannt
Dass sie mal aus der Ukraine fliehen müssten, hätten sie nicht geahnt, als sie sich 2004 an der National University of Physical Education and Sport in Kiew kennenlernten. Sergey, in der Jugend dreimaliger ukrainischer Meister über 110 Meter Hürden, strebte eine Karriere als Athletiktrainer an. Anastassija, sechsfache ukrainische Meisterin, wurde Profisportlerin.
Der Olympia-Auftritt von Peking machte sie bekannt und brachte Sponsorenverträge – aber damit auch Druck. Doch das habe ihr nie sonderlich zugesetzt. „Anastassijas große Stärke ist, dass sie mental sehr gefestigt ist“, erklärt Sergey, der einen Magister in Sportpsychologie besitzt.
Rückkehr in den Sport nach der Geburt war hart
Nach der Hochzeit im September 2008 wollte das Paar unbedingt ein Kind. Ausgerechnet während der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2012 in London wurde Anastassija schwanger. „Das lief nicht ganz wie geplant“, gibt Sergey zu. „Wir haben uns aber natürlich sehr darüber gefreut und konnten gut damit leben, auf Olympia zu verzichten.“
Für Anastassija war die Rückkehr in den Leistungssport nach der Geburt hart: Mehrfach kämpfte sie mit Verletzungen, verpasste ganz knapp die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio und beschloss, ihre Laufbahn zu beenden. „Es war schwierig, Athletin zu sein und sich gleichzeitig um die Kinder zu kümmern. Deshalb ist es mir nicht schwer gefallen, dieses Kapitel zu beenden“, meint sie. „Der Sport war mein früheres Leben, jetzt bin ich eine Mutter.“
Zwei von Basenkos Athleten sind bei der EM in München am Start
Wie es für die Familie weitergeht, ist offen. Sergey, der neben Ukrainisch auch Englisch spricht, hofft, einen Job als Athletiktrainer zu finden. „Ich bin darauf spezialisiert, Sprinter und Hürdenläufer zu trainieren, arbeite aber auch als Physiotherapeut.“ Seine ukrainischen Athleten betreut er online, darunter Danylo Danylenko und Vasyl Makukh, die zurzeit bei den Europameisterschaften in München antreten.
Die Eltern hoffen, ihre Kinder bald im Kindergarten und in der Schule anmelden zu können. Sohn Nikita ist bereits in Greifswald zur Schule gegangen. „Er fragt manchmal, wann wir wieder nach Hause fahren. Doch das können wir nicht beantworten“, erzählt Sergey. Ihr viertes Kind, ein Mädchen, soll in Reinbek zur Welt kommen. „Wir möchten sie Ivona oder Linda nennen“. Vielleicht also ein deutscher Name? „Warum nicht?“