Bergedorf. 800 000 Menschen legen pro Jahr das Sportabzeichen ab. Wie schwer ist das? Unsere Sportredaktion wollte es wissen.
Bergedorf. Tagaus, tagein beschäftigen wir uns als Sportredakteure der Bergedorfer Zeitung/Lauenburgische Landeszeitung mit Sport. Wohlgemerkt mit dem Sport, den andere betreiben. Leistungssportler. Doch was ist mit den Tausenden von Hobby-Athleten, die unbeachtet von der Öffentlichkeit jedes Jahr die Prüfung zum Deutschen Sportabzeichen ablegen? Die ihren ganz persönlichen Triumph über sich selbst erringen. Könnten wir das auch? So aus dem Stegreif an einem einzigen Nachmittag? Ein Erfahrungsbericht.
Olaf Lüttke - der Ex-Leichtathlet
Rund ein Dutzend alter Spikes hat Jürgen Krempin, Trainer bei der TSG Bergedorf, mitgebracht und auf die Bahn im Billtalstadion geworfen. Ich suche mir ein Paar Laufschuhe, die passen könnten, heraus. Sitzt wie angegossen. Und auf einmal fühle ich mich wie 16. Vier Jahre habe ich in meiner Jugend im Weserbergland Leichtathletik als Wettkampfsport betrieben. Langsam trabe ich nun los. Klack, klack. Die Spikes bohren sich in die Tartanbahn. Ich fühle mich gut. Die Mission Gold kann starten.
Wir schleppen die Startblöcke hinüber auf die andere Seite, üben auf Kommando. Achtung, fertig, dann ein Pfiff: Kollege Schulz und ich wuchten uns aus den Blöcken. Ich will gewinnen. Wir liegen gleichauf. Kurzzeitig sieht es so aus, als könnte ich ihn überholen. Doch nach 50 Metern läuft er ganz knapp als Erster ins Ziel. 6,8 zu 6,7 Sekunden. Na gut, denke ich. Der Kollege ist zwölf Jahre jünger. Dennoch: Die Zeit langt für Gold.
Dafür gestaltet sich der Weitsprung schwieriger als gedacht. Früher war es meine Lieblingsdisziplin. Nun bleibe ich beim ersten Versuch mit einem Spike am rechten Bein hängen und ratsche mir die Wade auf. Der zweite passt besser. Ich erwische den Balken, lande nach 4,26 Metern. Knapp im Goldbereich.
Im Kugelstoßen fehlen mir im ersten Versuch sechs Zentimeter zum Gold, dann nur noch zwei. Jetzt packt mich der Ehrgeiz. Den letzten haue ich mit einem Schrei heraus, der durchs gesamte Billtal hallt. Nach 7,88 Metern fällt die sechs Kilo schwere Kugel zu Boden. Das langt.
Beim 3000-Meter-Lauf sind wir nur beim Start zusammen. Kollege Gast fällt schnell zurück, Kollege Schulz enteilt genauso schnell. Später wird er mich überrunden. In beiden Beinen bahnt sich ein Krampf von den Füßen aus seinen Weg. Ich fühle mich jetzt nicht mehr wie 16. Zum Glück setzt ein leichter Regen ein, der stetig zunimmt. Ich halte mein Tempo. Der drohende Krampf verschwindet langsam. Nach 17:25 Minuten laufe ich durchs Ziel. Das langt in meiner Altersklasse (M55). Viermal Gold, Mission erfüllt.
Am nächsten Tag kann ich mich kaum bewegen. Die Oberschenkel brennen. Und doch ertappe ich mich beim Blick auf die nationale Bestenliste. 13,2 Sekunden läuft der Zehntschnellste meiner Altersklasse über 100 Meter. Da könnte was gehen!
Dirk Schulz - der aktive Fußballer
Zwei Worte raunt mir Kollege Lüttke nach dem Start des 3000-Meter-Laufs zu. „Oh, Dirk!“ Ein Ausdruck des Staunens über mein angelegtes Tempo? Oder Zweifel, dass ich selbiges 7,5 Runden durchstehen kann? Das kann ich jetzt nicht klären. Ich muss Meter machen. Und doch gehen mir diese zwei Worte nicht mehr aus dem Kopf.
Als Lokalsport-Redaktionsküken (Altersklasse M45) gelten für mich strengere Richtlinien als für die älteren Kollegen Gast (M50) und Lüttke (M55). Auf 3000 Metern heißt das: Will ich die Anforderungen für das Sportabzeichen „Gold“ ablegen, muss ich nach 15:50 Minuten im Ziel sein. Klingt machbar, habe ich als langjähriger Amateurfußballer beschlossen. Selbst wenn das letzte Ausdauertraining eine Dekade zurückliegt.
Im Gegensatz zu den anderen beiden habe ich auch nicht zuvor extra trainiert. Eine Leistenzerrung diente als willkommene Ausrede. Kollege Lüttke hatte angekündigt, mich über 50 Meter schlagen zu wollen. Ich ließ das unkommentiert: „Wichtig ist auf’m Platz!“ Und tatsächlich hatte ich in einem – mit Verlaub – geilen Fight letztlich mit 6,7 Sekunden eine Zehntel Vorsprung – Gold!
Im Weitsprung und Kugelstoßen lief es weniger gut. Wobei das relativ ist. Im Weitsprung fand ich meine 4,46 Meter– mit denen ich nebenbei im letzten Versuch Kollege Lüttke überflügelte – ziemlich passabel. Schreiten Sie das mal ab! War aber nur Silber.
Kugelstoßen dagegen konnte ich noch nie. So kam ich mit der 7,25 Kilogramm schweren Kugel (die anderen durften ob ihres Alters mit der Sechs-Kilo-Kugel stoßen) nur auf 6,42 Meter – Bronze.
Nun also der 3000-Meter-Lauf. Hier wollte ich endlich wieder was zeigen. „Oh, Dirk!“ Zwei Minuten pro Runde hatte ich mir als Richtzeit gesetzt. Ich lege los wie die Feuerwehr: 43 Sekunden nach 200 Metern, 1:45 Minuten nach einer Runde. Für den Fotografen habe ich ein Lächeln übrig. Die nächste Runde auch noch. Beim dritten Mal reicht es nur noch für einen freundlichen Blick. „Oh, Dirk!“
Kann ich das halten? Inzwischen ist Kollege Gast überrundet und Lüttke auch bald fällig. Ich bin im Tunnel. Ist der Fotograf überhaupt noch da? Egal! Beißen! Vor der letzten Runde weiß ich: Ich werde es schaffen. Nach 14:38,30 Minuten liege ich schnaufend im Ziel. Lüttke ist knapp drei Minuten später da: „Oh, Dirk!“
Volker Gast - der Unsportliche
Du machst Sportabzeichen?“, fragt eine Kollegin ungläubig, „ich beneide Dich nicht!“ Recht hat sie. Für die Kollegen Lüttke und Schulz mag es ein realistisches Ziel sein. Aber ich? Mit meinen 120 Kilo und einer ausgeprägten Fitness-Intoleranz bin ich wohl die Sollbruchstelle in diesem Experiment.
Mission Gold? Wohl eher die Mission Überleben. Heimlich stelle ich mich vier Wochen vor dem Termin bei brütender Hitze ein erstes Mal auf die Tartanbahn. Außer beim Sprint schaffe ich nirgendwo auch nur die Leistung, die für Bronze nötig ist. Da hilft wohl nur Training.
Zumal ich keinen Schimmer habe, wie Kugelstoßen geht. „Unser Verein bietet ein Sportabzeichen-Training an“, flötet meine Frau, „da könnten wir doch hingehen.“ Ich antworte schlau: „Ja, klar!“ Wohlwissend, dass draußen 32 Grad sind. Niemand wird bei dieser Hitze beim Training sein!
Eine Stunde später stehe ich zwischen 40 Jugendlichen und Erwachsenen auf der Tartanbahn. In unserem Ort leben offenbar nur Verrückte. Doch das Komische ist: In der Gemeinschaft macht die Sache richtig Spaß.
Es geht zum Kugelstoßen. „Die meisten stoßen zu flach“, erklärt mir Trainer Christian, ein gemütlicher Rentner, der schon schlimmere Kandidaten als mich erlebt hat. „Denke an ein startendes Flugzeug“, rät er. Und tatsächlich: Die Kugel landet bei 5,80 Metern. Eine Woche später sogar bei glatten sechs. Nicht mehr weit bis zu den für Bronze geforderten 6,25 Metern.
Doch zunächst steht noch ein besonderer Ausflug an. Denn während die beiden Kollegen glauben, man könne sich einfach mal so auf die Tartanbahn stellen und das Sportabzeichen machen, weiß ich es besser: Ein Schwimmnachweis ist Pflicht! Ich bin an der Küste aufgewachsen. Das Wasser ist mein Element. Vorzuführen, dass ich schwimmen kann, ist für mich ungefähr so albern, als müsste ich das Einmaleins aufsagen. Ich fahre nach Lüneburg, wo mich niemand kennt, und schwimme der Bademeisterin vor. Erledigt.
Dann kommt der Nachmittag im Billtalstadion. Sprint läuft wie gewohnt, doch Weitsprung ist ein Desaster. Ich komme nicht mal in die Nähe der geforderten 3,60 Meter. Wie soll ich es ausdrücken: Mein Körper ist halt nicht zum Fliegen gemacht.
Damit bin ich schon durchgefallen. Doch das wird alles aufgewogen durch 6,40 Meter (Ha!) im Kugelstoßen und den abschließenden 3000-Meter-Lauf. Unter den Anfeuerungsrufen von Familie und Kollegen kämpfe ich mich die endlosen siebeneinhalb Runden über die Bahn. Zwischendurch wird mir immer wieder schwarz vor Augen, und ich bin fest überzeugt, dass ich mich jeden Augenblick vor versammelter Mannschaft übergeben werde. Doch nichts dergleichen geschieht. Ich laufe einfach immer weiter und bleibe im Ziel in 23:09 Minuten elf Sekunden unter der geforderten Bronze-Norm. Das ist mein persönliches Gold.