Boberg. Es war der Kampf seines Lebens. Vor 40 Jahren boxte der Boberger Jürgen Blin gegen Muhammad Ali - und überraschte den “Größten“ mit einer mutigen Taktik.

Mitten im Gespräch zuckt Jürgen Blin auf seinem Barhocker und simuliert eine Schlagabfolge. Aufwärtshaken links, Aufwärtshaken rechts. Bamm, bamm. „Ich bin noch fit“, sagt der 68-jährige ehemalige Profi-Boxer. Einst war er Europameister im Schwergewicht. „Wenn ich ein paar Tage nichts mache, werde ich ganz hibbelig“, versichert Blin. Das nimmt man dem Boberger sofort ab. Wieder dieses Zucken. Bamm, bamm.

Obwohl es noch Vormittag ist, sind drei Gäste in dem Lokal, das seinen Namen trägt. „Jürgen Blins Bier- & Snackbar“ liegt versteckt in den Katakomben des Hamburger Hauptbahnhofes. Wer von der U-Bahn-Linie 3 zur S21 will, geht an seiner Kneipe vorbei. Drinnen steht bei jedem Besucher eine „Knolle“ Bier. Zigarettenqualm liegt der Luft. Die Spielautomaten laufen auf Hochtouren. „Heute ist wenig los“, sagt Blin. Die Geschichte, die ihn bekannt gemacht hat, kennt hier jeder.

Zuletzt musste sie der Boberger wieder häufiger erzählen. Schließlich ist es am 2.Weihnachtstag genau 40 Jahre her, dass der Junge aus einfachen Verhältnissen gegen den größten Boxer aller Zeiten kämpfte. Am 26. Dezember 1971 traf Blin in Zürich auf Muhammad Ali.

Ali hatte im Frühjahr '71 gegen Joe Frazier erstmals in seiner Karriere verloren. „Danach suchte er mittelstarke Aufbaugegner, die ihm nicht gefährlich werden konnten“, weiß Blin. Der damals 28-Jährige passt genau in das Raster. Mit seinen 85 Kilogramm ist er zudem fürs Schwergewicht eigentlich viel zu leicht. Doch die heutige Cruisergewichtsklasse gab es noch nicht.

„Ich habe vor keinem Angst gehabt. Doch vor Ali hatte ich schon Manschetten. Aber als der Gong ertönte, war es okay“, erinnert sich der gebürtige Fehmarner. Und weil er ob seiner körperlichen Unterlegenheit eigentlich keine Chance hat, sucht er die Flucht nach vorn. Damit überrascht er den großen Ali. „Ich kam aus der Armut und war verbissen“, sagt der 68-Jährige.

Sieben Runden lang wehrt sich der ehemalige deutsche Meister tapfer. Dann kommt schließlich doch der K.o. Die plötzliche Bekanntheit und 180 000 Mark Börse versüßen es. Sein Leben als Boxprofi gefällt ihm sowieso viel besser als die Kindheit.

Der Vater, ein Melker, ist Alkoholiker, und Sohn Jürgen muss noch vor der Schule immer im Stall helfen. „Bis ich 15 war, hatte ich ein Scheiß-Leben“, drückt Blin sich drastisch aus. Dann reißt er von zu Hause aus und fährt als Schiffsjunge auf einem Erzfrachter zur See. Westafrika, Kanada, Rotterdam.

Die Wende in seinem Leben kommt, als er in Hamburg Station macht. Blin lernt einen Fleischer kennen, geht bei ihm in die Lehre und beginnt mit dem Boxen. „Ich hatte wieder Selbstvertrauen“, sagt Blin. Fünf Jahre später ist er deutscher Meister der Amateure. Dank Fleiß, Ehrgeiz und seiner Verbissenheit kommt er auf 48 Kämpfe (31 Siege, neun davon durch K.o.).

Seinen größten Erfolg feiert er knapp ein halbes Jahr nach dem Ali-Fight. Nach dem Gewinn der Europameisterschafts-Krone im Schwergewicht steigt der ewige Kämpfer nur noch drei Mal in den Ring, beendet im Oktober 1973 seine Laufbahn. „Nach der EM war ich kaputt, nervlich verbraucht“, gesteht Blin, der nach eigenen Angaben Millionen mit dem Sport verdient hat. „Mein Geld habe ich in sechs Häusern verbaut“, sagt er.

Nach der Karriere wohnt Familie Blin mit drei Kindern in Schwarzenbek. Jürgen Blin fördert seinen Sohn Knut, der ebenfalls Profi wird. Doch Knut Blin ist manisch depressiv, beendet die Karriere und wählt 2004 den Freitod. Mittlerweile wohnt Jürgen Blin mit neuer Lebensgefährtin in Boberg.

Doch auch der faulen Haut liegen, ist nicht sein Ding. Beinah täglich steht die Box-Legende schon früh morgens in seiner Kneipe hinter dem Tresen. „Im Juni ist wohl Schluss“, sagt der 68-Jährige. Vor dem Tag, wenn er die Kneipe schließt, graut ihm ein bisschen. Ein Zucken. Zwei Haken. Bamm. Bamm.