Bergedorf. Neben Ingo Schultz ist Jürgen Kühl der einzige Bergedorfer Leichtathlet, der es zu Olympia schaffte.
Die Leichtathletik-Triumphe der 50er-Jahre, sie schmeckten nach Schweiß, dem Staub der Aschenbahn und nach Fassbrause. „Cola war damals noch nicht üblich, und in unserem Lieblingsstadion am Hammer Park gab es die beste Fassbrause weit und breit. Damit haben wir es uns regelmäßig gut gehen lassen“, erinnert sich Claus Beissner, Mitglied der legendären 4x400-Meter-Staffel von Spiel und Sport Bergedorf, die 1957 und 1958 jeweils Deutscher Vize-Meister wurde. Der Beste des Quartetts, Jürgen Kühl, wurde sogar für die Olympischen Spiele 1956 in Melbourne nominiert, wo er mit der deutschen 4x400-Meter-Staffel den vierten Platz belegte und im Einzel den Zwischenlauf erreichte. Neben Ingo Schultz, 400-Meter-Vize-Weltmeister 2001 und Europameister 2002, ist Kühl damit der einzige Bergedorfer Leichtathlet, der es zu Olympischen Spielen geschafft hat. „Bezogen auf unsere Region ist er eine Legende“, urteilt Beissner. Am 3. August ist Kühl im Alter von 85 Jahren gestorben. Er wurde im Familienkreis in Bergedorf beerdigt.
„Zu Jürgen haben wir aufgeschaut“
„Zu Jürgen haben wir alle aufgeschaut“, schwärmt Beissner, „da gab es gar keinen Konkurrenzkampf. Es war für alle klar, dass er der Beste war.“ Seinen größten Erfolg feierte Jürgen Kühl, der für Spiel und Sport Bergedorf, einen Vorgängerverein der TSG Bergedorf startete, im August 1957, als er bei den Deutschen Meisterschaften im Düsseldorfer Rheinstadion in der persönlichen Bestzeit von 47,4 Sekunden den Titel gewann. Dabei verwies der gebürtige Bergedorfer den Silbermedaillengewinner von Melbourne 1956, Karl-Friedrich Haas, hauchdünn auf den zweiten Platz. Zudem wurde Kühl in den Jahren 1956 und 1957 jeweils Deutscher Hallenmeister. Hinzu kamen die Silbermedaillen in der Staffel.
Intervall-Training als Erfolgsrezept
Das Erfolgsgeheimnis der Helden von SuS Bergedorf war aber nicht die Fassbrause vom Hammer Park, sondern die modernen Trainingsmethoden von Coach Horst Seifart. „Wir waren die Ersten, die Intervalltraining gemacht haben“, erinnert sich Beissner, „da standen dann zum Beispiel im tiefsten Winter draußen 30 mal 300 Meter mit kurzen Pausen auf dem Programm.“ Vier- bis fünfmal pro Woche trainierte das Team von SuS Bergdorf, zu dem neben Kühl und Beissner noch Rainald Bohnhoff, Norman Weiß sowie der Geesthachter Rochus Claus gehörten, auf dem Uni-Sportplatz am Rothenbaum. Bis auf den Bankangestellten Kühl waren die Sportler alle Studenten. „Ehrgeizig waren wir alle“, schildert Beissner, „aber Jürgen war eben besonders talentiert.“
Platz vier mit der deutschen Staffel
So sehr, dass er sogar für die Olympische Spiele in Melbourne nominiert wurde. Das war eine besondere Auszeichnung, denn wegen der hohen Reisekosten nahmen damals nur 3200 Athleten an den Spielen teil, viel weniger als sonst. Zudem musste sich Kühl für das gesamtdeutsche Team gegen Konkurrenz aus der Bundesrepublik und der DDR durchsetzen.
Im Olympia-Jahr bestand die größte Schwierigkeit für die Aktiven darin, ihre Form bis Ende November zu halten, denn die Spiele wurde im australischen Frühsommer ausgetragen. Im Vorlauf präsentierte sich Kühl jedoch topfit und belegte in 48,7 Sekunden den zweiten Platz noch vor dem späteren Olympiasieger Charles Jenkins (USA). Im Zwischenlauf verbesserte sich der Bergedorfer auf 48,0 Sekunden. Platz fünf bedeutete jedoch das Aus. Eine halbe Sekunde fehlte am Einzug ins Halbfinale.
Doch der Höhepunkt sollte ja noch erst kommen. Am 1. Dezember 1956, dem letzten Tag der Leichtathletik-Wettbewerbe, stand Jürgen Kühl mit dem deutschen Team im Finale in der 4x400-Meter-Staffel. Dass die Amerikaner um Olympiasieger Jenkins und Weltrekordler Lou Jones nicht zu schlagen sein würden, war klar. Doch wie würde es dahinter aussehen? Im Vorlauf hatte das deutsche Quartett mit Startläufer Kühl sowie Walter Oberste, Manfred Poerschke und Karl-Friedrich Haas Gastgeber Australien noch hinter sich gelassen. Im Finale jedoch liefen die „Aussies“ wie entfesselt hinter den USA zu Silber, Bronze gewann Großbritannien – eine Sekunde vor den Deutschen auf Platz vier.
Kniebeschwerden sorgen für Karriereende
Für Jürgen Kühl war Melbourne es das einzige große internationale Event. Ab 1958 erzwangen hartnäckige Kniebeschwerden sein frühes Karriereende. Nicht mal etwas Stärkeres als Fassbrause halt: Coach Seifart regte nach dem Vorbild schottischer Fußball-Profis eine monatelange Kur mit in Whisky getränkten Bandagen an. Doch nichts half. „Ich muss die Schotten wohl falsch verstanden haben“, sagte Seifart, „die Anwendung war wohl eher innerlich gedacht.“