Hamburg. 500 Millionen Euro fließen jährlich am Fiskus vorbei in die Taschen der Hobbykicker. Das Interesse der Steuerbehörden ist gering.

Der Fußball, so heißt es im Volksmund, ist die schönste Nebensache der Welt. Für viele Amateurkicker ist er aber längst mehr: ein äußerst lukrativer Nebenjob. „Ich habe im Jahr durchschnittlich 12.000 bis 15.000 Euro damit verdient“, sagt ein Spieler unserer Zeitung, der namentlich nicht genannt werden will. Denn: Versteuert hat er während seiner Karriere, in der er für einige Clubs von der Oberliga abwärts das Trikot überstreifte, keinen einzigen Cent seines Zusatzeinkommens. Damit ist er kein Einzelfall, wie die am Mittwoch ausgestrahlte ARD-Dokumentation: „Milliardenspiel Amateurfußball – Wenn das Geld im Umschlag kommt“, zeigt.

Fußball: 500 Millionen Euro jährlich am Fiskus vorbei

500 Millionen Euro fließen demnach jährlich in Deutschland am Fiskus vorbei in die Taschen der Hobbykicker. Dieselbe Summe wird von den Clubs noch einmal regulär, also exklusive der ab einem bestimmten Betrag anfallenden gesetzlichen Sozialabgaben, an die Spieler gezahlt.

Das ist das Ergebnis einer Online-Befragung der ARD in Zusammenarbeit mit dem Recherchezentrum „Correctiv“. 10.134 Fußballerinnen und Fußballer im Durchschnittsalter von 28 Jahren nahmen daran teil.

Sie gaben Auskunft über die Ligazugehörigkeit ihres aktuellen Vereins, die Höhe ihres Gehalts und ob die finanziellen Vereinbarungen schriftlich festgehalten wurden. Das Ergebnis: Während Geldzahlungen im Frauenfußball unterhalb der Bundesligen praktisch keine Rolle spielen, haben 60,2 Prozent der befragten männlichen Amateurspieler zwischen 18 und 39 Jahren schon einmal Bares für die Ausübung ihres Hobbys erhalten. Weitere 18,2 Prozent der Umfrage-Teilnehmer wurden von ihren Clubs zudem durch Sachwerte oder Dienstleistungen entlohnt.

„Unsere Amateure. Echte Profis“ lautet eine Kampagne des DFB

Es ist also auch jede Menge Geld im Umlauf bei den Clubs unterhalb der drei deutschen Profiligen. Der Slogan einer Kampagne des Deutschen Fußball-Bundes (DFB): „Unsere Amateure. Echte Profis“ ist mit Blick auf die ARD-Umfrage beinahe schon makaber.

„Jeder Hans und Franz hält heute die Hand auf“, ärgert sich Sören Deutsch, Trainer des TSV Glinde. Der Bezirksligist möchte laut dem 45-Jährigen zur kommenden Saison einen kleinen personellen Umbruch vollziehen. Doch das Vorhaben ist gar nicht so leicht umzusetzen, weil Deutsch bei Gesprächen mit potenziellen Zugängen immer wieder mit finanziellen Forderungen konfrontiert wird.

TSV Glinde: Zahlungen unter der Hand sind tabu

„Für die Spieler ist ein Hunderter im Monat schon selbstverständlich. Jeder Dahergelaufene will heutzutage Kohle haben. Aber wo soll das Geld herkommen?“, echauffiert sich der Coach. Beim TSV werde maximal hin und wieder etwas vom Überschuss aus dem Verkauf von Bier und Würstchen in die Mannschaftskasse gezahlt. Ansonsten seien Zahlungen tabu, weil nicht machbar, ergänzt der 45-Jährige.

Dabei verhehlt Deutsch nicht, selbst zu seinen aktiven Zeiten den einen oder anderen Euro fürs Fußball spielen kassiert zu haben. „Einmal im Monat gab es einen Umschlag. Allerdings nicht vom Verein, sondern von den Sponsoren“, erzählt der frühere Angreifer. Die ganz großen Summen seien es ohnehin nicht gewesen, ergänzt der ehemalige Oberligaspieler: „Ich habe den Umschlag meistens an die Tresenkraft weitergegeben und noch draufgezahlt.“

Bei 700.000 Spielern gibt es nur 8500 Amateurverträge

Apropos draufgezahlt: Ab einer monatlichen Vergütung von mehr als 250 Euro für einen Spieler sind die Clubs verpflichtet, Amateurverträge mit ihnen abzuschließen.

Weil dann auch Steuern und Sozialabgaben fällig werden, verstauben diese Kontrakte in den Schubladen der meisten Vereine. In der vergangenen Serie wurden laut den DFB-Landesverbänden lediglich 8500 Amateurverträge bei ihnen eingereicht. Und das bei über 700.000 männlichen Hobbykickern!

TuS Dassendorf: Wir legen Wert darauf, dass alles sauber abläuft

22 Aktive stehen beim Oberliga-Spitzenreiter TuS Dassendorf im Kader und haben laut Sportchef Jan Schönteich allesamt einen Amateurvertrag unterzeichnet.

„Das ist eine teure Geschichte, da ja für jeden Spieler Knappschafts- und Genossenschaftsbeiträge fällig werden. Aber wir legen großen Wert darauf, dass alles sauber abläuft“, sagt der 54-Jährige und verweist darauf, dass „hier bei uns regelmäßig Steuerprüfungen stattfinden“.

SV Curslack-Neuengamme: Das Spiel machen wir nicht mit

Auch Lokalrivale SV Curslack-Neuengamme hat nach Angaben von Manager Oliver Schubert 15 Fußballer seines Aufgebots mit Amateurverträgen ausgestattet. Potenzielle Zugänge, die Handgelder oder außervertragliche Zahlungen fordern, beißen bei den Vierländern laut Schubert auf Granit: „Das Spiel machen wir nicht mit.“

Satte 2000 Euro habe vor zwei Jahren ein Akteur für seinen Wechsel verlangt, berichtet Schubert. Der SVCN winkte ab, ein Konkurrent nicht. „Er hat dann bei einem anderen Verein gespielt. Ob sie ihm das gezahlt haben, weiß ich aber nicht“, erklärt Curslacks Manager.

Geld wird in Umschlägen unter der Hand verteilt

Schubert ist ebenso wie Schönteich bewusst, dass andernorts im wahrsten Sinne des Wortes der Mann mit dem Geldkoffer kommt. Unser Informant, der Ex-Spieler, bestätigt das. „Die Zahlungen haben immer an verschiedenen Orten stattgefunden. Einmal habe ich den Umschlag noch während des Spiels auf der Ersatzbank bekommen“, erklärt er.

Ein anderer früherer Fußballer, der sogar Profi war und danach jahrelang im höherklassigen Amateurbereich kickte, erzählt eine nicht minder skurrile Anekdote: „Einmal bekam ich vom Mäzen dessen Autoschlüssel. Er hat zu mir gesagt, dass mein Geld im Handschuhfach liegt.“

DFB kann die Praktik nicht unterbinden

Der DFB weiß um die Problematik des Schwarzgeldes und hält „Zahlungen an Spieler*innen in unteren Amateurligen grundsätzlich für den falschen Weg in einem Verein“, wie er auf „fussball.de“ schreibt. Doch der größte nationale Sport-Fachverband der Welt kann die Praktiken nicht unterbinden. Eingreifen müssten die Finanzämter der Länder.

Auf ARD-Nachfrage teilten sie allerdings mit, „dass Amateurvereine kein Prüfungsschwerpunkt“ seien. Ein Finanzbeamter, der anonym bleiben wollte, erklärte dem Sender: „Wenn wir keinen Geldfluss nachweisen können, wie sollen wir jemanden bestrafen?“

Werden die Vereine geschont, weil sie sozial bedeutsam sind?

Der Fiskus scheint also machtlos zu sein, Schwarzgeld-Zahlungen im Amateurfußball zu unterbinden. Oder will er es womöglich gar nicht? „Es gibt wirklich viele Leute, die sagen, dass man die Vereine in Ruhe lassen soll. Sie meinen, dass sie ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft sind – gerade im sozialen Bereich“, sagte der Finanzbeamte der ARD.

In dieselbe Kerbe schlägt der Spieler, der jahrelang fünfstellige Zuwendungen nicht versteuerte: „Am Ende des Tages wird das Finanzamt nicht viel machen, weil du sonst irgendwann nur noch die Hälfte an Vereinen hast. Und das wollen sie ja auch nicht.“

Tatsächlich droht Clubs, denen Steuerhinterziehung nachgewiesen wird, neben einer Nachversteuerung der Entzug der Gemeinnützigkeit und der damit verbundenen Befreiung von der Ertragssteuerpflicht. Für das Gros der Vereine würde dies den Bankrott bedeuten. Aber auch für Spieler sind die Schwarzgeldzahlungen riskant. Ihnen drohen im schlimmsten Fall wegen Steuerhinterziehung bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.