Bergedorf. Bei den Landesmeisterschaften der Leichtathleten blieb die TSG Bergedorf ohne Titel.

Den Körper vornüber gebeugt, die rechte Schulter leicht herunterhängend, wirkt der 16-jährige Glenn Kochmann beim Laufen immer ein bisschen so, als würde er gleich zusammenbrechen. Doch das täuscht gewaltig. Das Mittelstrecken-Talent der TSG Bergedorf ist auf der Jagd nach der Norm für die Deutschen U-18-Jugendmeisterschaften. 4:13,20 Minuten gilt es über 1500 Meter zu unterbieten. Zweieinhalb Runden lang hat er sich zurückgehalten, ist in einem Pulk im Mittelfeld mitgelaufen. Jetzt muss etwas passieren. Trainer Frieder Nölting schreit sich am Rand der Tartanbahn die Seele aus dem Leib: „Du musst da jetzt vorbei, Glenn! Du musst was tun!“

35 Hundertstel fehlen zur Norm

Die 1500 Meter sind der letzte Wettbewerb der Leichtathletik-Landesmeisterschaften der Erwachsenen in der Hamburger Jahnkampfbahn und ihr dramatischer Höhepunkt. Mit raumgreifenden Schritten zieht Kochmann an den Konkurrenten vor ihm vorbei, doch sein Angriff kommt zu spät. Im Ziel fehlen ihm in 4:13,55 Minuten nur 35 Hundertstel zur Norm. Doch sie fehlen eben.

Lange dauert es nicht, bis die Enttäuschung darüber der Zufriedenheit weicht. „Es war ein guter Lauf“, ordnet Kochmann seinen siebten Platz ein, „neue persönliche Bestzeit“. Auch Nölting ist angetan vom couragierten Endspurt, registriert jedoch ungläubig, dass der 16-Jährige mit Armbanduhr gelaufen ist. Das mag die eine oder andere Hundertstel gekostet haben. „Dafür ziehe ich ihm noch mal die Ohren lang“, droht er schmunzelnd.

Rüdiger Möhring gewinnt Silber

Die TSG-Leichtathleten bleiben bei diesen Meisterschaften titellos. Hammerwerfer Rüdiger Möhring sorgt mit seinem zweiten Platz für das beste Ergebnis. Mit 41,91 Metern liegt er deutlich unter seinen Vorjahresleistungen. Kein Wunder nach der Corona-Zwangspause. Die 4x100-Meter-Staffel mit David Rothmeier, Sören Gnoss, Josef Hiemann und Alexander Palm stürmt in 44,17 Sekunden auf Platz drei hinter dem HSV (43,23) und dem MTV Heide (44,08). „Dass der HSV nicht zu schlagen sein würde, war uns klar“, betont Gnoss. „Aber so knapp gegen Heide zu verlieren, ist ärgerlich. In der Halle habe wir sie noch geschlagen.“

Wegen der Corona-Pandemie waren bei den Titelkämpfen keine Zuschauer zugelassen. Gelegentlich drängte sich bis zu einem Dutzend Zuschauer an der einzigen Lücke am Zaun, durch die man hindurchsehen konnte. Im Stadion zeigten sich viele Athleten unbeeindruckt von den ungewöhnlichen Bedingungen. Über 800 Meter kratzte der TSG-Jugendliche Fabio Dinkelmeyer (2:00,38) als Sechster an der Zwei-Minuten-Grenze. Lena Marie Jeschke wurde in 63,15 Sekunden Fünfte über 400 Meter.

Ein Riesensatz zum Abschied

Und dann war da ja noch Josef Hiemann, den sie im TSG-Team alle nur „Jupp“ nennen, „weil Josef so biblisch klingt“, wie der 29-Jährige erklärt. Zwei Wochen lang hat sich der Video-Journalist vorwiegend von Schmerzmitteln ernährt, um beim letzten Leichtathletik-Wettbewerb seines Lebens dabei sein zu können. Wohnung und Job sind schon gekündigt. Anfang November zieht er zu seinem Freund nach Ottawa, um sich in Kanada ein neues Leben aufzubauen. „Dann werde ich wohl eine neue Sportart ausprobieren“, blickt er voraus.

Kuchen zum Abschied

Das malade rechte Knie, es hielt. So konnte Hiemann zum Abschied nicht nur Staffel-Bronze einsammeln, sondern feierte auch noch einen ganz persönlichen Triumph. Im Weitsprung-Wettbewerb knackte er gleich im ersten Versuch die Sechs-Meter-Marke, wurde mit 6,08 Metern Siebter. Ein runder Abschluss einer Leichtathletik-Karriere, die elf Jahre zuvor eher zufällig begonnen hatte. „Ich bin in einem Dorf in Niedersachsen aufgewachsen, da gab es nur Reiten für die Mädchen und Fußball für die Jungs“, schildert er. „Dann sah ich Leichtathletik im Fernsehen und habe mich beim Verein im Nachbardorf angemeldet, als ich 18 war und mit dem Auto dorthin fahren konnte.“ Es war ein Aha-Erlebnis. „Von der Schule her dachte ich ja, ich wäre schnell“, erinnert sich „Jupp“ schmunzelnd, „aber bei meinem ersten Wettkampf wurde ich dann überall Letzter.“ Doch durch beharrliches Training steigerte er sich, lief kürzlich sogar die 100 Meter unter zwölf Sekunden. Seinen Abschied im TSG-Training will Hiemann in den kommenden Wochen auf ganz besondere Weise geben: „Ich backe sehr gern und sehr gut. Ich bringe so oft Kuchen mit, bis jeder etwas abbekommen hat.“