Bergedorf. Die TSG Bergedorf hat die größte und erfolgreichste Cheerleading-Abteilung des Nordens. Doch nun steht die Sportart als Ganzes plötzlich infrage.

Am Anfang stand ein Mann: Johnny Campbell dirigierte das Publikum 1898 bei einem American-Football-Spiel der Universität von Minnesota und ging als erster Cheerleader in die Geschichte ein. Für ein halbes Jahrhundert blieb das Anfeuern Männersache. Erst in den 50er-Jahren übernahmen die Frauen.

Heute gibt es Cheerleading-Wettbewerbe bis hinauf zur Weltmeisterschaft sowie seit jeher Show-Auftritte bei großen Sportevents. Doch nun hat Basketball-Bundesligist Alba Berlin seine Cheerleader abgeschafft. „Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüller nicht mehr in unsere Zeit passt“, sagt Geschäftsführer Marco Baldi.

Tanzende Zahnärztinnen und Juristinnen

Die Alba Dancers, ausgezeichnet als bestes Danceteam Europas, sind nun aufgelöst. Doch die Diskussion bleibt. Niemand sei gezwungen worden, bei den Cheerleadern mitzumachen, argumentiert Alba-Dancers-Trainerin Valesca Stix, „die Mädchen sind gestandene Frauen von Zahnärztin über Psychologin bis Stewardess.“ „Es ändert nichts, wenn man weiß, dass Zahnärztinnnen und Juristinnen tanzen“, hält Hatice Ak­yün im Berliner „Tagesspiegel“ dagegen, „es ist dieses Bild, das sich einbrennt: Zum starken, erfolgreichen Mann gehört die schöne, unterwürfige Frau.“ Ralf Weule hingegen gibt in der „Hamburger Morgenpost“ zu bedenken: „Männer sollten nicht entscheiden, was sexistisch ist.“

Harter Leistungssport statt Puschel-Klischee

Die TSG Bergedorf hat mit 200 Mitgliedern die größte und erfolgreichste Cheerleading-Abteilung des Nordens. Kein Wunder, dass die Entscheidung hier für Diskussionen sorgt. „Ich glaube, für Alba ist der Schuss nach hinten losgegangen“, schätzt TSG-Abteilungsleiter Olaf Griem, „das Problem ist, dass die Leute immer nur das Klischee von den Puschel-Mädchen sehen. Dabei handelt es sich um einen harten Leistungssport.“

Eine, die in diesem Sport alles erreicht hat, ist Nele Jacobsen, Weltmeisterin von 2018. Fast täglich hat sie früher trainiert, um als „Flyer“ ihre halsbrecherischen Stunts in luftiger Höhe heil zu überstehen. Und sie war als Schülerin in den USA, feuerte dort in einem Dance-Team die Basketballer der Schule an. „Wir haben uns unsere Tüllröckchen selbst gebastelt“, erinnert sie sich, „natürlich weißt du, dass du angeschaut wirst. Natürlich willst du einen Wow-Effekt beim Publikum erzeugen, aber das ist nicht das Ziel Nummer eins. Es geht um die Perfektion in der Gruppe.“

Nur eine Minderheit betreibt Show-Cheerleading

Knapp 20.000 Cheerleader gibt es in Deutschland. „Davon machen nur zehn bis 15 Prozent diese Show-Auftritte“, schätzt Griem, der auch Präsident des Hamburger Verbandes ist. Nun drohe alles aufs Tanzen reduziert zu werden, der Sport in den Hintergrund zu geraten. Dagegen wollen sie ankämpfen. „Die Cheerleading-Community“, hat Griem beobachtet, „rückt gerade enger zusammen.“