Lohbrügge. Geschätzt 800 Spiele hat Klaus Krämer in seinen 50 Jahren geleitet. Als er 1969 seinen Schein machte, war er der erste gehörlose Schiri Hamburgs.

Die Zuschauer bei den Hamburger Hallenmeisterschaften der D-Mädchen am Ladenbeker Furtweg applaudieren. Klaus Krämer strahlt. Es ist sein Beifall. Seit 50 Jahren pfeift der Unparteiische vom VfL Lohbrügge Fußballspiele. Dafür wurde er vom Bezirksschiedsrichterausschuss Bergedorf unlängst geehrt. Klaus Krämer winkt ins Publikum, wirft sogar Kusshände in die Menge. Dass sein Name vor dem Start der Hallentitelkämpfe aufgerufen wurde, hat er allerdings nicht gehört. Auch die Zuschauer sieht er zwar applaudieren, der Klang jedoch, wenn die Hände gegeneinander treffen, bleibt ihm verborgen. Klaus Krämer ist gehörlos – seit der Geburt.

Die Beeinträchtigung ist zu 100 Prozent. „Das heißt, er hört keine Worte, keine Töne. Auch nicht, ob etwas herauskommt, wenn er in seine Pfeife bläst“, erklärt Herbert Domke, sein Obmann beim VfL Lohbrügge.

Klaus Krämer hat um die 800 Spiele geleitet

Klaus Krämers Vater war einst Jugendbetreuer beim SV Tonndorf-Lohe, Sohn Klaus unterstützte ihn. Als Schiedsrichter gesucht wurden, sagte er zu. Im Januar 1969 legte er seine Prüfung ab. Er war damals der erste ausgebildete gehörlose Schiedsrichter in Hamburg. Seitdem steht er an zahlreichen Wochenenden im Jahr auf dem Platz. Oder im Winter in der Halle. Um die 800 Spiele dürfte er geleitet haben. Gezählt hat er sie nicht. Die längste Zeit seiner Schiedsrichter-Karriere pfiff der heute 68-Jährige beim FC Hinschenfelde, der später im TSV Wand­setal aufgegangen ist.

2014 zog Klaus Krämer, der ledig ist, dann nach Lohbrügge. Und fragte sogleich nach, ob sie beim VfL einen Schiedsrichter brauchen würden. Brauchten sie natürlich. „Er ist sehr zuverlässig. Ich bin sehr froh, dass ich ihn habe. Zum Beispiel heute: Junge Schiris wollen keinen Mädchenspiele pfeifen“, sagt Obmann Domke.

Klaus Krämer sitzt neben ihm in der Halle. Er schaut aufs Spielfeld, gerade haben die Hallenmeisterschaften der D-Mädchen begonnen. Als sein Lohbrügger Schiri-Kollege Sina Kimya auf Foul entscheidet, nickt Klaus Krämer. Hätte er auch so gepfiffen.

Ich schiebe ihm einen Zettel rüber. „Haben Sie noch andere Hobbys?“, steht darauf. Wandern, Fahrrad fahren, schwimmen schreibt er auf. Dabei fächelt er sich Luft zu und grinst. Er mag es gerne, draußen zu sein.

Dass er auf dem Spielfeld seine Entscheidungen sehr gestenreich erklärt, ist ob seines Handicaps nicht weiter verwunderlich. Es folgt das zweite Spiel an diesem Nachmittag. Nun ist Klaus Krämer dran. Gleich mehrfach hebt der Ball beim Einschießen (statt Einrollen) vom Boden ab. Das ist nicht zulässig. Der VfL-Referee pfeift. Mit den Händen stellt er die Flugkurve des Balls nach. Will heißen: Das war zu hoch.

In 50 Jahren noch nie eine Rote Karte gezeigt

Die D-Mädchen bereiten ihm an diesem Tag keine Probleme. Auch sonst hat er auf dem Fußballplatz nie eine brenzlige Situation erlebt. „Wann haben Sie zuletzt eine Rote Karte gezeigt?“, hatte ich via E-Mail gefragt. „Ich kann mich nicht daran erinnern, überhaupt einmal eine gezeigt zu haben“, antwortete er. Was daran liegen dürfte, dass Klaus Krämer bis heute ausschließlich Jugendspiele leitet.

Fast 40 Jahre lang hat er als Buchbinderhelfer gearbeitet. Dann ging seine Firma pleite. Das war 2008. Daraufhin ging er in Frührente. Dass Klaus Krämer gehörlos ist, bekommen die jungen Fußballer häufig gar nicht mit. Es sei denn, sie wollen mit ihm kommunizieren. Dann deutet er an, dass sie ihm einen Zettel schreiben sollen. Manchmal kann er die Schrift gut lesen, manchmal ist es schwierig. Ein Stück Papier, auf dem „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“ geschrieben steht, hat ihm aber noch niemand in die Hand gedrückt.