Boberg. Nach einer schweren Knieverletzung machte sich der Radsport-Profi Jay McCarthy im UK Boberg wieder fit.

Das Städtchen Maryborough in Queensland im Nordosten Australiens ist in etwa so groß wie Eckernförde und rund vier Autostunden nördlich der Großstadt Brisbane gelegen, dem Olympia-Gastgeber 2032. Siebenmal pro Woche rumpeln hier die großen Überland-Züge „Spirit of Queensland“ und „Spirit of the Outback“ vorbei, ansonsten ist nicht viel los. Touristen kennen Maryborough höchstens als Startpunkt für eine Tour nach Fraser Island, der größten Sandinsel der Welt. Die wurde einst von James Cook (1728-1779) entdeckt und wird heute von bis zu einer halben Million Menschen pro Jahr besucht.

„Fahr’ die Tour de France“

Wer in Maryborough aufwächst, wird wegen des nahen Pazifiks fast unweigerlich beim Surfen landen. Nicht so Jay McCarthy. Ihn reizte nicht die Weite des Meeres, sondern die Weite der Landstraßen. Als er 13 Jahre alt war, brachte er in seinem Kinderzimmer über dem Bett einen Zettel an, auf dem stand: „Fahr‘ die Tour de France!“ 13 Jahre später konnte der erwachsen gewordene Junge aus Maryborough einen Haken unter den Zettel setzen. Als 94. des Gesamtklassements erreichte McCarthy bei der Tour de France 2017 nach 3540 Kilometern mit über drei Stunden Rückstand auf den Sieger Chris Froome (Großbritannien) das Ziel in Paris. Nach 89 Stunden, 26 Minuten und acht Sekunden im Sattel hatte er das schwerste Radrennen der Welt bewältigt.

Bei vollem Tempo die Kontrolle verloren

Wasserträger wie McCarthy sind die wahren Helden des Radsports. Sie schinden sich, damit andere glänzen können. Und nur selten stehen sie selbst im Blickpunkt des Interesses, entweder wenn sie das Renngeschick bei einer Etappenankunft nach vorne spült oder wenn ihnen ein Unglück passiert. So wie McCarthy am 27. Oktober 2020 auf der 7. Etappe der Vuelta, der Spanien-Rundfahrt. Das Peloton raste mit mehr als Tempo 50 über eine schnurgerade Straße im Baskenland, der Australier mittendrin. „Plötzlich stürzte ich über ein Hindernis auf der Strecke“, erinnert sich der 28-Jährige an die dramatischen Sekunden. „Ich verlor die Kontrolle über das Rad und fiel dann bei voller Geschwindigkeit. Dabei muss ich mir das Knie verdreht haben.“

Sturz ins benachbarte Stoppelfeld

Es war ein Moment, der eine Sportlerkarriere oder gar das Leben kosten kann. McCarthy stürzte in das benachbarte Stoppelfeld, auf dem auch einige größere Steine herumlagen. Vielleicht war es ein solcher Stein gewesen, der ihm zum Verhängnis geworden war. Auf jeden Fall muss das Hindernis den Australier bei dem Unfall, den keine Kamera festgehalten hat, wie ein Katapult beschleunigt haben, denn er lag knapp drei Meter vom Straßenrand entfernt, sein Rad weitere fünf Meter dahinter.

Im örtlichen Krankenhaus wurde eine komplizierte Bänderverletzung im rechten Knie diagnostiziert. Eine Woche nach dem Sturz wurde McCarthy ins BG Klinikum Hamburg nach Boberg geflogen, wo ihn Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch, Ärztlicher Direktor des Klinikums und spezialisierter Kniegelenkchirurg, Anfang November operierte.

80 Prozent können wieder völlig fit werden

Der war sich seiner Verantwortung bewusst, dass hier nicht nur die Gesundheit des Patienten, sondern auch dessen berufliche Zukunft auf dem Spiel standen. „Im Profisport sind Knieverletzungen natürlich immer wieder ein großes Thema“, betont Professor Frosch. „Der Körper ist das Kapital eines Sportlers, und es muss die maximale Leistungsfähigkeit erreicht werden. Schätzungsweise 80 Prozent der verletzten Sportler haben eine Chance, dies zu schaffen.“

Jay McCarthy aus Australien vom Team BORA-hansgrohe im Reha-Training im Februar 2021 im BG Klinikum Hamburg.
Jay McCarthy aus Australien vom Team BORA-hansgrohe im Reha-Training im Februar 2021 im BG Klinikum Hamburg. © Unternehmenskommunikation BGKH | Unternehmenskommunikation BGKH

Das UK Boberg ist spezialisiert auf die Akutversorgung und Rehabilitation Unfallverletzter „aus einer Hand“. „Die Behandlung eines solch komplexen Falls zeigt wieder, wie wichtig es ist, dass die operative Behandlung und die rehabilitative Versorgung nahtlos ineinander übergehen. Das ist ein großer Vorteil in Boberg“, schätzt Dr. Christopher Edler. Er ist Arzt im Zentrum für Rehabilitationsmedizin und interdisziplinäre Sportmedizin am BG Klinikum und betreut auch als Mannschaftsarzt McCarthys Rennsport-Team „BORA-hansgrohe“.

Sportler vor sich selbst schützen

In der Rehabilitation ging es darum, das operierte Knie aktiv zu mobilisieren und so auch die Belastbarkeit allmählich wieder zu steigern. Erst als Kraft und Beweglichkeit im Knie wiederhergestellt waren, ging es in der nächsten Phase der Rehabilitation fürs Aqua-Cycling im Schwimmbad zurück aufs Rad. Nun stand das „sportartspezifische Bewegungsmuster“, wie Dr. Edler es nennt, im Fokus. „Dies ist der entscheidende Schritt bei der Rehabilitation von Sportlern.“

Gerade Leistungssportler müsse man bei solchen Einheiten oft vor sich selbst schützen. Diese Erfahrung hat der Sporttherapeut Birger Holtfreter gemacht. „Jay ist es als Sportler natürlich gewohnt, hart zu trainieren“, erläutert Holtfreter. „Wir müssen als Therapeuten in diesen Fällen darauf achten, dass die Patienten nicht zu schnell zu viel wollen oder sich zu stark beanspruchen.“

Den australischen Sommer verpasst

m Fall von McCarthy war die Rehabilitation erfolgreich. Mittlerweile konnte der Australier das Unfallkrankenhaus Boberg bereits verlassen und arbeitet nun in Amsterdam an seiner Fitness. „Ich habe schon große Fortschritte gemacht und möchte natürlich so schnell wie möglich weiter vorankommen“, betont er. Wenn der 28-Jährige dann in ein paar Monaten wieder seine ersten Rennen bestreitet, wird der Unfall im Baskenland nur noch eine Erinnerung sein. Nur den australischen Sommer, den hat er verpasst. Im fernen Maryborough herrscht gerade strahlender Sonnenschein bei 24 bis 32 Grad. Perfektes Wetter zum Surfen. Oder Radfahren.