Lauenburg. Vor 50 Jahren Der Lauenburger Dirk Schreyer gewinnt bei Olympia die Goldmedaille im Deutschland-Achter

    Wir schreiben den 19. Oktober 1968. Dirk Schreyer ist in einem Zustand zwischen Leben und Tod, als der Deutschland-Achter auf der Regattastrecke von Xochimilco als Erster die Ziellinie überquert. Die Luft in knapp 2300 Metern Höhe bei den Olympischen Spielen von Mexico-Stadt hat ihren Tribut gefordert. „Es war die Grenze der Belastbarkeit. Am Ende ist es so gewesen, als ob man bewusst stirbt. Den einen oder anderen von uns, auch mich, mussten sie aus dem Boot tragen. Alleine ging’s nicht mehr“, erinnert sich der gebürtige Lauenburger 50 Jahre nach dem Gewinn der Goldmedaille.

    Es ist eine von insgesamt nur fünf, die Athleten der Bundesrepublik Deutschland mit nach Hause brachten. Und bei den Begleitumständen ist sie die mit Abstand außergewöhnlichste.

    Das Boot leistet sicheinen Fehlstart

    Denn noch am Vorabend des Finalrennens ist eine Abordnung des deutschen Flaggschiffs fieberhaft auf der Suche nach den bereits ausgeschiedenen Kollegen aus dem Vierer. Für den kurzfristig mit einer Angina ausgefallenen Roland Böse muss schleunigst ein Ersatz her. In der Disco des olympischen Dorfes werden sie erst gegen 21 Uhr fündig. Johann Färber kommt freiwillig mit, Niko Ott muss mit etwas Nachdruck gebeten werden. „Wir haben ihn links und rechts untergehakt“, sagt der heute 74-jährige Schreyer.

    Nach einem Training um 6 Uhr morgens fällt die Wahl trotzdem auf Ott. Doch das Boot ist nicht eingespielt, leistet sich einen Fehlstart, was in aller Öffentlichkeit zu einem handfesten Streit mit dem Schweizer Präsidenten des Weltruderverbandes Thomas Keller führt. „Als ob wir nicht genug andere Sorgen hatten“, erinnert sich Schreyer, der Ende der 1950er-Jahre in seiner Heimatstadt Lauenburg mit dem Rudern begonnen hatte und 1962 zum Ratzeburger Ruderclub wechselte.

    Nach 500 Metern im Finale, einem Viertel der Distanz, liegen Schreyer, der an zweiter Position im Bug des Bootes sitzt, und seine Mitstreiter scheinbar aussichtslos zurück. Die Neuseeländer führen mit vier Längen Vorsprung, werden aber noch der mexikanischen Höhenluft Tribut zollen müssen.

    Im Ziel haben die Deutschen eine knappe Sekunde Vorsprung vor Aus­tralien und der UdSSR. Schreyer bekommt das nur schemenhaft mit. Es dauert eine Ewigkeit bis sich alle Athleten erholt haben. An Sauerstoffflaschen haben die Organisatoren nicht gedacht. „Wenn eine Siegerehrung bei so einem Großevent um eine halbe Stunde verlegt werden muss, will das schon was heißen“, sagt Schreyer, der zuvor einmal Welt- und zweimal Europameister geworden war.

    Als er bei der Siegerehrung vom IOC-Präsidenten die Goldmedaille erhält, ist ihm die Tragweite wieder bewusst. „Mich hat es sehr angefasst. Es von Lauenburg bis nach Mexiko-Stadt auf den Siegersteg mit Avery Brundage zu schaffen, war ein ordentlicher Schritt.“

    Mit jenem 19. Oktober vor 50 Jahren endete aber auch Schreyers Leistungssportkarriere. Mit 24 Jahren waren andere Dinge wichtiger: die berufliche Laufbahn und die Familie.

    Zunächst aber genoss Jürgen Schreyer den Rest der Spiele ausgiebig. Er sieht im Olympiastadion live vor Ort Bob Beamons Jahrhundertsprung auf 8,90 Meter, die 23 Jahre lang von keinem Weitspringer auf der Welt überboten wurden. Später wird das Achter-Gold noch auf einer alten Hazienda gebührend gefeiert. Die Box-Legende Max Schmeling hatte die Sportler eingeladen.

    Heute sitzt Schreyer, der nach der sportlichen Laufbahn selbstständiger Versicherungsmakler in Hamburg wurde, nur noch gelegentlich im Boot. „Meine Beruhigung ist: Rudern kann ich ja. Ich spiele lieber eine schöne Partie Golf.“

    Er selbst wohnt seit Jahren in Hamburg. In seiner Heimatstadt Lauenburg leben noch einige Klassenkameraden und der jüngere Bruder. Zudem ist Schreyer noch Mitglieder der Ruder-Gesellschaft Lauenburg. „Man darf seine Wurzeln nicht vergessen“, sagt er.

    Als einer von nur wenigen Lauenburgern bekam Dirk Schreyer den „Rufer“ verliehen, die höchste Auszeichnung der Elbestadt. Vom Deutschen Ruderverband (DRV) erhielt er die Ehrennadel. Zudem ist er Träger des „Silbernen Lorbeerblatts“, der höchsten sportlichen Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland.

    Im DRV-Vorstand war Dirk Schreyer zudem bis 1995 für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Sportfunktionär und das Sammeln von Mehrheiten sind aber nicht so mein Ding“, sagt er. Rudern war es aber.

    Der kurzfristig eingesprungene Ersatzmann Niko Ott schenkte seine Goldmedaille übrigens dem erkrankten Roland Böse. Dafür wurde er mit dem Fairplay-Preis des NOK gewürdigt. Erst später wurde für Ott eine Medaille nachgeprägt.