Dassendorf. Viele Sportler glauben, ein Kreuzbandriss zieht sechs Monate Pause nach sich. Doch meistens dauert es doppelt so lang.

Finn Thomas steht die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Ein Gewicht über dem Kopf haltend, steht der Fußballer der TuS Dassendorf in der Sporthalle am Wendelweg auf einem kleinen Turnkasten, hebt ein Knie abwechselnd um 90 Grad angewinkelt auf Hüfthöhe oder tippt mit dem Fuß auf den Boden. Dabei muss er gleichzeitig auf die Stabilität im Standbein achten. Ein halbes Jahr ist es her, dass sich Thomas das Kreuzband im rechten Knie gerissen hat. Im Sommer – also etwa ein Jahr nach der Verletzung – will der 31-Jährige wieder in der Oberliga spielen.

„Ich wusste nicht, wie viel Kraft es kostet“

Sein Dassendorfer Teamkollege Joe Warmbier plagt sich mit der gleichen Blessur herum, nur dass er sie im anderen Knie und einen Monat später erlitten hat. „Als ich die Diagnose hörte, dachte ich: ,Okay, Mist, sechs Monate Pause, dann geht’s weiter. Ich wusste nicht, wie viel Kraft und Zeit dahinter steckt“, gesteht Warmbier.

Die unter Sportlern gängige Floskel, dass man nach einem Kreuzbandriss ein halbes Jahr ausfällt, ist eine Mär. „Man sagt, dass man nach rund 12 Monaten wieder bei der alten Leistungsfähigkeit ist“, erklärt Dassendorfs Athletik-Trainer Jogi Ohle, der die beiden Kicker auf ihrem Weg zum Comeback begleitet.

Die Rehabilitation ist eine individuelle Sache

Einen einheitlichen Weg dahin gibt es nicht. Zu viele Faktoren fließen in den Genesungsprozess hinein: Gibt es weitere Schädigungen im Knie? Wie intensiv wird die Rehabilitation betrieben? Verläuft der Heilungsprozess normal oder reagiert das Knie auf Belastungen?

„Jawoll. Noch fünf. Nu’ komm’. Zwei. Drei. Jawoll. Vier. Einer noch. Sehr schön!“, spornt Athletik-Trainer Ohle Finn Thomas zu Höchstleistungen an. Egal, ob dieser auf einem Gymnastikball balanciert oder verschiedene Gymnastikübungen absolviert.

Thomas und Warmbier ackern fast täglich fürs Comeback. Sie sind über die TuS Dassendorf berufsgenossenschaftlich versichert. Ihre Verletzung kommt somit einem Arbeitsunfall gleich, wodurch sie eine bessere Versorgung genießen.

Hinterher nachschauen? Fehlanzeige!

Dem gegenüber steht Julie Hebbeler, Hockeyspielerin vom TTK Sachsenwald, stellvertretend für den Otto Normalverbraucher. „Ich bin normal versichert, habe mir drei mal sechs Einheiten Krankengymnastik besorgt und hatte ein- bis zwei Termine pro Woche – wie man das als Berufstätige so schafft. Danach war ich viel im Fitnessstudio“, sagt die Wohltorfer Mannschaftskapitänin, die sich am 26. April das vordere Kreuzband des rechten Knie gerissen hat.

„Die Nachsorge könnte besser sein. Die Ärzte gucken nur, ob die OP-Narbe gut verheilt. Ich finde aber ein Folge-MRT wichtig, um zu sehen, ob die Bänder im Knie gut verheilen“, sagt Hebbeler. Bei einer Magnet-Resonanz-Tomographie werden Organe oder Gewebe im Körper bildlich dargestellt.

Manche haben gar keine Schmerzen

Gemein haben alle drei Kreuzband-Patienten, dass sie sich bei ihrem Hobby verletzt haben. Bei Hebbeler und Warmbier hat sich das Knie ohne Fremdeinwirkung beim Laufen plötzlich nach hinten überstreckt. Bei beiden ist „nur“ das Kreuzband betroffen. Hebbeler hatte Schmerzen, Warmbier nicht.

Dagegen ist Finn Thomas bei einer Rückwärtsbewegung in einen Gegenspieler gefallen. Bei ihm sind zudem Innenband sowie Außen- und Innenmeniskus betroffen. „Es ist in meinem 100. Punktspiel für Dassendorf passiert. Viermal hat es Krack gemacht. Schmerzen hatte ich aber auch nicht“, erinnert sich Thomas.

Er ist inzwischen im Lauftraining, joggt drei- bis viermal pro Woche um die Alster. „Nach der Verletzung habe ich gesagt, ich möchte noch ein paar Spiele in dieser Saison machen. Jetzt sage ich, dass es egal ist, ob es zwei Monate länger dauert. Trotzdem vergleiche ich mich ein bisschen mit Jairo vom HSV. Der hat sich ungefähr zeitgleich mit mir das Kreuzband gerissen“, betont Thomas.

Viele Patienten muss man bremsen

Solche Zeitpläne sind Ohle, der hauptberuflich als Sport-Physiotherapeut arbeitet, gar nicht recht. „Viele Patienten muss ich in ihrem Ehrgeiz bremsen. Ich lasse sie dann die Leistungen des gesunden und den kaputten Knie vergleichen.“ Dazu können Probleme bei der Heilung kommen. Bei Warmbier hatte sich Narbengewebe am neuen Kreuzband gebildet, die Anfang Januar eine weitere OP erforderlich machte. „Wäre es dumm gelaufen, wäre ich noch ein Jahr länger ausgefallen. Doch jetzt geht es viel besser“, sagt Warmbier, der schon wieder Fahrrad auf einem Heimtrainer fährt.

Julie Hebbeler ist von allen drei Patienten am weitesten. Sie hofft, im April wieder voll belastbar auf dem Trainingsplatz zu stehen. „Aber erst muss ich wieder Vertrauen in meine Beine bekommen“, sagt sie.

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